piwik no script img
taz logo

Archiv-Artikel

Tunesien hat Asamoah

Der Afrikameister spielt beim 0:3 gegen Deutschland lange Zeit gut mit, versäumt es aber, dies in Tore umzumünzen. Die Klinsmänner werden erst nach dem 1:0 locker

KÖLN taz ■ Am Ende war alles ein bisschen paradox. Sebastian Deisler zum Beispiel musste auf seine erste wirklich gelungene Aktion im Spiel gegen Tunesien bis zur 88. Minute warten. Da glückte ihm die Flanke zu Mike Hankes 3:0, nachdem er in den fast 90 Minuten zuvor in einem Bayern-Mittelfeld, das bei den Bayern so wohl nie spielen wird, neben Schweinsteiger, Ballack und Frings zumeist den Unglücksraben abgegeben hatte. In der 80. Minute hatte schon Bastian Schweinsteiger nach schönem Zusammenspiel mit Lukas Podolski das 2:0 erzielen dürfen. Zuvor allerdings war von dem schon als Isar-Zidane gefeierten Münchner wenig zu sehen gewesen. Auf der anderen Seite versuchte der großartige Halem Trabelsi von Ajax Amsterdam, der auf seiner rechten Seite die meiste Zeit schalten und walten konnte, wie er wollte, einen letzten verzweifelten Sololauf. Am deutschen Fünfmeterraum blieb er schließlich hängen, warf frustriert die Arme in die Luft und schlich mit hängenden Schultern gemächlich in die eigene Hälfte zurück, während der deutsche Gegenangriff schon wieder auf vollen Touren lief. Nach dem verwandelten Strafstoß von Ballack in der 74. Minute war ein bis dahin offenes Spiel mit Vorteilen für die Nordafrikaner komplett zugunsten des DFB-Teams gekippt. „Das Führungstor hat die Fesseln ein bisschen gelöst“, sagte Ballack. „Unsere zentrale Abwehr hat danach nicht mehr reagiert“, gab Tunesiens Trainer Roger Lemerre zu.

Die Abwehrkette mit ihrem Hang zu hanebüchenen Fehlern war schon gegen Argentinien die tunesische Problemzone gewesen; gegen die Deutschen erwies sich die zunehmende Patzerfrequenz als fatal, denn wenn Klinsmanns Angreifer etwas gut beherrschen, dann ist es die Kunst, Ballgewinne in vorderster Position resolut auszunutzen. Vor allem Lukas Podolski, Vorbereiter der beiden ersten Tore, tat sich dabei hervor. Es hatte sich längst gezeigt, dass die DFB-Mannschaft einen Treffer gewiss nicht aus überlegenem Spielaufbau und effizientem Kombinationsfußball heraus erzielen würde, sondern höchstens durch individuelle Kraftakte, gegnerische Torheiten, Standardsituationen. „Wir hatten Schwierigkeiten gegen ihr fast schon perfektes 4-4-2, das bei eigenem Ballbesitz zum 3-5-2 wird“, sagte ein für seine Verhältnisse ziemlich realistischer Bundestrainer Jürgen Klinsmann. „Es waren immer zwei Gegner beim ballführenden Spieler, sie haben uns kaum die Möglichkeit gegeben, Pässe in die Spitze zu spielen.“

Was allerdings nicht nur am tunesischen Pressing, sondern auch an der technischen Befindlichkeit der DFB-Kicker lag. Der Afrikameister veranstaltete das, was man in Klinsmanns Heimat Kalifornien eine „Clinic“ nennt. Was nichts mit therapeutischen Maßnahmen zu tun hat, sondern einen Kursus in schnellem und kontrolliertem Spiel nach vorn darstellte. Genau das also, was Klinsmanns Trainerstab als „Philosophie“ des eigenen Teams ausgibt. Sobald sich die Möglichkeit ergab, spielten die Tunesier steil in die Spitze oder passten sich – trotz Bedrängnis – schnell und technisch versiert den Ball zu, bis einer das Spiel frei vor sich hatte, auf die inzwischen besetzten Flügel passen oder zum Strafraum ziehen konnte. Bei den Deutschen scheiterte ähnliches Bemühen meist schon sehr früh an ungenauen Pässen und unzulänglichen Ballannahmen. Postwendend kam der Ball zurück, was die zuvor scharf kritisierte Viererkette mit dem von den 46.000 Zuschauern in Köln freundlich ermutigten Robert Huth immer wieder in unschöne Bedrängnis brachte. Diesmal war sie nicht ganz so wacklig wie gegen Australien und blieb immerhin gegentorfrei.

„Durch die Bank optimal“ hatte Klinsmann seine Abwehrreihe gesehen, was nicht ganz mit der Analyse des tunesischen Kollegen Lemerre übereinstimmte. „Australien hat gegen diese Innenverteidigung und diese Außenverteidiger drei Tore geschossen“, erinnerte der Franzose und legte den Finger unbarmherzig in die Wunde: „Sie lassen Räume, man hat die Möglichkeit zu penetrieren.“ Wenn man „tief in ihrer Hälfte“ spiele, komme man gegen die Deutschen „sehr leicht“ in Tornähe. Das habe sein Team gut gemacht, einziges Problem: „Wir haben nicht getroffen.“

Tunesien hat eben keinen Podolski, Ballack oder – neuerdings – Schweinsteiger. Soll heißen: Spieler, die aus dem Nichts Tore erzielen können. Tunesien hat Leute wie Gerald Asamoah, der sich zweimal prächtig durchsetzte, doch jedes Mal den besser postierten Mitspieler nicht sah. Aber laut Klinsmann war es ja auch die vorrangige Aufgabe des Schalkers, den Gegner müde zu laufen. Solange das funktioniert und ein wenig Glück zu Hilfe kommt, fällt ein bisschen Gestümper beim Spielaufbau nicht so sehr ins Gewicht. MATTI LIESKE