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„Tummelplatz fremder Interessen“

■ Rechtsradikaler Arzt klagt gegen Stadtdirektor / Ausländer sollen nicht demonstrieren dürfen

Dirk Richter, Stadtdirektor von Verden, mußte sich jüngst mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde herumschlagen. Dr. Rigolf Henning, niedergelassener Chirurg und Ex-Kreisvorsitzender der Republikaner, führte beim Stadtrat Beschwerde: Richter habe seine Dienstpflicht als Stadtdirektor verletzt, weil er „eine Demonstration durch Ausländer in Verden am Samstag, den 28.3.1992“ genehmigt habe.

Verdener Kurden hatten damals gemeinsam mit den Jusos und der örtlichen Friedensgruppe gegen den Export deutscher Waffen in die Türkei protestiert. „Der Lärm war beträchtlich“, beschwert sich Henning, vor allen aber seien AUSLÄNDER nicht berechtigt, auf deutschem Boden zu demonstrieren. Er beruft sich dabei auf Artikel 8 des Grungesetzes — „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Stadtdirektor Richter habe jedoch „ungeachtet dieser klaren Verfassungsaussage“ eine Genehmigung erteilt, „womit deutscher Boden zum Tummelplatz fremder Interessen erklärt wird“.

In seiner Stellungsnahme für den Rat formuliert Richter: „Der Beschwerdeführer bemüht den demokratischen Rechtsstaat, um faschistisches Gedankengut zu propagieren. In einer Zeit, in der es für unsere ausländischen Mitbürger und Gäste immer schwieriger wird, ihre Lebensrechte und Bedürfnisse zu artikulieren, werden Ausländer in Verden erneut diskriminiert.“ Diese Diskriminierung findet der Verdener Stadtdirektor „besonders verantwortungslos, da sie von einem Bürger ausgeht, dem normalerweise als Akademiker gewisse intellektuelle Fähigkeiten zuzubilligen wären. „

Das veranlaßte Henning zusätzlich zu einer Strafanzeige wegen „übler Nachrede, Verleumdung, falscher Beschuldigung und Herabwürdigung.“ Rigolf Henning, Jahrgang 1935, war bereits mehrmals in die Schlagzeilen geraten. 1987/88 brachte er es durch eine Leserbriefschlacht im deutschen Ärtzteblatt über die Rolle der deutschen Ärzte im Faschismus zu bundesweiter Bekanntheit. Er beklagte, daß schon sein Vater als Medizinstudent in Halle unter den Juden gelitten habe, die das Gros der Studienplätze besetzt hätten: „Wo ein Jude war, waren alsbald drei, und wo drei waren, waren neun und unsereins hatte das Nachsehen.“

1989 zog der Chirurg den Unmut von Verdener Eltern auf sich, die in dessen Wartezimmer immer wieder auf rechtsradikale Propaganda wie Aufkleber mit der Aufschrift „Solidarität mit Weiß Afrika“ oder die Zeitschrift „Nation Europa“ gestoßen waren — bevorzugt in der Kinderecke. Die Eltern wandten sich an die Schulen und an die Ärztekammer, weil Henning als „Durchgangsarzt“ der Gemeindeunfallversicherung eine quasi öffentliche Funktion erfülle. Die Ärztekammer bat den Arzt zu einem Gespräch, zog aber keinerlei Konsequenzen. Ein Verdener Gymnasium hat sich stillschweigend entschieden, marode Schulkinder nur noch ins Krankenhaus zu schicken. Der Verdener Rat beschloß am Dienstag einstimmig, die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Stadtdirektor zurückzuweisen. Hennings Praxis läuft immer noch gut. rie

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