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Türkische Musikerin Nene Hatun„Ich forsche nach Gefühlen“

Beste Aydin ist Konzertpianistin. Als Nene Hatun macht sie hinreißenden Elektronik-Sound zwischen Folk, Techno und Industrial.

Nele Hatun am Berliner Berghain Foto: Privat

„Meine Eltern haben mich Beste Aydin genannt, Nene Hatun ist mein Künstlername. Beste heißt übersetzt Komposition und auf Deutsch ist das schon ein krasser Name. Nene Hatun hat feministische Bedeutung. Der Name gab mir Selbstvertrauen. Ich bin nicht so nationalistisch, will ich vorausschicken: Nene Hatun ist eine reale historische Figur, sie hat von 1857 bis 1955 gelebt und an vorderster Front gegen die Russen gekämpft.

Vielleicht war sie die erste Feministin der türkischen Republik. Das war die Zeit des Wechsels vom Osmanischen Reich zur Republik. Der Ort, aus dem Nene Hatun kam, war russisch besetzt. Sie hat Kämpfe ausgefochten, ich habe Kämpfe ausgefochten, da dachte ich, ihr Name passt zu mir.

Aufgewachsen bin ich in Izmir. Die Verwandten von meiner Mama kommen aus einer Gegend, die inzwischen zu Armenien gehört, damals lag das in Aserbaidschan. Da gab es einen Krieg in den Neunzigern, schrecklich. Der war immer ein Thema in meiner Familie, man wächst einfach ängstlich auf. Sag nix, bleib mal zu Hause und so weiter.

Wahrscheinlich entstehen so posttraumatische Störungen. Klavierspielen habe ich mit elf angefangen, ein bisschen spät eigentlich. Ich bin schnell vorangekommen, besonders meine Mama hat mich dabei unterstützt.

Rebellion mit 13

Meine Oma sagte immer zu mir, hättest du was Anständiges studiert! In der Schule war ich sehr gut. Musik war also Rebellion. Als ich 13 Jahre alt war, habe ich gesagt, ich werde Musikerin. In der Türkei ging ich damals aufs Konservatorium anstatt aufs Gymnasium. Seit ich 14 bin ging ich auf die Musikhochschule.

Nene Hatun

Nene Hatun live: 29.7. About blank, Berlin, DJ-Set 12.8. fuchsbau festival Berlin.

Musik: https://nenehatun.bandcamp.com/

Unter meinem bürgerlichen Namen bin ich heute eine bekannte Pianistin. In der Türkei war ich in Fazıl Says Klasse. Er hat mich mit zwei anderen Pianisten ausgewählt und so kam ich nach Stuttgart. Ich habe ein Stipendium bekommen, denn ich galt als ‚vielversprechendes Talent‘. Zuvor habe ich in Ankara studiert, dann mit 19 Jahren in Tel Aviv. Am Stuttgarter Konservatorium habe ich sieben Jahre bei Rudiakov gelernt und meinen Master mit 1,0 abgeschlossen.

Musik hat eine Ebene jenseits von Sprache, die uns miteinander verbindet

Nene Hatun

Bach war die Grundlage. Ich habe ihn gerne gespielt, weil seine Musik besondere Konzentration erfordert. Werke der Romantik liegen mir auch, deswegen spiele ich gerne Stücke aus jener Zeit. Mein Herz gehört aber den Impressionisten, der Musik des 19. und 20. Jahrhunderts. Mahler, Strawinski und Prokofjew sind meine erklärten Lieblingskomponisten. Klaviertechnisch finde ich Ravel und Debussy am schönsten. Dass ich mich hinsetze und übe führt automatisch dazu, dass ich alles andere dabei ausblende. Vielleicht verarbeite ich währenddessen indirekt oder unbewusst. Ich habe nie gedacht, oh je, ich bin depressiv, also mache ich Musik, um mich besser zu fühlen.

Wenn der Takt beginnt

Wenn ich am Klavier sitze, ist alles ganz einfach: Der Takt beginnt, ich fange an und versuche bestmöglich auf allen technischen und musikalischen Ebenen zu spielen. Es gibt auch Momente, in denen die Motorik nicht im Vordergrund steht, wo ich sechs bis acht Stunden brauche, um das Material zu erfassen. Dabei passiert viel mit mir selbst. Ich sehe Musikmachen immer als Forschung an.

Ich forsche nach Stimmungen, Gefühlen und musikalischen Formen. Wenn ich mir Musik anhöre, möchte ich etwas Ähnliches erreichen, aber mit anderen Mitteln. Dabei entstehen dann eigene Sachen. Die Kunst ist, nicht nachzudenken. Üben, üben, üben und am Ende, beim Performen, kommt man in einen anderen Geisteszustand. Denke ich dabei zu viel nach, passieren Fehler. Dann blamiere ich mich, das gehört auch dazu. Die Konkurrenz ist hart, es geht nur darum, wer am besten spielt. Das hat wenig mit Musik zu tun und mehr mit Kampf. Solche Kämpfe bringen die unangenehmsten Seiten in einem selbst zum Vorschein. Eifersucht, Neid. Das ist das Gegenteil von dem, was uns Musik eigentlich anzubieten hat.

Musik ist dafür da, dass es eine seelische Ebene gibt, jenseits von Sprache, ein gemeinsamer organisierter Klang für alle. Was uns alle auf einem Level verbindet, Völkerverständigung. Jeder verbindet etwas anderes mit Musik, aber alle verbinden auf ihre Weise etwas zusammen damit. Alle spüren dasselbe, die gleichen Lampen werden im Kopf angeknipst.

Ich versuche etwas in meiner eigenen Musik hervorzubringen, was verstört und auch zerstörerisch wirkt, aber es soll zugleich auch positiv sein. Ich möchte Wärme spenden, aber auch Düsternis. In der Mythologie wird Feuer so definiert. Es zerstört, aber es bringt gleichzeitig Leben. Das ist so bei den Hindus und bei den Türken. Dieser Aspekt ist die Grundstimmung in meiner elektronischen Musik.

Meine Vergangenheit bildet auch mein Gehör. Das geht wahrscheinlich allen Menschen so. Begonnen ab der Zeit im Mutterbauch bis zum Alter von sieben Jahren bildet sich die Grundstimmung des Menschen heraus und alle späteren Neuerungen addieren sich hinzu, die Basis bleibt immer bestehen. Meine Basis ist türkische Volksmusik, sie funktioniert in Vierteltönen. Für westliche Ohren klingt sie möglicherweise atonal, ein bisschen neben dem Ton, aber das ist sie nicht. Mein Gehör sagt, sie stimmt. Das zeigt schon, dass ich durch die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, primär geprägt wurde.

Feiern in Berlin

Techno habe ich erst in Berlin so richtig verstanden, diese Kultur kannte ich vorher nicht. Heute, im Alter von 30, kann ich damit umgehen. Wenn ich schon mit 18 nach Berlin gekommen wäre, hätte ich zu viel gefeiert. In Tel Aviv habe ich mich noch selbst gesucht. Zu der Zeit war ich 19 und leicht depressiv. Dass es dort ein Nachtleben gibt, wusste ich damals noch nicht. Dort habe ich wie eine Besessene Klavier geübt. Ich bin seither lockerer geworden, was ich damals noch seltsam fand, gefällt mir heute in Berlin.

In meinen elektronischen Tracks setze ich auch die Saz ein. Sie ist allerdings bearbeitet und ich habe sie mit Effekten verfremdet. Ich habe sie gesampelt von Neşet Ertaş, einem verstorbenen Musiker. Und von Aşık Veysel. Das sind zwei Aşık, urtümliche Singer-Songwriter. Sie sind in der Türkei von Ort zu Ort gezogen und haben Musik und Worte improvisiert. Ihre Musik ist irre schön. Sie sind ursprünglich aus Anatolien, Ertaş ist Alevit. Ein Außenseiter, sehr arm. Durch die Musik kamen sie rum, alle kannten ihre Songs.

Die Musik der Aşık, ihr Stil zu singen, ist zeitlos. Ein Teil von mir will damit verbunden sein. Deswegen sind diese traditionellen Elemente bei mir vorhanden. Aber ich mache auch Musik, die gar nichts davon hat. In dem Song ,Garip' habe ich den Gesang von Neşet Ertaş gesampelt. In dem Stück ,Su‘ habe ich auch selbst gesungen. Meinen Song ,Nur' habe ich spontan beim Klavierspielen komponiert, sein Titel ist das türkische Wort für Licht. Das bedeutet seelisches Empfinden, das Innerste des Menschen.

Ich lache gerne, das gibt mir Kraft. Ich komme manchmal wochenlang nicht vor die Tür, weil ich so auf die Musik fokussiert bin. Wenn ich nicht komponiere, unterrichte ich Musik oder mache Theatermusik, um Geld zu verdienen. Ansonsten lese ich viel, mich interessieren Mythologie, Geschichte und Neurologie. Themen, die sich um den Menschen, um Formen von Verständnis drehen, interessieren mich. Natürlich ist das immer mit Musik verbunden, ich möchte verstehen, was sie mit mir macht. Warum ich Musik mache und wozu. Will ich Musik machen, um die Leute durch Repetition zum Tanzen zu bringen, will ich Musik machen, die die Menschen zum Innehalten bringt? Das sind Fragen, die mich beschäftigen.

Die Situation in der Türkei beunruhigt mich. Ich habe große Angst um meine Eltern. Sie leben sehr zurückgezogen. Ich hoffe, dass sich die Situation irgendwann bessert. Mein Job ist die Musik. Ich würde nicht auf die Straße gehen und protestieren. Dafür bin ich zu sensibel. Wenn es um die Musik geht, wische ich all das beiseite und versuche, konzentriert zu arbeiten. Ich will besser werden, das treibt mich an.

Ich bin auf jeden Fall ein Nerd, wenn es um meine Instrumente geht. Ich benutze zwei Arten von Percussion, einmal eine Darbuka, eine Art Tambourin mit Zimbeln, die bearbeite ich am Computer nach, aber ich spiele auch Analog-Synthesizer, Tempest, und programmiere Drummaschinen. Außerdem mache ich Field Recordings, meine Waschmaschine nehme ich zum Beispiel auf.

Synkopierte Beats

Meine Beats folgen auch türkischen Beats, wenn sie synkopiert sind. Aber da ist schon viel angloamerikanische Beatscience am Werk. Eigentlich müsste ich die Taktarten ändern, aber sie sind nun mal gerade. Wenn ich 7/8 hätte, wäre es perfekte türkische Musik. Aber ich bin verwestlicht.

In der Türkei gibt es eine kleine Elektronik-Szene und die kennt mich und meine Musik. Die Leute haben leider nicht viel Geld, die können mir keinen Flug zahlen. Wobei ich jederzeit spielen würde. Ich hätte Lust, für die Leute aufzulegen. Ich lege nicht nur Techno auf, sondern spiele ein breites Repertoire an Musik.

Meine Familie ist sehr gläubig, sie sind sehr korrekt und sie beten fünfmal am Tag. Aber sie haben mir niemals Vorschriften gemacht. Sie erleben den Islam als Ort von Freiheit und Toleranz. Tanzen tun sie selbst auch gern. Sie tanzen halt auf Hochzeiten, ich tanze im Berghain. Nach islamischer Zeitrechnung sind wir gerade im Mittelalter. Der Islam ist daher leider noch keine richtig geformte Religion. Ich glaube, das war vor 200 Jahren bei den Christen auch nicht anders.

Mit der türkischen Community in Berlin habe ich nur zu tun, wenn ich zum Späti gehe. Aber es gibt eine kleine Szene von Produzenten mit denen ich abhänge: Hüseyin, eine Hälfte des Techno-Duos Cassegrain. R.A.N. ist Istanbulerin und macht Ambient. Korhan Erel ist ein Elektronik-Freak. Wir alle machen unterschiedliche, aber elektronisch angehauchte Musik. Jeden Monat treffen wir uns und reden über Musik.“ (Protokoll: Julian Weber)

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