piwik no script img

Türkische Aktivistin über die Wahl„Man wird uns einlochen“

Die Architektin und Gezipark-Aktivistin Mücella Yapıcı sieht die Opposition harten Zeiten entgegengehen. Trotzdem kann sie der Wahl etwas abgewinnen.

Polizei auf dem Taksim-Platz: „Aggressivität, Härte, Dreistigkeit“. Bild: dpa
Deniz Yücel
Interview von Deniz Yücel

taz: Frau Yapıcı, gratulieren Sie der AKP zu Ihrem Sieg?

Mücella Yapıcı: Man kann der AKP gratulieren. Weil sie es geschafft hat, mit Verboten, Zensur und Betrug diese Wahl zu gewinnen. Es gibt in diesem Land genug Menschen, die nur in Sorge um ihre eigene Existenz sind und nichts mitbekommen. Aber dieses Wahlergebnis ist weniger ein Erfolg der AKP als ein Misserfolg der Opposition.

Was hat die Opposition falsch gemacht?

Sie hätte darauf bestehen müssen, dass die Wahlen unter diesen Umständen illegitim sind. Stattdessen hat sie der Unterstützung der konspirativen Gülen-Gruppe vertraut.

Viele junge Leute aus der Gezi-Bewegung sind enttäuscht. Ein häufiger Kommentar auf Facebook lautet: „Ich will hier weg.“

Diese Generation hat im vergangenen Jahr ihren ersten politischen Aufbruch erlebt. Jetzt erlebt sie ihre erste große Enttäuschung. Ich habe schon andere Enttäuschungen erlebt, den Militärputsch 1980 zum Beispiel. Ich sehe, dass sich die Gesellschaft auf einem guten Weg befindet. Der Geist von Gezi ist immer noch lebendig.

privat
Im Interview: Mücella Yapıcı

63, Architektin, ist das bekannteste Gesicht der Istanbuler Anwaltskammer, die Teil des Bündnisses Taksim-Solidarität ist. Das hatte die Proteste gegen den Abriss des Geziparks initiiert. Im Prozess gegen 26 Mitglieder der Taksim-Solidarität fordert die Staatsanwaltschaft für Mücella Yapıcı und vier andere 29 Jahre Haft.

Wo war dieser Geist bei der Wahl?

Er hat sich in den Zehntausenden Menschen gezeigt, die die ganze Nacht Wache vor Wahllokalen gestanden haben, um eine Wahl zu verteidigen, an die sie nicht geglaubt haben. Darauf können wir aufbauen.

Am Ende hätten sich viele Linke damit getröstet, wenn in Ankara der Kandidat der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP gewonnen hätte. Der Mann stammte usrprünglich aus der ultranationalistischen MHP. Zeigt sich darin die Tragödie der Linken?

Das Gegenteil ist richtig: Wenn Menschen, die nie zuvor die CHP gewählt und es vielleicht auch jetzt nicht getan haben, sich von selber organisieren und die Auszählung überwachen, dann zeigt dies das tiefe Misstrauen gegen diesen Staat – aber auch das demokratische Bewusstsein in diesem Teil der Gesellschaft.

Auch wenn es um einen ehemaligen MHP-Mann wie Mansur Yavaş geht?

Gerade dann. Im Übrigen hat sich die Definition des Faschismus geändert. Die Welt sollte wissen, dass wir es in der Türkei mit einem diktatorischen Regime zu tun haben.

Was wird das Regime nun machen?

Sie werden uns noch härter angreifen. Alles, was wir in den letzten Monaten an Unterdrückung und Kontrolle der Medien, der Straße und des Internets erlebt erlebt haben, wird zunehmen. Das hat Ministerpräsident Erdoğan mit seinem Auftritt in der Wahlnacht deutlich gemacht. Diese Aggressivität, diese Härte und diese Dreistigkeit, dort mit Leuten aufzutreten, die so schwer belastet sind. Wir gehen harten Zeiten entgegen, mindestens bis zur Parlamentswahl 2015.

Und wie wird der Prozess ausgehen, in dem Sie und 25 andere Aktivisten angeklagt sind?

Man wird uns einlochen.

Und was wird aus dem Gezi-Park? Wird man ihn abreißen?

Nein.

Was macht Sie so sicher?

Der Dieb weiß sehr genau, was er geklaut hat. Der Betrüger kennt seinen Betrug. Ich glaube, die Regierung weiß viel besser als die Opposition, wie sie diese Wahl gewonnen hat. Sie hat Angst, sie hat immer noch Angst.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Mist Eeeh! Was können wir tun um bedrohten Journalisten und Politikern in der Türkei- nun- zu helfen?? Die Gebärden der türkischen Machthaber nun erzählen Schreckliches ! Was tun?

  • sie hat also mit verboten, zensur und betrug die wahlen gewonnen. verbot wovon? hat sie also wegen der kurzzeitigen twittersperre so überwältigend gewonnen? zensur? welche sender wurden denn geschlossen, welche zeitungen verboten? -betrug? beweise???

    • C
      cosmopol
      @Tim:

      Die Beweise, falls vorhanden, werden in den nächsten Tagen offenkundiger werden. Aktuell kursiert auf jeden Fall eine Menge an Aussagen, die dahingehend geprüft werden müssten, bis hin zu Fotos von vernichteten Stimmzetteln. Das wird noch spannend...

       

      Abgesehen davon: Was ist eine Internetsperre um missliebige Nachrichten zu blocken denn anderes als Zensur?

      • @cosmopol:

        Diese Internetsperre war ja nun nicht von Dauer, sie war - wenn auch überzogen - Konsquenz, also Reaktion auf den Umgang von Twitter mit der türkischen Judikative. Dies mag mal gut oder schlecht finden, ich persönlich finde es wie angemerkt reichlich überzogen und unnötig, aber ich glaube kaum, dass jetzt dadurch - wegen der Kürze der Sperre und weil es keine Bürger (also potenzielle Wähler der jeweiligen Parteien) mehr oder weniger betraf - eine wahlentscheidende "Zensur" stattgefunden hätte. Wissen Sie eigentlich um die Umstände in der Türkei? Da werden Politiker und Behörden abgehört und ein Staat im Staate versucht gerade die politische Landschaft des Landes neu auszurichten. Damit ist die Gülen-Sekte gemeint, derer Unterstützung sich die CHP (größte Oppositionspartei) sicher und dankbar zeigte bei diesen Wahlen. Zudem werden Stimmen zwischen den beiden dominanten Oppositionsparteien ganz offen zusammengelegt auf einen gemeinsamen (erfolgsversprechenderen) Kandidaten. Diese Fotos...ja, das ist natürlich so eine Sache. Wer weiß was dahintersteckt. Ich zumindest nicht. Dass aber ein Herr Yücel sie hier als Beweis für die Wahlfälschung sofort unkritisch reinstellt, spricht nicht für seine journalistische Sorgfalt.

        • C
          cosmopol
          @Tim:

          "Überzogen" finde ich dahingehend verdammt harmlos. Wenn Staaten anfangen in so einen Maßstab das Internet zu zensieren, dann mischen sie sich in die grundlegendste Informationsfreiheit ihrer Bevölkerung ein. Demokratie ist was anderes...

           

          Ansonsten glaube ich nicht, das Gülen oder Erdogan-Clan sich in ihren Methoden viel geben. Und eine CHP die mit der MHP kuschelt ist mir auch nicht sympathisch. Mir wär's glaube ich lieber wenn die politische Landschaft der Türkei sich als Spätfolge von Gezi grundlegend transformiert. Die Möglichkeit wäre da.

           

          Ah, und das letzte was ich wollen würde ist ausgerechnet einem Deniz Yücel journalistische Sorgfalt zu unterstellen, aber der ist ja nicht der einzige. Facebook scheint derzeit mit sowas überzulaufen. Und bei den Protesten der letzten Zeit, knallt das so oder so evtl noch ganz gewaltig wenn da nicht aufgeklärt wird.

          • @cosmopol:

            Der Maßstab wird jetzt von Ihnen aber sehr übertrieben.

            Sie können ja gern ne Menge glauben, was die Ähnlichkeiten von Gülen-Sekte und Erdogans Gefolgsleute betrifft, jedoch operiert der eine über einen Staat im Staate und der andere wird in freien Wahlen wieder und wieder gewählt.

             

            Und zu diesen ganzen Dingen, die auf FB kursieren nur so viel:

            Im Vorfeld der Wahlen wurde auch Unmengen an "Material" über Twitter verbreitet, was zum Teil sehr amüsant anmutete. Von irgendwelchen "Mitschnitten" bis hin zu angeblich manipulierten Aufnahmen von Wahlveranstaltungen Erdogans, die eine größere Zahl an Zuhörern suggerieren sollte. Man ist sich halt für nichts zu schade. Das finde ich übrigens auch schade. Was nicht heißen soll, dass ich das Klima von Verboten und Intrigen in der Türkei relativiere oder gar begrüße.

        • @Tim:

          oh mann, hast du ne ahnung, wie viel journalisten in der türkei einsitzen? wie viele bürgermeister, politiker und rechtsanwälte? hast du schon mal was von den pinguinen gehört? weisst du wie viele leute ihren hut nehmen mussten, z.b. bei al jazeera türk, weil sie kritisch über die gezi proteste berichteten? weisst du wie unternehmer wie die dogan gruppe unter druck gesetzt wird? hä? nee,ne. du hast keine ahnung

    • @Tim:

      Mein Gott, sind Sie so naiv? In der Türkei sind mehr Journalisten inhaftiert als in China. Lesen Sie die Berichte von Amnesty und Human Rights Watch. Herr Erdogan ruft persönlich an, wenn auch nur Kleinigkeiten gesendet werden, die ihm nicht passen.Journalisten, die es gewagt hatten, kritisch zu berichten müssen entlassen werden und werden bedroht und eingeschüchtert. Unliebsamen Medienkonzernen schickt man die Steuerfahndung ins Haus und die Konzerne, die leider auch oft gleichzeitig Baukonzerne sind, bekommen keine Staatsaufträge mehr. Dafür sorgt der Führer persönlich. Man kann noch vieles weiter auflisten. Die Sperre von Twitter und Youtube ist nur noch der Gipfel von allem.

      • @vulkansturm:

        In China werden die Journalisten stattdessen an die Wand gestellt, meinen Sie?

        Vielleicht reagieren manche aus dem neuen politischen Establishment auf so manchen Journalisten auch deshalb so allergisch, weil erwiesenermaßen bei letzten Putschs des Militärs in der Vorbereitung manch ein Medienschaffender eifrig mitgeholfen hatte und dafür auch Belege vorhanden sind.

        • @Tim:

          ach ne, was du nicht sagst. schon mal was von ahmet sik gehört? schon mal was von der unrechtmäßigkeit der ermittlungen gehört? schonmal darüber nachgedacht, dass damals gülen und muslimbrüder noch an einem strang gezogen haben? und selbst wenn, rechtfertigt das dann die repression gegnüber journalisten im allgeminen? was für ein demokratieverständnis hast du denn? sippenhaft findest du dann wohl auch gut. gibs zu du verteidigst die akp. dann machs wenigstens öffentlich. is ja nich alles schlecht, was sie vorhaben. neuer bosporus. gigantomanische flughäfen. alles auf kosten der umwelt. fahr mal von sabiha gökcen ins zentrum, du kriegst die krise bei den betonburgen. und das ist die korruption, die ich meine. erdogan, bauunternehemer, mediengruppen, erdogamns familie...alles eine soße. und die einfachen menschen, die ihn wählen checkens nicht oder nehmens in kauf. und bei gott, ich wüßte nicht ob die chp da anders wäre. gerade in der kurdenfrage...alles schmu...

          • @ka_minski:

            Was sollen diese Unterstellungen?

            Ich habe einzig auf die Geschichte der Türkei verwiesen und damit darauf aufmerksam machen wollen, dass die Türkei noch keine stabile Demokratie ist und eben auch Medienschaffende jahrzehntelang dazu ihren Beitrag leisteten.

            Die Leute wissen übrigens sehr wohl Bescheid, wer inwieweit von dem Aufschwung und der Transformation der Türkei profitiert. Und sie merken auch, dass es der gesamten Gesellschaft besser geht. Von Edirne bis Van, von Samsun bis Antalya. Ich denke, deswegen konnte die AKP auch ihr Wahlergebnis um weitere 6% verbessern.

            Ach, und kommen Sie mir nicht mit der Umwelt...das ist ja nun jetzt das absolut heuchlerischste Argument überhaupt. Leider wird kein Land der Welt in relativ kurzer Zeit ein solches Wachstum und eine derartige Modernisierung bewältigen, ohne auch hier und da die Umwelt in Mitleidenschaft zu ziehen.

            • @Tim:

              das war keine untersellung. das war polemik. und von wegen heuchlerisch. guck mal: http://www.youtube.com/watch?v=maEcPKBXV0M

              das video deckt sich mit meinen erfahrungen. komisch, dass der boom maßgeblich eben auf solch megaschädlichen projekten, wie dem neuen bosporus beruht. abgesehen davon, dass die türkei mega überschuldet ist. ich mein privatkredite. egal. ah ja und a propos van usw. solang die menschen die akp unterstützen gehts ihnen besser. wenn nicht, d.h sie unterstützen offen die bdp und die kurdische freihheitsbewegung - ich war da - dann sitzen sie entweder im knast oder es geht ihnen nicht besser. im gegenteil. hosca kal.

              • @ka_minski:

                "megaschädlich" :D

                hat die türkei mehr schulden als früher?

                und wenn sie mir mit fragen unterstellungen machen, dann sind das unterstellungen. und ich frage mich, ob man wirklich millionen von stimmen im osten der türkei kaufen kann, denn das ist es ja, was sie zu sagen versuchen.

                übrigens habe ich ihnen das du noch nicht angeboten.

        • @Tim:

          Wenn ich dich richtig verstehe, müssen die Journalisten in der Türkei froh sein, wenn sie nur eingelocht und nicht gleich erschossen werden?

          Wow!

        • @Tim:

          Lästig, diese Putin- und Erdogan-Schranzen in den Presseforen.

          • @hessebub:

            lästig, diese typen wie du, die immer alles über einen kamm scheren...