Türkei: "Es gibt nicht nur einen Islamismus"
Die AKP in der Türkei zeigt, dass Islam und Demokratie vereinbar sind. Doch für Islamisten in der arabischen Welt ist sie kein Vorbild. Denn dort gilt die Türkei als Sonderfall, so die Islamexpertin GUDRUN KRÄMER
taz: Frau Krämer, in der Türkei hat die islamisch-konservative AKP von Regierungschef Erdogan die Wahl gewonnen. Hat dieser Sieg eine Bedeutung für die arabische Welt?
Gudrun Krämer: Sicher hat dieser Erfolg einer Partei, die ihre Wurzeln ursprünglich im politischen Islam hat, enorme Symbolkraft. Schließlich lässt sich daran ja die grundsätzliche Vereinbarkeit von Islam und Demokratie ablesen. Dennoch ist fraglich, inwiefern das Beispiel AKP auf andere Länder übertragbar ist. Dafür weist die Türkei in ihrer historischen Entwicklung zu viele Besonderheiten und Unterschiede speziell zur arabischen Welt auf.
Im Osmanischen Reich stand die arabische Welt unter türkischer Herrschaft. Wie ist das Verhältnis zur modernen Türkei heute? Wird sie als Vorbild gesehen?
Eher als Sonderfall. Das türkische Modell der rigiden Trennung von Staat und Religion, bei dem die Religion dem Staat untergeordnet ist, wird in der arabischen Welt mit Skepsis betrachtet und als fremd empfunden. Auch in der arabischen Welt gibt es zwar liberale Intellektuelle, die für eine striktere Trennung wären, oder muslimische Geistliche, die den Islam gerne von der Vormundschaft des Staates befreit sehen würden. Aber sie bilden nur eine Minderheit.
Die AKP hat im Wahlkampf auf jegliche symbolische Reizthemen verzichtet, selbst das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten und im Parlament will sie bislang nicht antasten. Ist die AKP überhaupt noch eine "islamische" Partei?
Nein, und islamistisch schon gar nicht. Mag sein, dass sie in ihrer politischen Ausrichtung von konservativ-islamischen Moralvorstellungen geprägt ist, was ihre Haltung zu Alkohol, zum Kopftuch oder ganz allgemein zu den Geschlechterrollen angeht. Aber ich vermag nicht zu erkennen, was an ihr ansonsten spezifisch islamisch sein soll.
Trotzdem haben viele säkulare Türken die Gefahr einer "Islamisierung" an die Wand gemalt, sollte die AKP gewinnen. Warum?
Das geht sicher auf die spezielle Tradition des türkischen Laizismus zurück, dem jedes sichtbare Zeichen von Religiösität suspekt ist. Das Kopftuch ist ja nicht von ungefähr ein solches Reizthema in der Türkei.
Auch in manchen arabischen Ländern ist das Kopftuch doch umstritten: In Tunesien gab es Debatten um das Kopftuch an Universitäten, in Ägypten um das Kopftuch von Fernsehmoderatorinnen.
Tunesien ist vermutlich das arabische Land, das der Türkei in dieser Hinsicht am nächsten kommt. Ansonsten ist das Kopftuch in den meisten islamischen Ländern aber kein sonderliches Konfliktthema. In Ägypten ist es bis weit in bürgerliche Mittelschichtskreise hinein verbreitet und akzeptiert.
Die palästinensische Hamas hat den Wahlsieg der AKP begrüßt. Aber gibt es zwischen deren Islam-Verständnis und dem der AKP überhaupt einen gemeinsamen Nenner?
Ich weiß nicht, wie viel ein Hamas-Sprecher in Gaza von der Türkei versteht. Zwischen den Vorstellungen der beiden liegen Welten. Das ist wohl eher einer grundsätzlichen Sympathie für eine Partei geschuldet, die irgendwie mit dem Islam in Verbindung gebracht wird.
Kann die Türkei mit der AKP eine größere politische Rolle in der Region spielen - etwa als Vermittler im Nahen Osten?
Die Türkei wird gerne als "Brücke" betrachtet: Als Brücke zum Kaukasus, nach Zentralasien oder in die islamische Welt insgesamt. Ich würde davor warnen, dies überzubewerten. Dafür ist die außenpolitische Anbindung der Türkei an den Westen und ihr gutes Verhältnis zu Israel zu speziell - und ihre Einflussmöglichkeit auf arabische Länder zu begrenzt.
In vielen arabischen Ländern, etwa in Ägypten und Palästina, schwelt der Konflikt zwischen alten Eliten und Islamisten. Der Westen tendiert dazu, die autoritären Regimes zu unterstützen, weil er die Machtübernahme durch Islamisten fürchtet. Ist das richtig?
Die Vorbehalte gegenüber der Hamas gründen sicher weniger darauf, dass die Hamas eine islamistische Partei ist, als vielmehr darauf, dass sie sich als bewaffnete Widerstandsbewegung gegen Israel versteht, die auch terroristische Mittel einsetzt. Deutschland stellt sich, aus seiner historischen Verantwortung heraus, traditionell an die Seite Israels. In Ägypten liegen die Dinge anders. Wenn der Westen glaubwürdig bleiben will, muss er auf eine demokratische Öffnung drängen. Aber er kann nicht bestimmen, welches Ergebnis ihm gefällt.
Wie groß ist die Gefahr, dass der Konflikt zwischen alten Eliten und Islamisten im Bürgerkrieg endet? Algerien und der Irak bieten dafür abschreckende Beispiele.
Neben Algerien liegt aber Marokko, in dem ein Teil der islamistischen Opposition in das politische System integriert werden konnte. Auch in Kuwait, Jordanien und im Libanon sitzen Islamisten in arabischen Parlamenten, ja selbst in Regierungen. Man muss auch bei Islamisten unterscheiden zwischen gewaltfreien Parteien, die sich in das System einfügen wollen und einfügen lassen, und gewaltbereiten Untergrundbewegungen.
Islamisten beziehen sich gerne auf die Umma, die idealisierte "Gemeinschaft der Muslime". Aber verfolgen sie nicht in jedem Land eine ganz eigene, national-religiöse Agenda?
Es gibt schon so etwas wie ein grundsätzliches Gemeinschaftsgefühl, das viele Muslime teilen. Das erklärt, warum sich Muslime - und nicht nur Islamisten - in Indonesien mit dem Kosovo identifizieren oder in Pakistan für den Palästina-Konflikt interessieren. Jenseits dieses etwas diffusen Solidaritätsgefühls und ihrer Moralpolitik verfolgen die islamischen Bewegungen aber in jedem Land Ziele, die dem lokalen Kontext angepasst sind - auch wenn das eigentlich ihrer Ideologie widerspricht. Manche räumen das inzwischen auch freimütig ein.
Welche Rolle spielt die Durchsetzung der Scharia für Islamisten heute noch?
Die Durchsetzung der Scharia, des islamischen Rechts, zählt nach wie vor zu den Grundforderungen, die von den meisten islamistischen Bewegungen erhoben werden. In den Türkei geht das allerdings nicht, weil man damit gegen die Verfassung verstoßen würde. Die meisten islamistischen Bewegungen in der arabischen Welt beziehen sich vor allem auf die zivilrechtliche Seite der Scharia und fordern etwa ein Alkoholverbot oder schärfere Sittengesetze. Wie sie zum klassischen islamischen Strafrecht stehen, zu drastischen Körperstrafen wie Steinigung und Amputation, dazu halten sie sich meist auffällig bedeckt.
Türkische Theologen haben den Islam mit den Grundsätzen einer säkularen Republik versöhnt. Beeinflusst das islamische Theologie andernorts?
Nein. Institutionen wie die al-Azhar-Universität in Kairo, eine der wichtigsten islamischen Lehrstätten nicht nur der arabischen Welt, orientieren sich nicht an einem Land wie der Türkei, das sie tendenziell als islamische Peripherie betrachten. Eher stellt sich die Frage, wie ein türkischer Religionsstudent, der die strengere Islam-Auslegung der Azhar-Universität in Ägypten oder gar in Saudi-Arabien kennengelernt hat, auf die Dinge in seinem Land blickt, wenn er dorthin zurückkehrt.
INTERVIEW: DANIEL BAX
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!