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Türkei-WahlenHoffnungsträger der Linken

Zwei unabhängige Kandidaten stehen als Alternative für jene, die sich weder von der regierenden AKP noch von nationalistischen Strömungen angesprochen fühlen.

Kurz vor den Wahlen wird Istanbuld nochnmal tapeziert Bild: reuters

ISTANBUL taz Der Hoffnungsträger der türkischen Linken sieht müde aus an diesem frühen Morgen, wenige Tage vor der Wahl. Ufuk Uras, unabhängiger Linker Kandidat im Istanbuler Wahlkreis 1, auf der asiatischen Seite der Stadt, hat zu einem politischen Frühstück in Dudullu eingeladen und viele Freunde und Unterstützer seiner Kampagne sind gekommen. Die meisten von ihnen sind zum ersten Mal in diesem Vorort, weitab vom Zentrum der Stadt. Doch Dudullu gehört nun mal zum Wahlkreis und so geht Ufuk Uras nach dem Frühstück denn auch auf die obligatorische Begrüßungstour durchs Viertel um sich seinen potentiellen Wählern zu stellen.

Parlamentswahlen in der Türkei

Bei der Parlamentswahl in der Türkei am kommenden Sonntag treten neben den großen Parteien erstmals auch viele unabhängige Kandidaten an, weil insbesondere kleinere Parteien angesichts der Zehnprozenthürde keine Chance haben, den Einzug ins Parlament zu schaffen. Vor allem die kurdische DTP lässt ihre Kandidaten als Unabhängige antreten und kann so mit rund 25 bis 30 Abgeordneten rechnen, aber auch die linke ÖDP oder die sozialdemokratische SHP unterstützt dieses Mal nur Unabhängige. Während Ufuk Uras auf viele kurdische Stimmen zählen kann, wird Baskin Oran hauptsächlich von Armeniern (in Istanbul rund 80.000) und frei schwebenden linken Intellektuellen gewählt werden. Beide haben gute Chancen, ins Parlament zu kommen.

Der immer milde lächelnde 48jährige Professor für Ökonomie und Internationale Politik ist ein geborener Händeschüttler. Obwohl zwischen Ufuk Uras und den Leuten von Dudullu Welten liegen, wird er von den Händlern in ihren Gemüseläden, Handyshops und Bekleidungsläden für die islamische Frau, freundlich und interessiert begrüßt. Die meisten kennen ihn nicht, doch wenn er die wachsende Arbeitslosigkeit beklagt und mehr öffentliche Investitionen fordert, klatschen sie begeistert.

Dudullu ist zwar mittlerweile längst kein Slum mehr, sondern eine Ansammlung billiger Appartmenthäuser um einen zentralen Platz herum, auf dem als Ausdruck der ästhetischen Verfeinerung des Viertels eine Plastikpalme steht, doch das Viertel gehört immer noch zu den ärmsten der Stadt. Viele der Bewohner sind in den letzten 20 Jahren aus dem kurdischen Osten nach Istanbul gekommen. Doch Ufuk Uras kann hier, allen kulturellen Unterschieden zum Trotz, durchaus mit einigen Stimmen rechnen, weil die kurdische DTP im Sinne einer Allianz mit der türkischen Linken in seinem Wahlbezirk auf einen eigenen Kandidaten verzichtet hat und stattdessen ihre Anhänger dazu aufruft Uras zu wählen.

Mit dieser Entscheidung der DTP Führung dürfte der Professor, der eigentlich Vorsitzender der links-grünen ÖDP ist und dieses Amt nur formal niedergelegt hat, um als Unabhängiger kandidieren zu können, bereits mindestens die Hälfte der 65.000 Stimmen, die er für den Einzug ins Parlament braucht sicher haben.

Ufuk Uras ist der Meinung, dass der im Moment so hochgespielte Streit zwischen Laizismus auf der einen und Islamismus auf der anderen Seite die Probleme des Landes nicht wirklich beschreiben. "Die AKP will keinen Gottestaat, die eigentlichen Bedrohungen sind die hohe Arbeitslosigkeit, die Putschdrohungen des Militärs und die Nichtanerkennung der Kurden als gleichberechtigter Bürger des Landes.

Die Minderheiten des Landes sind auch das Hauptthema des zweiten unabhängigen linken Kandidaten in Istanbul, Baskin Oran. Mehr noch als Ufuk Uras ist der unmittelbar vor seiner Pensionierung stehende Baskin Oran ein Professor durch und durch. Als Politikwissenschafter hat er seit Jahren über Minderheiten und Nationalismus publiziert, im letzten Jahr gehörte er zu den Intellektuellen, die wegen Beleidigung des Türkentums angeklagt wurden. Landesweit bekannt wurde er aber bereits ein Jahr zuvor, als er im Auftrag der Regierung einen Bericht über die Situation der Minderheiten in der Türkei vorlegte, für den er von den Nationalisten massiv angegriffen wurde und dessen Empfehlungen Ministerpräsident Erdogan fallen ließ wie eine heiße Kartoffel.

Baskin Oran ist im Endspurt des Wahlkampfes nun ebenfalls beim Händeschütteln angekommen, doch im Gegensatz zu Ufuk Uras in Dudullu hat er an diesem Tag ein Heimspiel. Er besucht die Prinzeninsel Kinalli, auf der viele Armenier leben, die ihn begeistert begrüßen. Auf der Insel formiert sich ein kleiner Demonstrationszug, die Leute stehen auf den Balkonen und klatschen. Baskin Oran wird von vielen Armeniern unterstützt, er selbst hat erzählt, dass ihn die Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink, mit dem er eng befreundet war, letztlich zu seiner Kandidatur bewogen hat. Bei der Beerdigung von Dink, an der über 100.000 Menschen teilnahmen, sei ihm noch einmal klar geworden, dass die meisten von ihnen eigentlich von niemandem politisch vertreten werden.

Genau das ist auch der Grund, warum Ufuk Uras und Baskin Oran in diesem Wahlkampf weit über Istanbul hinaus stark beachtet werden. Sie füllen eine Lücke, die zwischen den linken und rechten Nationalisten auf der einen Seite und der islamischen AKP auf der anderen Seite klafft. Gerade viele gebildete, westlich orientierte moderne Türken fühlen sich weder von den einen noch von den anderen repräsentiert. In Istanbul sind viele froh, mit einem von den beiden eine Wahlalternative zu haben. Ufuk Uras hofft, dass daraus mit der Zeit mehr werden könnte. "Wenn wir im Parlament als Unabhängige eine gute Arbeit machen, wird daraus vielleicht in Zukunft eine Regenbogenkoalition, die alle zusammenfasst, die mit der traditionellen türkischen Politik unzufrieden sind".

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