Türkei Gegen die Unterdrückung der Medien regt sich Solidarität bei Bundesregierung und Bundestag: Mehr Haft, mehr Hilfe
Aus Istanbul Jürgen Gottschlich Aus Berlin Martin Kaul
Die Polizei wartete am Fuße der Gangway. Als Akin Atalay, Herausgeber der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet,am Freitagvormittag aus Deutschland am Istanbuler Atatürk-Flughafen landete, nahm ihn ein Kommando der Antiterrorpolizei noch auf dem Rollfeld fest.
Als am 31. Oktober zwölf Mitglieder von Geschäftsführung und Chefredaktion des Blattes festgenommen worden waren, hatte Atalay mit auf der Liste gestanden, ebenso Exchefredakteur Can Dündar. Beide befanden sich im Ausland. Doch während Dündar in Deutschland bleibt, wollte Atalay zurück.
Wenn die Polizei will, wird er nun zunächst fünf Tage weder einen Anwalt noch einen Angehörigen zu sehen bekommen und kann danach noch weitere 25 Tage festgehalten werden, bevor er einem Haftrichter vorgeführt werden muss.
Derweil hat der Prozess gegen die Kollegen von der prokurdischen Tageszeitung Özgür Gündem, die am 16. August verboten worden war, bereits begonnen. Unterstützer des Blattes, so der türkische Repräsentant von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoğlu, der Mathematiker Ahmet Nesin und die Schriftstellerin Şebnem Korur Fincancı, sollen für jeweils 14 Jahre hinter Gitter. Für die berühmte Schriftstellerin Aslı Erdoğan, Beraterin der Redaktion, fordert die Staatsanwaltschaft sogar „lebenslänglich“.
Am Sonntag beginnt in Istanbul die Buchmesse, mit Deutschland als Gastland. Eine Delegation deutscher Verleger wird anreisen und will Solidarität mit verhafteten Schriftstellern und Journalisten zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig wird am Dienstag Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Ankara erwartet.
Eine Diskussion über Sanktionen gegen die türkische Regierung lehnt Steinmeier ab – in Deutschland jedoch plant die Bundesregierung konkrete Hilfe für die türkische Zivilgesellschaft. Im Auswärtigen Amt wird ein Aktionsprogramm vorbereitet, das unter anderem die Förderung türkischsprachiger Onlinemedien vorsieht. Es soll verfolgten Journalisten, Wissenschaftlern und Kulturschaffenden helfen, ihre Arbeit notfalls in Deutschland fortzusetzen.
Am Freitag wandte sich außerdem im Bundestag eine fraktionsübergreifende Initiative von SPD, Linkspartei und Grünen an die Öffentlichkeit. Sie erklärte, dass 60 Bundestagsabgeordnete „Patenschaften“ für Abgeordnete der pro-kurdischen türkischen Oppositionspartei HDP übernommen hätten, deren Führung verhaftet worden ist.
Unter anderem soll geplant sein, dass deutsche Abgeordnete den HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş in der Türkei im Gefängnis besuchen. Für ihn haben die Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann (SPD), Sahra Wagenknecht (Linke) und Anton Hofreiter (Grüne) eine gemeinsame „Patenschaft“ übernommen. Das könnte zu ähnlichen Verstimmungen führen wie der Streit über das Besuchsrecht bei der Bundeswehr auf der Militärbasis Incirlik.
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