■ Türkei: Der Staat will Erbakans Islamisten-Partei verbieten: Die Politik der Betonköpfe
Die Hexenverbrennung wird öffentlich vorbereitet. Die Opfer sind auserkoren. Mit der gestrigen Verteidigung des Vorsitzenden der islamistischen Wohlfahrtspartei, Necmettin Erbakan, vor dem Verfassungsgericht geht es in die Endrunde. Noch in diesem Jahr könnte die Partei, die bei den letzten Wahlen die meisten Stimmen auf sich vereinigte, die stärkste Fraktion in der türkischen Nationalversammlung ist und vor nicht allzulanger Zeit auch den Ministerpräsidenten stellte, verboten werden. Schon jetzt reiben sich die Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichts die Hände.
Ist die Partei erst mal verboten und Erbakans Immunität aufgehoben, können die Richter Erbakan strafrechtlich verfolgen, damit er hinter Schloß und Riegel kein Unheil mehr anrichtet. Im Fall der kurdischen Abgeordneten wurde schon vorgeführt, wozu das politische System in der Lage ist. Vor dem Parlamentsgebäude hat man diese in Polizeiautos gestoßen. Abgeordnete, wie die Sacharow-Preisträgerin Leyla Zana, sitzen immer noch im Gefängnis. Parteiverbote, die auf einem Rechtssystem beruhen, das putschende Generäle nach 1980 der Gesellschaft oktroyierten, sind keine Seltenheit in der Türkei.
Kläglich sind die Beweismittel, die die Staatsanwaltschaft im Verbotsantrag zusammengestellt hat. Ein paar Verfassungsparagraphen, gegen die die Refah-Partei verstoße, ein paar Koran-Suren, zahllose Zeitungsartikel und eine Prise Literaturexegese. Mit dem bestehenden Recht kann man jede Partei verbieten lassen, wenn es in den Kram paßt. Doch es geht nicht um Recht. Es geht um die Exekution des Willens der Generäle, die Erbakan als Ministerpräsident gestürzt haben.
Nicht Integration, sondern Ausgrenzung lautet das Motto des Regimes. Die Forderung der kurdischen Abgeordneten nach Anerkennung der kurdischen Identität und kulturellen Freiheiten hätten nicht das Ende der Türkischen Republik bedeutet. Die Forderung der Islamisten nach Freiheit für das Kopftuch hätte die Türkei nicht in einen islamischen Gottesstaat verwandelt. Integration starker politischer Strömungen in die Gesellschaft verschafft politische Stabilität. In der Türkei läßt man unliebsame Strömungen lieber verbieten und einsperren. In der Gewalt suchen die Marginalisierten schließlich nach Lösungen. Die PKK ist ein Kind solcher Verhältnisse. Und wenn in der Türkei die Betonköpfe weiter wüten, wird der politische Islam der Post-Erbakan-Ära in Gestalt terroristischer Gewalt wiederkehren. Ömer Erzeren
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