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Tuchfühlung „Die Zeit“ lädt zu #D17: Nachahmung von taz.meinland oder Solidarität mit den Übersehenen?Überland

Wer Deutschland verstehen will, muss die Wanddeko ernst nehmen Foto: Nora Klein

von Jan Feddersen

Wenn eine Zeitung für sich in Anspruch nehmen kann, sich in dieser Zeit auch um das zu kümmern, was – sozusagen – an der Basis des Landes los ist, dann gewiss auch die Zeit. So von wegen: AfD, Rechtspopulismus und Unmut an der demokratischen Verfasstheit. Das Blatt der bürgerlichen Vernunft hat sich in den vergangenen Monaten schon sehr um die Erörterung der übersehenen Themen der Republik gekümmert, neulich war ein Dossier über die aktuellen Daseinsformen der Arbeiterklasse zu lesen. Das war insofern verdienstvoll, als die working class in der Zeit faktisch gar kein Gewicht hat, kulturell gesehen. Das dürfen wir sagen, denn: Als taz sitzen wir ja ohnehin auch im Glashaus …

Jedenfalls: Jetzt satteln die Medienmacher drauf: Zeit-Online startet ihre Kampagne namens #D17. „Warum wir #D17 starten“, erklärt Zeit-Online-Chef Jochen Wegner. „Wir haben gelernt, dass Journalisten das Gefühl für die Hälfte eines ganzen Landes verlieren können. Dass ganze Gesellschaften verlernen können, miteinander zu reden. Dass Desinformation und Propaganda Erfolg haben können. Wir haben gelernt, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher, weil die Welt und Deutschland in Bewegung sind wie seit 1989 nicht mehr.“

Es geht, konkret gesagt, um Gesprächsforen, Reportagetexte und Ausflüge in die Welten der Republik. Als wir davon hörten, dachten wir natürlich: Das ist ja wie wir, wie unsere Idee von taz.meinland. Fast gleich – denn wir wollen nicht über Leute und ihre Verhältnisse sprechen, sondern mit ihnen, etwa schon in Sassnitz, Güstrow, Schleife, Lausitz, Berlin und gestern Abend auch in Crottendorf im Erzgebirge. Sei’s drum: So wie die Zeit sind auch wir seit Monaten, übrigens wie die Kolleg*innen von NDR-„Panorama“ und den ARD-„Tagesthemen“ – auf der Suche nach den Atmosphären im Lande, die ein gedeihliches, zivilisiertes Leben vergiften.

Wir alle sind auf der Suche nach Atmosphären im Land, die ein gedeihliches Leben vergiften

Nur ein Wort Wegners lässt uns fragen: Was heißt „Überland“? Lädt das nicht ein zu Missverständnissen im Sinne von „Überland gleich Überflieger“? Wo doch gerade für die bürgerlichen Medien gilt, so taz-Chefredakteur Georg Löwisch, den antrainierten Fly-over-Journalismus zu verlernen. Und stattdessen den guten oder auch den hässlichen Stimmen zuzuhören und sie nicht zu verschweigen. Eben nicht überfliegend, wie der Appell „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ unterstellt, sondern echt auf Augenhöhe anhörend.

Einerlei: Die Zeit hat natürlich auch erfahren, dass die „Tagesthemen“-Basisrecherchen gerngesehen werden und unsere Zeitung mit taz.meinland Erfolg hat. Gut so. Mehr Medien braucht das Land, die atmosphärisch besser recherchieren und ihren Journalismus auf Feinfühligkeit stellen. Jetzt ist auch dieses Blatt im Spiel: Herzlich willkommen, Kolleg*innen.

Jan Feddersen leitet das Projekt taz.meinland – taz on Tour für die offene Gesellschaft

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