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Tuchel als England-TrainerÜberschaubarer Vertrauensvorschuss

Thomas Tuchel hat sein Debüt als England-Coach mit 2:0 gewonnen. Aber seine vernichtende Kritik am beliebten Vorgänger Southgate ist riskant.

Auch bei früheren Arbeitgebern kein Liebling der Massen: Thomas Tuchel Foto: Andrew Couldridge/Reuters

Es war ein unfallfreies Debüt. So weit, so gut. Vom Hocker gehauen hat das Spiel aber niemanden. In seinem ersten Spiel als Cheftrainer der englischen Nationalmannschaft gewann Thomas Tuchels Team im WM-Qualifikationsspiel mit 2:0 gegen Albanien, das sich kaum wehrte. So war es relativ ruhig im Wembley-Stadion, und auch Tuchel war die meiste Zeit ungewohnt ruhig.

Zufrieden war er aber nicht. Er monierte, dass es in einer schwierigen zweiten Halbzeit an Disziplin gemangelt habe und er von seinen Spielern unbeeindruckt gewesen sei. Phil Foden und Marcus Rashford wurden ausgewechselt, nachdem sie ihre Chance nicht genutzt hatten. Aber immerhin reichte der Auftritt für den Pflichtsieg.

Das ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Die letzten zehn Trainer der Three Lions hatten ebenfalls ihr erstes Spiel gewonnen, aber für irgendeine Trophäe reichte es danach nicht. Tuchel hätte sich für seine Mission, den WM-Pokal nach England zu holen, lieber an Alf Ramsey halten sollen, den einzigen Trainer, der sein erstes Spiel verloren hat. Sein Team musste sich 1963 im Parc des Princes mit 2:5 gegen Frankreich geschlagen geben. Drei Jahre später war Ramseys England Weltmeister.

Diese Zeit hat Tuchel nicht. Man hat ihm einen 18-monatigen Vertrag zugestanden. Er hat also nur eine Chance, sein Ziel zu erreichen. Vermutlich war das ein kluger Schachzug vom englischen Verband, denn es dauert nie sehr lange, bis Tuchel sich mit seinen Vorgesetzten entzweit. Er blieb zwei Jahre in Dortmund, zweieinhalb bei PSG, 19 Monate bei Chelsea, 14 bei Bayern.

Vernichtendes Urteil

Vor dem Spiel gegen Albanien fällte Tuchel ein vernichtendes Urteil über Englands Spielstil unter seinem Vorgänger Gareth Southgate bei der Europameisterschaft im vergangenen Sommer. Es fehlte „die Identität, die Klarheit, der Rhythmus, die Wiederholung von Mustern, die Freiheit der Spieler, der Ausdruck der Spieler, der Hunger“. Also praktisch alles. Und obendrein entfachte Harry Kane keinen Funken Leben.

Diese Analyse ist mutig, aber riskant. Southgate war beliebt, und immerhin hat er die Mannschaft ins Finale geführt. Es gibt keinen Job in England, bei dem man von mehr Menschen beobachtet und bewertet wird, und das Hasspotenzial ist groß. Hinzu kommt bei Tuchel die Unannehmlichkeit seines deutschen Passes. Die Boulevardpresse, allen voran die Daily Mail, sägt seit der Vertragsunterzeichnung im Oktober an seinem Stuhl und wartet auf einen Ausrutscher.

„Lachnummer des Weltfußballs“

„Ein düsterer Tag für England, denn der Trainerjob geht an einen DEUTSCHEN“, krächzte das Blatt damals. „Wir sind die Lachnummer des Weltfußballs.“ Tatsächlich ist Tuchel nach Sven-Göran Eriksson und Fabio Capello erst der dritte Ausländer, der die englische Herren-Nationalmannschaft trainiert.

Gary Lineker, Englands Fußball-Legende, der in 82 Länderspielen für die Three Lions 48 Tore erzielte, hätte Tuchel den Job ebenfalls nicht gegeben. Er hätte sich für Lee Carsley entschieden, der als Interimstrainer zwischen Southgate und Tuchel fungierte. Lineker war der Meinung, Carsley habe England einen unterhaltsamen und offensiven Fußball beschert.

„Tradition ist, nicht zu gewinnen“

Carsley hat einen irischen Pass, und er hat die Republik Irland auf internationaler Ebene bei der Weltmeisterschaft 2002 vertreten. Aber Iren gelten in England nur dann als Ausländer, wenn sie betrunken in der Gosse liegen. Sind sie erfolgreich, werden sie flugs eingemeindet.

„Ich habe es jetzt schon so oft gehört“, stöhnte Tuchel: „Das Gewicht des Trikots, das Gewicht des Trikots. Wir sind doch keine Seriensieger. Die Tradition der englischen Nationalmannschaft ist es, nicht zu gewinnen, und wir müssen akzeptieren, dass wir in Amerika nicht die Favoriten sind.“

Dass sich England für das Turnier qualifiziert, gilt als Formsache. Am heutigen Montag geht es im zweiten Qualifikationsspiel gegen Lettland. Man erwartet von ­Tuchel den zweiten Sieg. Er habe sich noch nicht über Lettland informiert, sagte er. „Wir hatten schwere Beine, waren sogar ein bisschen müde. Wir brauchen einen ganzen Tag zur Erholung.“ Aber er habe volles Vertrauen in alle 22 Spieler. Wie groß das Vertrauen in ihn ist, wird sich nach den ersten Niederlagen erweisen.

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1 Kommentar

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  • Tuchel hat wirklich Ahnung vom Fußball, er ist eigentlich ein sehr guter Trainer. Problemtisch ist das Zwischenmenschliche und die Außendarstellung, was aber auch in jedem Arbeitsverhältnis eine Rolle spielt, besonders aber in einem solchen Amt.



    Zu asketisch, zu hart mit sich und anderen, wenig Wärme und Empathie ausstrahlend, das kann nur mit überbordendem Erfolg wettgemacht werden. Den hatte er in Mainz und bei Chelsea, in Ansätzen in Dortmund und Paris, kein bißchen bei der Fröttmaninger Fußball-AG. Als Nationaltrainer, wo man nur sehr begrenzt die Spieler formen, nerdig am System feilen und tüfteln kann sind andere Qualitäten gefragt. Die richtigen Spieler nominieren, Sicherheit geben, über Jahre eine Mannschaft ein System spielen und einüben lassen. Dazu sollte man eher nicht die Stinkstiefelkarte spielen, schon gar nicht als Kraut auf der Insel. Aus Tuchel wird kein Klopp mehr, marschieren die Three Lions zum Titel wird alles gut, andernfalls ist nach der WM Schluss.