Tschetschenien: Leichen aus Hubschraubern abgeworfen

In Tschetschenien sinkt laut der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial zwar die Zahl der Entführungen, aber es herrscht weiterhin Gewalt von erschreckendem Ausmaß.

Hat wenige politische Erfahrung: Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow Bild: ap

Die Menschenrechtslage in der jahrelang erbittert umkämpften russischen Nordkaukasusrepublik Tschetschenien ist unverändert angespannt. Zwar sei die Hauptstadt Grosny vollständig wiederaufgebaut worden, in die medizinische Versorgung werde wieder investiert und auch die Zahl der Entführungen durch bewaffnete Angehörige des Machtapparats habe sich sehr stark verringert. Dennoch herrsche nach wie vor Gewalt von erschreckendem Ausmaß. Zu diesem Ergebnis kommt die russische Menschenrechtlerin und Flüchtlingsbeauftragte der Menschenrechtsorganisation Memorial, Svetlana Gannuschkina, in ihrem jüngsten Jahresbericht zur Situation von Tschetschenen in der Russischen Föderation.

So wurden Ende März in einem Wald bei Samaschki mehrere verstümmelte, in Säcken verpackte Leichen entdeckt, die von russischen Hubschraubern abgeworfen worden waren. Unter den Toten war auch Ruslan Eliew. Die Spuren, die man an seinem Körper entdeckte, deuten auf Folter hin. Ruslan Eliew waren Finger- und Fußnägel herausgerissen und die Augen ausgestochen worden, er hatte am Körper Verbrennungen, seine Finger waren gebrochen, Ohren und Nase abgeschnitten. Eliew war Ende 2006 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku von Unbekannten entführt worden.

Besonders gefährdet sind auch die Bewohner der Bergregionen. Regelmäßig werden dort vermeintliche Rebellen beschossen und getötet. Als Dorfbewohner eines Nachts aus einem stillgelegten Industrieobjekt dort verbliebendes Metall mitnehmen wollten, wurden sie von einem Armeehubschrauber entdeckt und mit einer Rakete angegriffen. Zwei Menschen starben. Die Hubschrauberbesatzung war sich sicher, Rebellen getroffen zu haben. Bestraft wurde bislang keiner der Verantwortlichen.

Während die Zahl der Entführungen in Tschetschenien sinkt, steigt sie in den Nachbarrepubliken Nordossetien, Inguschetien und Dagestan. Statistisch gesehen, so der Bericht, werden inzwischen in Inguschetien mehr Menschen entführt als in Tschetschenien. Da es in Inguschetien kein eigenes Untersuchungsgefängnis gibt, werden Entführte und Gefangene nach Wladikawkas in Nordossetien gebracht. Dort können sie nicht auf Milde hoffen. Seit Jahrzehnten sind Osseten und Inguschen verfeindet, Pogrome gegen die inguschische Minderheit im ossetischen Prigorodny führten 1992 fast zu einem Krieg.

Besonders häufige Opfer von Entführungen und Mord sind Tschetschenen, die lange im Ausland gelebt hatten. Ihnen wird unterstellt, dort gutes Geld verdient oder sich bei den Rebellen in den Wäldern versteckt gehalten zu haben. Der Bericht beschreibt das Schicksal von Tschetschenen aus der Ukraine, Großbritannien und Frankreich, die kurz nach der Ankunft in ihrer Heimat getötet wurden.

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der russische Präsident Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg, russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den FSB im März 2005 ist der bewaffnete Widerstand bedeutungslos.

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