Tschechische Ratspräsidentschaft: Europa schaut voll Skepsis nach Prag
Impulse für Europas Einigungsprozess erwartet kaum jemand von der neuen tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Selbst den Lissabon-Vertrag muss Prag erst noch ratifizieren.
Am 1. Januar übernimmt Tschechien für sechs Monate den Vorsitz der Europäischen Union. Die Voraussetzungen sind denkbar schlecht. Das Land ist klein, Neuling in der EU, steht im Schatten des lärmenden Vorgängers Frankreich und ist innerlich tief zerstritten. Sein Präsident Václav Klaus ist "Europas hochrangigster Euroskeptiker", wie eine Zeitung kürzlich schrieb.
Als die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im Europaparlament Anfang Dezember Klaus einen Besuch auf der Prager Burg abstatteten, konnten sie sich von seinem Demokratieverständnis persönlich überzeugen. Der grüne Fraktionsvorsitzende Daniel Cohn-Bendit hatte ein Europafähnchen mitgebracht, das er Klaus auf den Schreibtisch stellte. Dann befragte er ihn zu seinem Treffen mit Declan Ganley, dem irischen Unternehmer, der die Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag finanziert hatte. "Wie können Sie sich mit einem Mann treffen, von dem nicht klar ist, wer ihn bezahlt? In Ihrer neuen Funktion (als Ratsvorsitzender) haben Sie sich nicht mehr mit ihm zu treffen!"
Klaus antwortete, in den sechs Jahren, die er Präsident sei, habe niemand so mit ihm gesprochen. "Sie sind hier nicht auf den Pariser Barrikaden." Dann forderte er Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering auf, Cohn-Bendit das Wort zu entziehen. Pöttering antwortete: "Mein Kollege darf fortfahren, weil jeder der Abgeordneten Sie das fragen wird, was er möchte." Diese Antwort fand Klaus so unerhört, dass er das Protokoll des Treffens auf seiner Website veröffentlichte.
Impulse für Europas Einigungsprozess erwartet sich also niemand. Dabei stehen zwei Ereignisse auf der Tagesordnung, die ein wenig Enthusiasmus gut gebrauchen könnten: Die Europawahl Anfang Juni und die zweite Werbekampagne für den Lissabon-Vertrag, der im Herbst erneut den Iren zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Dabei eignet sich die neue Ratspräsidentschaft ganz besonders schlecht als Werbeträger. Denn sie hat selbst die Ratifizierung mehrfach verschoben.
Nach neuestem Nachrichtenstand soll das tschechische Parlament am 3. Februar endlich darüber debattieren. Ob dann auch abgestimmt wird, ist ungewiss. Denn Regierungschef Mirek Topolánek von der Demokratischen Bürgerpartei ODS verfügt mit seiner Koalition aus Christdemokraten und Grünen nur über eine hauchdünne Mehrheit. Für den Lissabon-Vertrag aber ist eine Zustimmung von drei Fünfteln in beiden Parlamentskammern erforderlich.
Unter diesen Bedingungen verwundert es nicht, dass Ende Dezember auf der Website der neuen tschechischen Ratspräsidentschaft (eu2009.cz) nur ein paar dünne Terminlisten zu finden waren. Das 32-seitige Arbeitsprogramm lag zunächst nur in tschechischer Sprache vor. Es steht unter dem schönen Motto "Europa ohne Grenzen", was immerhin verrät, dass sich Tschechien dafür einsetzen will, dass der europäische Arbeitsmarkt ohne Einschränkungen für osteuropäische Arbeitnehmer geöffnet wird.
Außerdem setzt Tschechien auf die drei großen E: Economy, Energy and External Relations, also Wirtschaft, Energie und Außenbeziehungen. Vor allem die gemeinsame europäische Energiepolitik steht auf der tschechischen Agenda ganz oben, da sich das Land vom Nachbarn Russland möglichst unabhängig machen will. Das Nabucco-Projekt soll vorangebracht werden, eine Gaspipeline, die Zugang zu Feldern am Kaspischen Meer ermöglicht, ohne russisches Territorium zu durchqueren.
Ferner will Tschechien dafür sorgen, dass sich die EU und die USA wieder näherkommen. Beim jährlichen Gipfel ist 2009 Washington als Gastgeber an der Reihe. Doch in Prag träumt man davon, Obama eine große Welcome-Party auf der Prager Burg zu geben und alle 27 europäischen Regierungschefs dazu einzuladen. Am 1. Mai wird ebenfalls gefeiert - fünf Jahre Osterweiterung oder "europäische Wiedervereinigung" sollen als großer Erfolg herausgestellt werden.
Zu diesem Erfolg müsste nicht zuletzt die tschechische Ratspräsidentschaft beitragen. Slowenien brachte die Aufgabe vor einem Jahr mit Anstand, aber wenig Impulsen hinter sich. Wenn es Tschechien nicht gelingt, seinen innenpolitischen Zwist für die kommenden sechs Monate beiseite zu schieben, wird ein schaler Nachgeschmack bleiben. Manch einer mag sich dann sogar nach dem Hyperaktivisten Sarkozy zurücksehnen, der Europa zwar manch überflüssige Konferenz beschert hat, aber kein Gefühl der Lähmung.
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