Tschechien will neue Reaktoren: Atomkraftwerk als Nationaldenkmal
Der Staatskonzern EZ plant den Ausbau der beiden AKW-Standorte Temelín und Dukovany. Zwei Drittel aller Tschechen halten Atomstrom für begrüßenswert.
In Tschechien gehen demnächst die Lichter aus. Mit diesem Szenario droht sowohl die Regierung wie auch die Atomlobby. Natürlich haben beide eine Lösung parat: Erweiterung des AKW Temelín und Neubau eines AKW in Dukovany. Ohne den Neubau sei "die Gefahr, der Strom könne in den kommenden zehn Jahren knapp werden, durchaus real", so Petr Otcenásek von der "Unabhängigen Energiekommission", einem regierungsnahen Think-Tank.
Deshalb will noch in diesem Jahr der tschechische Energiekonzern CEZ um einen Ausbau des AKW Temelín ersuchen - um zwei weitere 1.000-Megawatt-Reaktoren. Das Kraftwerk bleibt umstritten, vor allem weil in ihm zwei Welten aufeinandertreffen: Die beiden 1.000-Megawatt-WWER-Reaktoren stammen noch aus sowjetischer Produktion. Ihr Betriebs- und Sicherheitssystem dagegen wurden von westlichen Firmen wie Westinghouse geliefert. Seit Inbetriebnahme Ende 2000 ist es zu über 100 Störfällen gekommen. Dennoch ist Temelín im Ingenieursland Tschechien zu so etwas wie einem Nationaldenkmal geworden, einem beliebten Ziel für sonntägliche Familienausflüge.
"Eine Erweiterung ist die vorteilhafteste und billigste Variante", erklärte CEZ-Sprecherin Eva Nováková. Geld sollte dabei die kleinste Rolle spielen. 2007 fuhr der Konzern - zu 67 Prozent im Staatsbesitz - den Rekordgewinn von 1,7 Milliarden Euro ein. Rund ein Viertel ihres Stroms verkauft die CEZ dabei ins Ausland, die in den letzten Jahren immer mehr zum "global player" avancierte. Vor allem auf dem Balkan und in Russland investierte CEZ, derzeit bewirbt sie sich auf ausländischen Märkten um Aufträge im Wert von 16 Milliarden Euro.
Auch im Böhmisch-Mährischen Hochland will die CEZ weiter investieren. Das AKW Dukovany aus den 80er-Jahren soll erweitert oder gar neu gebaut werden. Hier hat die CEZ schon die Änderung des Bebauungsplans beantragt. Die Lobbyarbeit des Staatskonzerns - allein 2007 hat CEZ der Gemeinde Dukovany mit 120.000 Euro unter die Arme gegriffen - trägt jedenfalls Blüten. "Wir sind stolz darauf, dass jede fünfte Glühbirne im Land mit Strom aus Dukovany scheint", erklärte ein Vertreter der Region. Der Bau von 21 Windkraftwerken wurde dort gerade abgelehnt.
Bei so viel nuklearem Enthusiasmus werden gern einmal getroffene Abmachungen vergessen. Der Koalitionsvertrag der christdemokratisch-grünen Regierung lehnt jeglichen Ausbau der Atomenergie ab. Allerdings wäre es nicht das erste Mal, dass die größte Regierungspartei, die konservative ODS, ihren grünen Koalitionspartner übergeht. Eine Studie des Industrieministeriums behauptet: "Trotz Protesten aus dem Ausland und Widerständen ökologischer Aktivisten steht der Bau weiterer Reaktorblöcke außer Zweifel."
"Wir müssen zeigen, ob wir hinter unserer Energiepolitik stehen", sagt die grüne Vizevorsitzende Dana Kuchtová. Sie würde zwar dafür plädieren, im Falle des AKW-Ausbaus aus der Regierung auszutreten. Aber, so meint sie: "Das machen die auch ohne uns." Denn nicht nur Industrieminister Martin Ríman, sondern auch die sozialdemokratische Opposition und gut zwei Drittel der Bevölkerung sehen das Atom als Kern der tschechischen Energiepolitik. Kuchtová: "Der Druck ist enorm."
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