Tschad-Oppositionsführer wieder frei: Den Entführern entkommen
Der Oppositionspolitiker Politiker Ngarlejy Yorongar, der vor fünf Wochen im Tschad entführt wurde, ist wieder frei - und erhebt Vorwürfe gegenüber Frankreich und der EU.
PARIS taz Daß sie Ngarlejy Yorongar in diesem Leben noch einmal begegnen würden, hatten nur wenige erwartet. Dazu war der oppositionelle Parlamentsabgeordnete aus dem Tschad zu lange verschwunden. Auf dem Höhepunkt der "Schlacht um N'Djamena", als Rebellen auf die Hauptstadt marschierten und von Regierungstruppen wieder in die Flucht geschlagen wurden, waren am 3. Februar Männer in Uniform zu dem Politiker gekommen, der bei den letzten Wahlen der gefährlichste Gegner von Präsident Idriss Déby war. Sie schlugen ihn vor seiner Frau und seinen Kindern. Und nahmen ihn mit. Seither verlor sich jede Spur von Yorongar. Genauso wie von den anderen Oppositionellen des Tschad, die am selben Tag und auf dieselbe Art in N'Djamena "verschwunden" sind.
Fünf Wochen danach sitzt der 59jährige Yorongar aus dem ölreichen Süden des Tschad leibhaftig vor der Auslandspresse in Paris. In gepflegtem Anzug und roter Krawatte und scheinbar guter körperlicher Verfassung. Lächelnd sagt er "merci". Sein Dank geht an die Adresse von vier Staatschefs (Gabun, Senegal, Burkina Faso, und Frankreich), die sich bei Präsident Déby dafür eingesetzt hätten, sein Leben zu retten. "Mach nicht den Fehler, ihn umzubringen" soll der gabunesische Präsident Omar Bongo seinem Kollegen in N'Djamena am Telefon gesagt haben.
Präsident Déby bestreitet, daß er irgend etwas mit dem Schicksal seiner politischen Gegenspieler zu tun habe. Und unterstellt, die Rebellen wären für deren Verschwinden verantwortlich. Doch als sich die EU einschaltet und schließlich auch die einstige Kolonialmacht Frankreich, die eine permanente Militärbasis im Tschad hat, und als beide "Aufklärung" von Déby verlangen, tauchen einige Totgeglaubte wieder auf. Yorongar flieht auf dem Umweg über Kamerun nach Paris.
Bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Flucht beschreibt Yorongar an diesem Dienstag Morgen seine Entführung durch Uniformierte, die die gelbe Armbinde der Präsidentialgarde tragen und von einem "dirécteur général" befehligt werden.
Seine 19 Tage in einem "Geheimgefängnis" auf einem Militärgelände "am Rand des Gartens von Präsident Idriss Déby": er sei während dieser Zeit an einen Stuhl gefesselt gewesen und kein einziges Mal verhört worden. Seine letzte Begegnung mit einem anderen Oppositionellen, der weiterhin "verschwunden" ist, und um dessen Leben er fürchtet: Ibn Oumar Mahamat Saleh sei am 3. Februar kurz nach ihm auf das Militärgelände gebracht worden. Saleh habe sich schon da in "schlechter Verfassung" befunden, "hatte keine Brille mehr und versuchte sich so gut wie er konnte gegen die Schläge und Tritte zu verteidigen." Und seine eigene simulierte Exekution auf einem Friedhof am Stadtrand von N'Djamena.
In dem Pressesaal in Paris ist es mucksmäuschenstill, als Yorongar mit sanfter Stimme erzählt: "Zwei Männer verbanden mir die Augen, brachten mich in einen Toyota und fuhren zu dem Friedhof." Der Abgeordnete soll sich zwischen zwei Gräber legen. Er will ein letztes Mal beten. Kniet nieder. Fleht seinen (christlichen) Gott um Gnade für seine beiden Peiniger an. Bekommt Ohrfeigen. Muß sich wieder bäuchlings zwischen die Gräber legen. Hört die Schritte der Männer, die sich entfernen. Ihre Schüsse, die neben ihm auf den Boden gehen. Und den Motor ihres Wagens bei der Abfahrt.
In Paris ist Yorongar bereits in die Sprechstunde des Primo-Levi-Zentrums für Folteropfer gegangen, wo er seit zehn Jahren immer wieder Patient ist. Während seiner insgesamt 14 Gefangenschaften im Tschad ist er immer wieder gefoltert und mit dem Tod bedroht worden. Aber Außenminister Bernard Kouchner und Staatspräsident Nicolas Sarkozy haben noch nicht auf seine Bitte um eine "Audienz" reagiert. Yorongar, der einst in Frankreich Jura studiert hat, zeigt diplomatisch Verständnis: "Hier ist Wahlkampf". Und erinnert Paris zugleich an seine Verantwortung für die Situation im Tschad: "Ohne die militärischen Informationen von Frankreich wäre Déby längst auf die andere Seite des Flusses geflohen", sagt er.
Die französischen Soldaten in seinem Land nennt er einen "Schirm, der Déby vor einem Putsch oder einem Sieg der Opposition in der Urne schützt". Und die Präsenz von künftig 3.700 europäischen Soldaten werde "nichts" an der Situation im Tschad ändern, ist er überzeugt. Das hat Yorongar auch an EU-Kommissionspräsident Baroso geschrieben.
"So bald wie möglich" will Yorongar in sein Land zurück. Er will Déby von der Macht vertreiben: Nicht mit einer Rebellion "dieses Spiel mache ich nicht mehr mit" sondern in Wahlen. Nachdem er überlebt hat, hofft der Oppositionelle jetzt auf Unterstützung aus Paris. "Kein vernünftiger afrikanischer Politiker würde gegen französische Interessen handeln", bietet er sich der französischen Spitze als politische Alternative an. Zur Demokratisierung seines Landes nennt er Verhandlungen "mit allen politischen Beteiligten" den einzig möglichen Weg. Und einen Vorschlag hat er auch für Präsident Déby, der sich einst an die Macht geputscht und dort mit brutalem Vorgehen gehalten hat. Um den Herrschern in N'Djamena die Angst vor juristischer Verfolgung zu nehmen, schlägt er ihm Straffreiheit vor: "Lebenslängliche Immunität".
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