Trotz Chinas Härte gegen Tibeter: Amnesty gegen Olympia-Boykott
China Schüsse gibt Schüsse auf Demonstranten zu und fahndet nach Aufständlern, Truppen marschieren in Tibet ein. Amnesty International ist trotz Menschenrechts-Verletzungen gegen einen Olympia-Boykott.
PEKING/ZHONGDIAN/BERLIN taz/dpa/ap Hunderte paramilitärische Polizisten rücken seit Donnerstag in Tibet an, auch in den Nachbarprovinzen gab es neue Truppenaufmärsche. Tausende Soldaten wurden neu in die von Tibetern bewohnten Regionen im Westen Chinas verlegt. Die chinesische Regierung hat unterdessen ihre Fahndung nach Demonstranten verschärft, die sich an den antichinesischen Protesten in Tibet beteiligt haben.
Die chinesischen Behörden haben im Internet Fotos von den meistgesuchten Teilnehmern der gewalttätigen Ausschreitungen in der tibetischen Hauptstadt Lhasa veröffentlicht. Auf Websites wie Yahoo und Sina.com waren am Freitag Fotos von 19 Demonstranten zu sehen, die während der Proteste in Lhasa eine Woche zuvor aufgenommen worden waren. Den Fotos ist der Aufruf beigefügt, der Polizei Hinweise über den Aufenthaltsort der Verdächtigen zu liefern.
China hat außerdem erstmals zugegeben, dass die Polizei während der blutigen Unruhen in von Tibetern bewohnten Gebieten auf Demonstranten geschossen hat. Das berichtete am Freitag die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf Polizeiquellen. Demnach hätten Polizisten bei Unruhen am vergangenen Sonntag im Bezirk Aba in der Provinz Sichuan aus "Notwehr" das Feuer eröffnet. Nachdem die Nachrichtenagentur zunächst von vier Toten gesprochen hatte, berichtigte sie die Angabe später auf vier Verletzte durch die Polizeischüsse.
Die Berichte stehen im Widerspruch zu bisherigen offiziellen Beteuerungen, wonach keine Schüsse abgegeben worden seien. Der Sprecher des Außenministeriums hatte am Donnerstag bekräftigt, dass keine tödlichen Waffen zum Einsatz gekommen seien. Am Freitag korrigierte das Ministerium den Eindruck, dass sich seine Äußerungen auch auf die Gebiete außerhalb Lhasas bezogen hätten. Eine örtliche Quelle hatte der Deutschen Presse-Agentur dpa in Peking bestätigt, dass bei Protesten in Aba seit Freitag 18 Menschen von chinesischen Sicherheitskräften erschossen wurden.
Bevor die Schüsse gefallen seien, hätten die Demonstranten Polizisten mit Messern angegriffen und versucht, ihnen die Waffen zu entreißen, hieß es in dem Xinhua-Bericht weiter. Eine Polizeistation sei bei den Unruhen niedergebrannt, Polizeiautos seien zerstört worden. Die Polizei habe zunächst Warnschüsse abgegeben, sei danach aber weiter "attackiert" worden, hieß es. "Die Polizei war aus Notwehr gezwungen, das Feuer zu eröffnen"" sagte eine Polizeiquelle laut Xinhua. Die Verletzten seien daraufhin geflüchtet.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht sich trotz der verheerenden Lage der Menschenrechte in China gegen einen Boykott der Olympischen Spiele in China aus. Rund sechseinhalb Jahre nach der Vergabe der Spiele an Peking hat Amnesty eine ernüchternde Menschenrechtsbilanz für China gezogen. Es gebe nach wie vor Folter, Misshandlungen, willkürliche politische Inhaftierungen, Repressalien wie "Umerziehung durch Arbeit" und viele Todesurteile, kritisierte Dirk Pleiter, der China-Experte der Menschenrechtsorganisation. Es gebe allerdings auch leichte Verbesserungen etwa im Strafrecht. Amnesty sei weiter gegen einen Olympia-Boykott, weil die Spiele die Chance böten, dass China größere Schritte in diese Richtung gehe.
Amnesty geht nach Worten Pleiters von 1010 Hinrichtungen im Jahr 2006 aus. "Damit sind uns aus China mehr Hinrichtungen bekannt als aus allen anderen Länder dieser Erde zusammen." Allerdings sei dies eher die "Spitze des Eisberges". Es gebe Schätzungen von 7500 bis 8000 Hinrichtungen für diesen Zeitraum. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) habe sich 2001 bei der Vergabe der Sommerspiele offenbar vor allem auf das "Prinzip Hoffnung" und auf die Zusagen Chinas zur Verbesserung der Menschenrechte verlassen. "Es gibt aber keinen Automatismus - das hat spätestens die Entwicklung in Tibet gezeigt."
Pleiter hält neben einem ernsthaften Dialog mit China auch politischen Druck für notwendig, um das Land zu Veränderungen zu bewegen. Der politische Spielraum, den auch das IOC habe, sei bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Spiele seien ein nationales Projekt. "Die chinesische Regierung hat gar keine andere Wahl, als die Spiele zu einem Erfolg zu machen. Das eröffnet Einflussmöglichkeiten, die aber auch genutzt werden müssen." Das IOC müsse jetzt die Forderungen nach Entsendung unabhängiger Beobachter nach Tibet übernehmen und sich auch für die Freilassung inhaftierter Olympia-Kritiker in China einsetzen. "Wir vermissen es schon, dass aus der olympischen Bewegung keiner die Stimme erhebt und dafür eintritt, dass man sich um diese Menschen bemüht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!