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Trolle sollen büßen

Niedersachsen will stärker gegen Hass im Netz kämpfen

Von 46 Beleidigungen, die der Innenminister selbst zur Anzeige gebracht hatte, wurden 36 Verfahren eingestellt

Ob Anzeigen gegen Hass und Hetze im Netz ernst genommen und strafrechtlich verfolgt werden, ist immer noch schwer kalkulierbar – das ist eine Erfahrung, die viele Betroffene machen. Auch Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) und Innenminister Boris Pistorius (SPD) räumten das bei einer Pressekonferenz am Freitag ein.

Er kenne den Frust, sagt Pistorius, er habe ja selbst seit November 2019 46 Fälle von Beleidigungen und Bedrohungen gegen sich zur Anzeige gebracht. 36 dieser Verfahren wurden eingestellt, 10 laufen noch. Sie würde sich auch wünschen, dass das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung überdenke, sagt Justizministerin Havliza. Die Grenzen zwischen dem, was als strafbare Beleidigung gilt oder was gerade noch als zulässige Meinungsäußerung durchgehe, seien da bisweilen doch sehr weit gesteckt – und für einen Laien gar nicht mehr nachvollziehbar. Aber um einen Bewusstseinswandel zu bewirken, müsse man eben hartnäckig bleiben und konsequent weiter anzeigen.

Damit Medien das leichter tun können, in deren Kommentarspalten der Wutschaum ja häufig kübelweise ausgekippt wird, gibt es jetzt eine Kooperation mit der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM). Über ein eigens eingerichtetes Portal können dort die Screenshots und sonstigen Daten hochgeladen werden. Die Juristen der NLM prüfen, ob die Sachverhalte strafbar sind – und leiten die Anzeige gegebenenfalls an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiter. Ähnliche Kooperationen gibt es in anderen Bundesländern auch schon. Man betrachte dies, sagt NLM-Chef Christian Krebs, sozusagen als logische Erweiterung eines Auftrages, den die Anstalt ja schon immer wahrnehme: die ungehinderte öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen. Für die Anzeigenerstattung über das Portal muss man registriert sein. Neben den Medienhäusern sollen das bald auch NGOs und Beratungsstellen tun dürfen.

Für die „Zensur“ und „Diktatur“-Brüller unter den Trollen dürfte das allerdings einmal mehr bestätigen, was sie ohnehin schon lange glauben: dass sowieso alle unter einer Decke stecken – Medien, Politik, Polizei und Justiz.

Gerade vor zwei Tagen hatte die „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet“ (ZHIN) bei der Staatsanwaltschaft Göttingen ihre erste Bilanz vorgestellt. 220 Ermittlungsverfahren wurden dort geführt, seit diese Stelle im letzten Jahr eingerichtet wurde. Bei einem Großteil (insgesamt 133) waren Amts- und Mandatsträger betroffen. Was die Ergebnisse angeht, hält man sich noch sehr bedeckt: Eine aussagekräftige Statistik könne man nicht liefern, weil viele Verfahren noch nicht abgeschlossen seien. Nadine Conti

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