Trinken in Norddeutschland: Strothmann, vom Winde verweht
Der Fusel ist knallbunt, klebrig und steigt sofort in den Kopf: Waldmeister Sahne. Ein Erfahrungsbericht mit Wissenslücken.
Beleg dafür ist unsere Getränkeauswahl, die optisch meist harmlos daherkam. Mit goldenem Deckel, mintgrüner Flüssigkeit und mickrigen 16 Prozent Alkohol zum Beispiel: Strothmann Waldmeister Sahne schmeckte zuckersüß, war cremig und meistens lauwarm, weil niemand daran gedacht hatte, die Flasche rechtzeitig kalt zu stellen. Der Mund wird von dem Zucker ganz pappig – und der Kopf schnell düsig.
Die Kurven zur 12,6 Kilometer entfernten Dorfdisko, in ein Kaff, das auf „-bokel“ endet, gaben mir schon den Rest. Statt mitzufeiern blieb ich im Auto sitzen, hielt die Luft an, bis wir wieder am Ortsschild vorbeigefahren waren, ließ mit einem Knopfdruck das Fenster herunter und verstreute den guten Strothmann im Wind.
Waldmeister ohne Sahne
Hätte ich es in die Disko geschafft, hätten mich dort – neben mittelmäßigen DJs, Käfigen, in denen Betrunkene tanzten, und den BESTEN Pommes aller Zeiten – auch Tabletts voller Mischen erwartet. In der Dorfdisco wird Korn serviert – meistens mit Cola. Besonders zugehörig kam rüber, wer „KGB“ bestellte, Korn und gelbe Brause, mit lang gezogenem E. Dazu alle Kurzen, die die Berentzen-Produktpalette hergibt: Apfelkorn, Waldmeister ohne Sahne! (aus Fehlern lernt der Mensch), saurer Apfel, Wildkirsche und das Pflaumenschnäppschen Plum.
Diese Kurze-Kultur hat sich ursprünglich aus dem Herrengedeck der Arbeiter entwickelt. Nach getaner Arbeit wurde nicht nur in Norddeutschland ’n Bier und ’n Köm bestellt. Im Alten Land hat man den Korn schon immer auch mit Apfelsaft gemischt – schmeckt halt besser. 1976 hat der Spirituosenhersteller Berentzen mit Sitz im emsländischen Haselünne das Ganze dann in Flaschen verfüllt und als Partymischung auf den Markt gebracht. Damit haben schon meine Großeltern gefeiert – obwohl die auch gern Jägermeister getrunken haben.
Mit 14 oder 15 feierte ich Silvester mal bei einer Freundin auf dem Dorf. Am nächsten Tag ging dann ein Rudel Jugendlicher von Haus zu Haus. Wir klingelten bei den Omis und Opis vom Schützenverein, wünschten ein „Frohes Neues!“ und bekamen einen Plum. Die Erwachsenen machten es genau so.
Erst Taxifahren, dann Eierbraten
Den Soundtrack für unsere Eskapaden lieferte uns ein Ostfriese: Im Taxi nach Hause zum Eierbraten sangen wir lauthals „Wir haben Grund zum Feiern“ von Otto; ich vor allem den Refrain, aber andere schmetterten zum Verdruss der leidgeplagten Taxifahrer jede Zeile: „Keiner kann mehr laufen / Doch wir könn’ noch saufen.“
In Norddeutschland legen Boßler, von Jägermeistern und Feiglingen getragen, kilometerweite Strecken zurück. Hier wurde, um sich ganz auf das Wesentliche zu beschränken, das Kurvensaufen perfektioniert: Dabei läuft man mit einem Bollerwagen Feldwege entlang und trinkt – Überraschung! – an jeder Kurve, wobei darüber gefachsimpelt werden muss, welcher Knick tatsächlich schon eine Kurve ist. Die behenkelten Kurzengläser tragen die Sportler an einer Schnur um den Hals.
Seit ich aus meinem Heimatort weggezogen bin, sind die lustigen roten und grünen Schnäpschen, die die Kotze so niedlich verfärben, aus meinem Partyumfeld verschwunden. Einmal saß ich mit einem Freund in einer Kneipe und schwelgte in Erinnerungen. Er meinte es gut und bestellte mir an der Bar einen Kurzen, pisswarm und klar. Alles in mir schüttelte sich. So hart, dass wir den Korn pur getrunken haben, waren wir nie. Aber wie sollte mein Freund das Prinzip, dass Kurze schmecken sollen, auch verstanden haben? Er kommt aus dem Harz – und trinkt man da nicht nur Schierker Feuerstein?
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