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Archiv-Artikel

Trieb und Willensfreiheit

Das Leben ist ein Traum. Gezahlt wird mit barer, blutiger Münze. Ein Musiktheater nach Pedro Calderón de la Barca als Kreation der RuhrTriennale in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel

VON REGINE MÜLLER

Der Weg zur Spielstätte ist ernüchternd: In den Gladbecker Bergmannssiedlungen gähnen menschenleere Straßen und dunkle Fenster den Triennale-Pilger an, der sich auf barockes Welttheater in rustikaler Industriekulisse freut. Hier geht niemand ins Theater, soviel ist sicher, die Premierenbesucher rollen von auswärts heran. Gerard Mortier warb für die erste Ruhrtriennale noch – ironisch oder naiv? – mit Fotos von Arbeiterinterieurs. Mit Gelsenkirchener Barock und Blümchentapete wollte man abseits der Schwellenangst besetzten Musentempel ein neues Publikum gewinnen und den strukturgewandelten Kumpel mit Kultur füttern. Dies hehre Projekt liegt längst in den Akten. Inzwischen wirbt man auf edlem Papier mit zierlich altmeisterlicher Grafik. „Der Mensch des Barock“ ist das weit hergeholte Thema der zweiten von Jürgen Flimm verantworteten Spielzeit, die nun mit Calderóns „Das Leben ein Traum“ ein exemplarisches Werk des Barocktheaters in die Maschinenhalle wuchtete.

Calderón verhandelt den uralten Konflikt zwischen dumpfem Trieb und Willensfreiheit auf der höchsten Ebene weltlicher Macht: König Basilius sperrt seinen kindlichen Sohn Sigismund weg von der Welt, weil ihm prophezeit wurde, dass dieser ein grausames Monster würde. Als Basilius den jugendlichen Prinzen versuchshalber aus der Haft entlässt und ihm scheinbar die Krone abtritt, wird die Prophezeiung wahr: Sigismund missbraucht seine Macht, mordet, schändet, vergewaltigt. Man kerkert ihn erneut ein, doch nun befreit ihn das revoltierende Volk, das in dem missratenen Prinzen seinen Befreier sieht. Geläutert durch Erfahrung findet Sigismund nun einen anderen Weg, mit seiner Macht umzugehen und wird zum verzeihenden und milden – allerdings unberechenbaren Herrscher.

Das mächtige Lehrstück Calderóns wird bei der RuhrTriennale von Regisseur Johan Simons Dramaturg Koen Tachelet auf eine bitter schmeckende, aber wirksame Essenz eingedampft, die weder den barocken Affekt scheut, noch die Vanitas-Predigt ausspart. Als sanfte und höchst reizvolle Verfremdung dient der im hohen Deklamations-Ton belassenen Sprache die leichte Dialekt- Verwaschung, die Simons niederländisch-belgische Schauspielertruppe hören lässt. Verschlissen sind die Kostüme, schäbig die wenigen Requisiten, eine rostige Lore auf den Raum halbierenden Schienen dient als beschleunigendes Moment. Bewegung kommt ins Lehrstück jedoch vor allem durch Simons wunderbare Schauspieler, die trotz hohen Körpereinsatzes auch in brutalen Momenten niemals ins Schreitheater abgleiten.

Das zunächst langsam anlaufende Spiel in der lang gezogenen, quer bespielten Halle nimmt nicht umgehend für sich ein. Erst scheint es beliebig zu plätschern, bevor der Sog einsetzt, der zu nicht geringen Teilen auf das Konto der Musik von Peter Vermeersch geht. Sein mit acht Musikern besetztes Orchester besteht vor allem aus barocken Gamben und Lauten, eine Klarinette und etwas Elektronik kommen hinzu, Tenor Christoph Homberger steuert veritablen Ariengesang, aber auch allerlei Stimmgeräusch bei. Aus solch altgoldenen Klangfäden webt Vermeersch einen leisen, doch insistierenden Klangteppich, der mal untermalend die Stimmung grundiert, mal als Kommentar das Wort ergreift. Vermeersch verknüpft dissonante Motivfetzen mit Tango-Schnipseln, meditiert eine schöne Weile über ein Intermezzo von Brahms und stellt dann dem katholischen Calderon protestantische Todessehnsucht gegenüber: „Ach, schlage doch, sel‘ge Stunde“ singt der Tenor aus der Bachkantate Nr.95 und die Schauspieler beenden den folgenden Choral mit den Worten „Drum fahr ich hin mit Freuden“. Das ist sehr schlau gemacht und verfehlt seine unmittelbar berührende Wirkung nicht.

Der irdischen Macht misstraut auch das Spiel auf der Bühne und weiß um die mannigfaltigen Gesichter ihrer Gefahr. Die Milde des neuen Königs lässt schaudern. Die kurze, aber herzliche Zustimmung des handverlesenen Publikums belohnt vor allem die Schauspieler.

Nächste Vorstellung:29. und 30. August, 19:30 UhrMaschinenhalle, GladbeckInfos: 0700-20023456