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Trickfilm-Szene im NordenDer Sammler

Franz Winzentsen ist ein Pionier des Animationsfilms in Norddeutschland. Nach wie vor kommt seine Arbeit ohne Computer aus.

Von der Zeichensprache der Feldhasen: Franz Winzentsen zeigt sein "Hasensignalalphabet". Bild: Privat

BREMEN taz | Minimalistischer geht es kaum: Alte Handfeger werden durch Hin- und Herrücken animiert. Ihr Schaben übersetzt ein Erzähler in eine immer hitziger werdende Debatte der Bürsten über Probleme der heutigen Arbeitswelt. Dabei kommen sie schnell von den Gründen ihrer eigenen „Erwerbslosigkeit“ zu der „geplanten Obsoleszenz“ heutiger Konsumartikel.

Der sechs Minuten lange Film ist zugleich eine gewitzte Polemik gegen die Auswüchse des Kapitalismus und eine Satire darüber, wie verwegen die Deutungen und Theorien von selbsternannten Spezialisten sein können.

„Die Konferenz oder Die Rückseite des Mondes“ heißt dieser Animationsfilm von Franz Winzentsen aus dem Jahr 2012. Es ist ein neueres Werk des 74-jährigen Filmemachers, der so etwas wie der Elder Statesman der Experimental- und Trickfilm-Szene in Norddeutschland ist.

Winzentsens Werk hat viel mit seiner Sammelleidenschaft zu tun: Die Handfeger hatte er bereits vor Jahrzehnten aus dem Schutt der ehemaligen Schraubenfabrik in den Hamburger Zeisehallen geborgen. Als er sie irgendwann in einem Kreis aufstellte, kam ihm die Idee zu diesem verschrobenen und sehr komischen Meisterwerk.

Um all die Trophäen seiner Sammlerleidenschaft unterzubringen, hat er eine ehemalige Lagerhalle in der Nähe von Bremervörde erworben. Da er das Gefundene immer auch künstlerisch umdeutet, sind dort solch merkwürdige Objekte wie Baumstämme mit Fußnägeln, elfengleiche Figuren, deren Flügel aus Grützwurstpellen bestehen und kleine Geweihe aus Hühnerbrustbeinen zu bewundern.

„Meine Strecke aus dem Wienerwald“ nennt er dieses kleine Ensemble und in einem seiner „Vier Kurzfilme über die Jagd und die Jäger“ montiert er ein Foto davon neben das von einem Jagdmann, der stolz das Gehörn der von ihm erlegten Tiere präsentiert.

Skurriler Witz

Diesen skurrilen Witz und ein gutes Auge dafür, wie ein Bild auf den Zuschauer wirkt, hatte Winzentsen schon in den 1960er-Jahren. Damals gestaltete er den Titelvorspann für die NDR-Spielfilmreihe „Monster, Mumien, Mutationen – Das Gruselkabinett“, der bis in die 90er-Jahre hinein im dritten Programm verwendet wurde und zu den Stilikonen des öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehens zählt.

Winzentsen studierte Grafik und gründete 1960 zusammen mit Freunden die experimentelle Puppenbühne „Rhabarber“. Dieses Interesse sowohl an der Kunst wie auch am Spiel brachte ihn dazu, als Abschlussarbeit den ersten an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK) produzierten Film „Verfolgung“ vorzulegen, der als „bewegte Grafik“ definiert und deshalb zugelassen wurde. 1987 wurde er selbst Professor für Animationsfilm an der HFBK.

„Staub“ von 1967 war sein erster sowohl prämierter wie auch heiß diskutierter Kurzfilm. Darin sieht man einen schwarzen und einen weißen Fleck durch verschiedenen Landschaften, Bauwerke und Situationen fliegen, bis sie ineinander fließen, zu einem grauen Fleck werden und sich langsam im Hintergrund auflösen.

Ein Film mit "Materiallogik"

Während Winzentsen selber von der „Materiallogik“ der Geschichte spricht, wurde damals aufgeregt darüber diskutiert, ob sein Film ein Kommentar zur großen Koalition sei. Als der Film auf ein Festival nach Südafrika eingeladen wurde, hatte er dort eine so nie intendierte Brisanz.

Sein Geld verdiente Winzentsen in einem Trickfilmstudio mit Auftragsarbeiten und nach der Geburt einer Tochter in den 70er-Jahren zusammen mit seiner Frau mit Beiträgen für TV-Kinderserien. Seinen Stil entwickelte er zwischen 1980 und 1982 in dem Film „Flamingo“, in dem er zwischen verschiedenen Animationstechniken wie Lege-, Stempel-, Frottage-, Struktur- und Materialanimation wechselte.

Erzählerisch hat er 1985 mit „Die Anprobe (1938)“ den autobiografischen und surrealen Ansatz gefunden, der zu seinem ganz eigenen Ton führte. Hier erzählt er davon, wie er sich vor seiner Zeugung die Welt, in die er hineingeboren wird, schon einmal ansehen darf. Das Deutschland des Jahres 1938 wird in einer Montage von Originalfotografien, Postkarten, Zeichnungen und Gemälden lebendig, die schließlich in ein Bild von aufgespießten, in Bomberformation über ein Schnittmuster fliegenden Schmetterlingen mündet.

Ähnlich starke Bilder findet er in „Die Königin des schwarzen Marktes“, in dem sich ein Vogel in eine Kaffeekanne verwandelt oder in einer Episode von „Der Porzellanladen“ von 1995, in dem es ihm gelingt, die Problematik der deutsch-deutschen Grenze mit nichts weiter als einer Landkarte, spitzen Bleistiften und einem Radiergummi auf den Punkt zu bringen.

Die Zeichensprache der Feldhasen

Gefundenes umzudeuten, das ist das Grundprinzip von Winzentsens Arbeit. So besteht eine von ihm oft benutzte Tricktechnik schlicht darin, mit einer Taschenlampe über ein verdunkeltes Bild zu fahren, um so der Dramaturgie entsprechend einzelne Details ins Licht zu setzten. Mit alten Fotos, Gemälden, Postkarten und architektonischen Entwürfen kann er solch erstaunliche Theorien wie jene von der Zeichensprache der Feldhasen belegen. Ein wiederkehrendes Thema ist, die Parallelen zwischen dem Jäger und dem Künstler zu zeigen. Er tut dies, indem er Illustrationen aus einem Jagdausrüsterkatalog (Gewehre) mit denen aus einem Künstlerbedarfskatalog (Pinsel) vergleicht.

Winzentsen arbeitet gerne mit den Volksmythen und Märchen seiner Region. So hat er 2008 einen Film über „Die so genannten Bremer Stadtmusikanten“ gemacht, in dem er belegt, dass diese eigentlich nach Bremervörde gezogen sind. Und in „Der Rattenfänger von Hameln“ von 1997 stellt er die These auf, diese seien nicht durch Flötentöne, sondern durch Backwaren aus der Stadt gelockt worden.

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