piwik no script img

Trend zum „Second Screen“Multitasking für Fortgeschrittene

Fernsehgucken und nebenher bei Facebook oder Twitter die eigene Meinung mitteilen – brauchen wir das? Ein Pro und Kontra.

Glotzen und Labern – es gibt Menschen, die das gerne verbinden. Bild: paulniestroj / photocase.com

BERLIN taz | Unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer, die Befriedigung durch eine einzelne Tätigkeit immer rarer: Während wir frühstücken, hören wir Radio; während wir im Netz surfen, gucken wir fern; während wir Sex haben, telefonieren wir; während wir Zeitung lesen, tippen wir Kurznachrichten.

Nicht wenige Zeitgenossen kommentieren das, was sie gerade im Fernsehen gucken, live auf Facebook oder Twitter. Damit man künftig nicht mehr all seine Freunde oder Follower damit überhäuft, gibt es jetzt ein neues soziales Netzwerk, welches sich den Trend zum „Second Screen“ zunutze macht und sich ausschließlich auf die Kommentierung von TV-Sendungen beschränkt. Zeebox läuft momentan nur in den USA und Großbritannien. Brauchen wir so eine App auch in Deutschland? Ist es sinnvoll, TV-Ereignisse in sozialen Netzwerken zu kommentieren? Ein Pro und Kontra:

PRO: Ich habe keinen Fernseher. Das ist keine bewusste Entscheidung, es hat sich einfach seit meinem Auszug vor elf Jahren nie ergeben. Ich vermisse nichts. Bestimme Sendungen, die mich interessieren, gucke ich online. Dabei bemerke ich, dass mir das reine Gucken nicht reicht. Fernsehen ist mir zu langsam, zu behäbig, zu eindimensional, zu linear, zu passiv. Ich will nicht untätig vor meinem Bildschirm sitzen. Stricken hilft, Nägel lackieren auch. Noch schöner ist es allerdings, wenn ich während der Sendung findige Kommentare zu ebendieser lesen kann.

Sendungen wie das Dschungelcamp habe ich mir im Januar nur angeguckt, weil mein geschätzter Journalistenkollege Berthold B. seine spitzen Kommentare zu den sich bloßstellenden Kandidaten auf Facebook postete. Auch den Eurovision Song Contest konnte ich nur ertragen, weil köstliche Anmerkungen auf meinem Smartphone eintrudelten.

Nicola Schwarzmaier

ist Online-CvD bei taz.de und hat seit elf Jahren keinen Fernseher. Auf Facebook ist sie seit 2007.

Auf den Facebook-Seiten vom Zeit-Magazin oder dem „Tatort“ selbst kommentieren jeden Sonntagabend Tausende Tatort-Jünger die aktuelle Episode. Es wird gemutmaßt, wer der Mörder ist, die Schlauchbootlippen von Simone Thomalla kritisiert oder Schnittfehler bemerkt. Kurzfristiger Höhepunkt der TV-Kommentierung war die Tonstörung im Tatort vom 06. Mai 2012.

Als in der dramatischen Abschlussszene des Hamburg-Tatorts der Kommissar Cenk Batu stirbt, hört man plötzlich Regie-Anweisungen aus einem anderen Studio. Die Kommentare der User auf Facebook überschlagen sich: „Ich dachte, ich höre Gespenster sprechen...“. Es folgt die Aufklärung. Dank Facebook macht selbst mir – keinem Tatort-Fan – der Tatort Spaß.

Ohne Fernseher kein Fernsehprogramm keine Informationen keine Empfehlungen. Was lobe ich mir da das Internet und meine fleißig kommentierenden Freunde! Jetzt weiß ich, dass sich „Der Tatortreiniger“ im NDR lohnt, dass Jenny Elvers-Elbertzhagen ein Alkoholproblem hat und man „Roche & Böhmermann“ nicht verpassen sollte. Ich weiß, was bei Markus Lanz oder Maybrit Illner Thema, wer zu Gast war und wie diese sich benommen haben. Ohne, dass ich die Sendung angucken muss – ein Segen.

Ob wir ein eigenes Netzwerk für TV-Kommentare brauchen, weiß ich nicht. Dass wir TV-Kommentare brauchen, hingegen schon! NICOLA SCHWARZMAIER

KONTRA: Es gibt viele Dinge, die man von seinen Facebookfreunden nicht wissen will. Wer will schon die Fotos vom Mittagsschnitzel sehen oder den schrecklichen Shakirasong auf Spotify hören? Banaler Alltagsspam gehört nicht in die Chronik. Facebook ist ein Kommunikationsmittel und kein Tagebuch.

Fernsehgucken und dabei stumpfe Bemerkungen ablassen geht gar nicht. Facebookfreunde, die die neuste „How I meet your Mother“-Folge kommentieren, machen das Fernsehen kaputt. Es gibt sogar einen neudeutschen Begriff dafür: Das Spoilern [ˈʃpɔ͜ylɐ], Englisch: vermindern, verderben. Spoiler verraten Handlungsabläufe in Fernsehen, Filmen und Büchern und versauen einem damit den zukünftigen Fernsehgenuss.

Es gibt einfach Dinge, die der Mensch bewusst ausblenden möchte. Er läuft extra Umwege nach Hause, setzt sich in der U-Bahn um oder schmeißt Zeitungsteile weg. Spätesten auf der Facebookwall begegnen sie ihm: die penetranten Schalkefans. „Toooooooooooor, Huntelaaaaaar!!!“, „Schalke ist wieder so schlecht #returnoftheklöppel“ „SCHALKÖÖÖÖ,BLAU UND WEISS, WIE LIEB ICH DICH!!!!!!“ Nein, Danke!

Svenja Bednarczyk

ist freie Autorin und seit diesem Monat bei Twitter. Einen Fernseher hatte sie noch nie.

Aber wie dem entgehen? Diese Freunde für immer und ewig blockieren, ist auch keine Lösung. Da wäre die halbe Freundesliste weg. Diese Gespräche müssen ausgelagert werden, eine eigene Fernsehkommentar-Commuity wird trotzdem scheitern. Zwischen diesen Kommentar-Narzissten findet kein Dialog statt. Die schriftliche Verarbeitung des gesehenen Fernsehprogramms ist pure Redundanz.

In einen Bildschirm reingucken und in den zweiten dumme Kommentare hineinschreiben – wenn dieses „Hobby“ um sich greift, wird die Zivilisation daran zu Grunde gehen. Zum einen, weil der zwischenmenschliche Dialog durch die digitale Kommunikation verloren geht, zum anderen, weil niemand etwas mit diesen besserwisserischen Spannungszerstörern etwas zu tun haben möchte. SVENJA BEDNARCZYK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

9 Kommentare

 / 
  • M
    meta.julian

    Die wachsende Nutzung des Second Screen zeigt sich auch deutlich bei der Nutzung von Twitter durch Mitglieder des Bundestages beim "tatort". - http://bundestagsradar.net/?p=1767

  • L
    Lexi

    Der Second-Screen sollte im Büro eingeführt werden. Man holt sich den Bildschirm eines Kollegen auf den zweiten und gibt dann laufend Tips dazu ab. Das wird ein Spaß! Geiiilllll.

     

    (Die taz hatte das ja mal. Nannte sich glaube ich Sätzer-Kommentare. Ist leider dem Fortschritt (Digitalisierung!) zum Opfer gefallen. Aber am Ende entwickelt sich halt alles zurück. So ist das im Leben. Die Utopie von 1979 hat noch Chancen verwirklicht zu werden. Hoffentlich werden durch Second-Screen die Artikel der taz wieder besser.)

  • D
    Dominik

    Im Grunde sehe ich das ja ähnlich, aber im Großen und Ganzen ist das, was jetzt auf den Second Screens passiert ja auch nur “Vorgeplänkel” für das, was in 5 oder 6 Jahren kommt.

     

    Ich bin sicher, dass die großen Player (Apple TV, Google TV und vor allem Amazon) dann im TV-Geschäft mitmischen und dass der Fernseh-Markt dann völlig anders aussieht, als bisher. Wenn dann Fernsehen über das Internet verbreitet wird und on Top die Smart.TVs dazu kommen, dann gibt viel komplexere Netzwerke im TV-Umfeld, so dass die Werbetreibenden und die “Sender” selbst dann technologische Plattformen brauchen, um zu kooperieren.

     

    Und der Nutzer hat dann einen Second Screen (oder so was ähnliches), über den er all das steuert, nutzt und verwaltet. Die ganzen netten Apps, die wir jetzt in dem Bereich bauen, die sind reines “Lernen” - und das kann für den “normalen” Nutzer nicht ganz verständlich sein, weil nicht ersichtlich ... :-)

     

    Mehr dazu gern: geraet-zwei.de

  • MM
    Marc Mogalle

    Muss Nicola Schwarzmaier Recht geben: Der größte Trash wird nicht nur ertragbar, sondern kann sogar viel Spass machen, wenn man darüber lästern kann - so ging es mir bspw. bei We love Loret, was Trash hoch 3 war. Und wer es ausprobieren möchte, kann es auf unserer Plattform tun: zapitano.de Dort möchten wir genau das ermöglichen, einfach, dreckig und gemein.

     

    Und wer das nicht mag, der macht es ebend nicht, ganz einfach, oder?

  • T
    trut.hahn

    wenn mein radio einen bildschirm hätte wär ich längst beim thirdscreen angekommen.

  • M
    martin

    Verstehe ich das richtig? Hier diskutieren zwei die keinen Fernseher haben, ob es gut oder schlecht ist neben den Fernsehen etwas anderers zu machen? Genauso gut könnten zwei Rentner ohne Computer über Twitter diskutieren.

  • M
    maX

    Wem Fernsehen "zu langsam, zu behäbig, zu eindimensional, zu linear, zu passiv" ist, der/die hat eh ein Problem. ADHS? Schon mal mit ner Therapie versucht?

     

    Wer sich nicht auf eine Sendung konzentrieren kann, der hat entweder das falsche Programm gewählt oder ist auf dem besten Weg zur totalen Verblödung.

  • WW
    Wer wird Millionär

    Es geht nur ums Lästern. Das geht nirgends schöner als im OTF mit DVB-T nebenan.

  • W
    WWM

    @ Frau Bednarczyk; Es geht ja gerade nicht ums spoilern, sondern ums lästern!1!

    Was ist lustiger: alleine vor der Glotze hocken oder sich mit Freunden die Sendung angucken? Genau: mit Freunden zusammen über die Sendung und die Teilnehmer lästern. Und wenn das im Internet geschieht: So what? Macht doch nichts…