Traumatisierte Krisen-Reporter: Der Stachel des Erlebten
Journalisten, die aus Katastrophengebieten berichten, fühlen sich mit ihren Erfahrungen oft allein gelassen. Traumatisierungen zeigen sich oft erst später.
Es ist Thomas Görgers zweiter Tag im Erdbebengebiet, sein erster Katastropheneinsatz als Fernsehreporter. Er kommt in sein Zimmer zurück, gerade beim Dreh in der zerstörten Stadt lief eine Frau auf ihn zu, mit einem Schuh ihres vermissten Sohnes in der Hand. Zum Schnüffeln für die Suchhunde. Aber die Hunde fanden nichts.
Das Bild sitzt noch in seinem Kopf fest, aber Thomas Görger muss jetzt seinen Beitrag mit der Redaktion in Deutschland absprechen. Dort hebt ein Kollege den Hörer ab: "Thomas, schön, dass du zurückbist, wir haben leider gerade überhaupt keine Zeit, sorry, wir haben Sondersendung." Meine Güte, was muss da passiert sein, fragt sich Thomas Görger. Später erfährt er: Ein Straßenbahnunfall, 16 Verletze, einige liegen im Krankenhaus. Dort, wo Thomas Görger ist, sind gerade über 17.000 Menschen gestorben. Und er kämpft mit dem Bedürfnis, sofort wieder von dort abzureisen.
Wenn der freie Journalist Thomas Görger heute an diesen ersten Katastropheneinsatz denkt - 1999, nach dem Erdbeben in der Türkei - und dann an seinen letzten in Haiti vor einigen Wochen, merkt er, dass sich in dieser Zeit vieles verändert hat.
Zumindest bei seinem Auftraggeber, dem WDR. Professionelle Schulungen dazu, welchen Umgang, welche Vor- und Nachsorge Journalisten brauchen, die über Zerstörung und Tod berichten, hat es vor zehn Jahren noch nicht gegeben. Bei Sanitätern oder Katastrophenhelfern ist psychologische Betreuung Routine, bei Reportern Ausnahme. Dass sich das langsam ändert, bewirkt die Erfahrung, dass Bilder wie das von der Frau mit dem Schuh auch bei Journalisten etwas hinterlassen können. Im schlimmsten Falle ein Trauma.
Auch der freie Sonderkorrespondent Christoph Maria Fröhder, der seit Jahrzehnten aus diversen Krisengebieten wie dem Kongo, Vietnam oder dem Irak berichtet, weiß von der Schwierigkeit, sich von Eindrücken zu distanzieren. "Manche Bilder bleiben ein Leben lang im Kopf. Aber für tiefgründige Recherche ist es oft notwendig, sich gewissen Grenzsituationen auszusetzen, um Fehler und Missstände aufzudecken."
Dieser Text ist aus der aktuellen vom 20./21. Februar 2010 - jeden Sonnabend gemeinsam mit der taz am Kiosk erhältlich.
Einen Monat nach dem Erdbeben in Haiti sind die meisten deutschen Journalisten, die von dort berichtet haben, zurückgekehrt. Aber eine andere Phase fängt gerade erst an: Mindestens sechs Wochen müssen nach einem solchen Einsatz vergehen, bis man feststellen kann, ob jemand die Ereignisse, Gerüche und Bilder verarbeitet hat - "integriert", wie Therapeuten sagen - oder ob sie ihn traumatisiert haben.
Michael Möseneder, österreichischer Journalist vom Standard, war auch in Haiti. Die Solidarität unter den Journalisten vor Ort sei groß gewesen, sagt er, das habe geholfen. Richtige Aufarbeitung könne aber erst im Anschluss an den Einsatz beginnen, wenn man wieder draußen ist. Für ihn haben Bilder oft traumatisierendere Wirkung als das Erlebte vor Ort: Drei Jahre nach seinem Tsunami-Einsatz in Thailand sah er am Flughafen einen Bericht von CNN und hat plötzlich die unzähligen Leichenfotos vor Augen, die ihm die Behörden damals gezeigt hatten.
Kriegsreporter am häufigsten betroffen
"Wenn ein Journalist nach dieser Zeit an bestimmte Ereignisse denkt und sich dabei körperlich dorthin versetzt fühlt, zum Beispiel wieder Gerüche in der Nase hat, spricht man von einem Trauma", sagt die Therapeutin Fee Rojas, die seit langem Journalisten zu dem Thema begleitet.
Sie arbeitet mit der europäischen Abteilung des "Dart Center for Journalism and Trauma" zusammen, einem Netzwerk, dass in den Neunzigerjahren in den USA gegründet wurde und heute seinen Sitz an der Columbia Universität in New York hat. Laut Veröffentlichungen des Dart Centers werden mehr als 80 Prozent der Journalisten irgendwann innerhalb ihres Arbeitslebens mit Ereignissen konfrontiert, die in der Psyche des Berichterstatters Schaden hinterlassen können. Eine langfristige Traumatisierung ist allerdings der Ausnahmefall, am gefährdetsten seien Kriegsberichterstatter. "Menschengemachte Grausamkeit erschüttert meist das Grundvertrauen tiefer als Naturkatastrophen", sagt Fee Rojas.
"Ich habe das Gefühl, dass mich vieles von dem, was in Haiti geschehen ist, noch nicht erreicht hat. Kurze Sequenzen, die man vielleicht nur im Vorbeigehen registriert und dann abgelegt hat. Das sind Dinge, die vielleicht erst noch kommen werden", sagt Thomas Görger. Aber der Reporter ist zuversichtlich, dass er sie verarbeiten wird. Nach seiner Zeit in der Türkei hat er sich professionelle Hilfe geholt.
Er war damals überraschend ins Erdbebenzentrum gereist, weil eine Hundestaffel, über die er berichtete, dorthin gerufen wurde. Zeit zur Vorbereitung gab es nicht. Mittlerweile war er regelmäßig in Krisengebieten - nach dem Tsunami in Sri Lanka, in Pakistan, in Mosambik. Er hat sich mit dem Dilemma versöhnt, lieber Wunden verbinden zu wollen, als die Kamera auf sie zu richten, und hat Strategien entwickelt, auf sich Acht zu geben. Es helfe ihm, sich vorher zu vergegenwärtigen, was ihn erwartet: "Ich sage mir, ich werde verstümmelte Menschen sehen, es wird nach Leichen riechen."
Haiti, sagt Thomas Görger, war was die Betreuung durch die Redaktion angehe, sein bester Einsatz bisher. Er hatte Vor- und Nachgespräche, die Versicherung, er könne jederzeit abbrechen, wenn es ihm zu viel werde. Zwischendurch bekam er SMS von Kollegen: "Pass auf dich auf." Für Fee Rojas ist das ein Erfolgserlebnis. Sie schult seit Jahren WDR-Mitarbeiter und will die Kultur im Umgang von Journalisten mit traumatischen Erlebnissen ändern. Dabei stehen ihr viele Hindernisse im Weg. "Zuerst einmal das Selbstverständnis, der Objektivitätsmythos", sagt Fee Rojas. "Manche Journalisten sehen sich immer noch als Aufnahmemedium, das aufnimmt und wiedergibt. Bei diesem Selbstkonzept gilt es als Schwäche, sich einzugestehen, dass das Berichterstattungsobjekt den Berichterstatter auch verändert", sagt Rojas.
Der Reporter Fröhder kritisiert es, wenn das Abenteuertum mancher Kollegen ihre journalistische Aufgabe zum Nebenprodukt verkommen lässt. Er selbst möchte nicht zu einem der "Irren" werden, denen der Pulverdampf des Krieges zum Lebenselixier wird, wie er selbst sagt. Emotionale Distanz sei wichtig, sonst halte man nicht durch. Er hat einzelne Kollegen erlebt, die so schwer traumatisiert sind, dass ihnen die Aufarbeitung ihr ganzes Leben nicht gelingen will. "Wenn der Stachel des Erlebten im Hinterkopf steckenbleibt, wird es problematisch", sagt der erfahrene Krisenberichterstatter. Es sei immer eine Frage der eigenen Psyche, wie man die Ereignisse verarbeitet, Fröhder versucht etwaige Traumata im Dialog mit der Familie abzubauen. "Wenn ich aber plötzlich jede Nacht mit schrecklichen Bildern vor Augen aufwache, würde ich vor professioneller Hilfe nicht scheuen, dann ist es notwendig."
Sofort normale Termine
Thomas Görger kam an einem Freitagnachmittag aus Haiti zurück, am Samstag war er Studiogast in einer Sendung. Das sei in Ordnung gewesen: "Ich war noch nicht so weit abgesunken, noch auf Adrenalin." Am Sonntag und Montag schnitt Thomas Görger die letzte große Reportage aus Haiti, am Dienstag machte er Abrechnungen, am Mittwoch hatte er frei, am Donnerstag war er schon wieder zur normalen Tagesschicht eingeteilt und schrieb über die Rückrufaktion eines Automobilherstellers. "Die Kollegen meinten das gut und wollten mich schnell wieder einbinden", sagte er. Das alles zu schnell gegangen war und er doch noch eine Pause brauchte, merkte er an einem der kommenden Tage während einer Reportage über Eisbrecher im Mittellandkanal.
Thomas Görger fühlte sich fremd in einer Redaktion, die das Problem festliegender Binnenschiffe beschäftige, und musste daran denken, dass er gerade aus einem Land kam, in dem 200.000 Menschen gestorben waren. Lieber im Anschluss eine Woche freimachen und die Bilder ranlassen, auch wenns weh tut, ist seine Lehre aus Haiti.
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