Tratsch über Kinder-Dealer: "Ab in den Großfamilienknast"
Drei Frauen am Nebentisch, ein mit Drogen handelnder Elfjähriger in der Zeitung. Ein interessantes Gespräch zum Thema entspinnt sich. Wir haben ganz genau hingehört.
1. Frau: Habt ihr das mitbekommen? Sie haben einen elfjährigen Araberjungen zum elften Mal beim Drogenverkauf erwischt. Er soll nun in einen Kinderknast …
2. Frau: Es werden immer mehr! Die Zeitungen sind voll davon!
1. Frau: Der Kindernotdienst, bei dem die Polizei immer aufgegriffene Minderjährige abliefert, behauptet aber, dass es bisher nur einen gab. Vielleicht wird das Ganze nur deswegen so aufgebauscht, um der Boulevardpresse ihr Sommerloch zu füllen?
3. Frau: Ich hab kürzlich von einem Jungen aus Afghanistan gehört, den die Eltern für 6.000 Euro einer Schlepperbande übergaben, die ihn bis nach Berlin brachten, wo er dann in Treptow in einem Heim für asylsuchende Minderjährige landete. Der sollte hier Arbeit finden und seinen verschuldeten Eltern Geld schicken.
2. Frau: Oder die Eltern bauen das Rauschgift dort an, das er hier verkaufen sollte. Das sind doch alles verzweifelte Existenzgründungsversuche. Wir-AGs, Ich-AGs. Und dafür gibt es eben nur noch kriminelle Nischen. Man kann doch nicht noch mehr Döner-, Falafel-, Internet- und Wettbuden oder Spätkaufläden hier aufmachen …
1. Frau: Nun sei doch nicht so zynisch!
3. Frau: Ihn in eine Anstalt zu stecken ist noch viel zynischer, weil völlig ohne Verständnis. Ich habe mal in Spandau und in Zehlendorf als Heimerzieherin gearbeitet. Das ist ganz schrecklich. Faule, fette Erzieher, die sich von den Kindern bedienen lassen und in ihnen bloß zukünftige Nutten oder Verbrecher sehen. Außerdem denken sie nur an Feierabend, an ihre eigene Familie, an Hausbau, Urlaub, Schrebergarten, neues Auto und Fortbildungskurse. Der Staat ist wirklich das kälteste aller kalten Ungeheuer.
1. Frau: Den kleinen Drogenhändler soll eine kriminelle arabische Großfamilie aufgenommen haben, für die er jetzt auf der Straße Heroin verkauft. Meinst du, die ist warmherziger?
3. Frau: Nein, aber deutsche Familien, die ihn mit harmloseren Dingen beschäftigen oder um seiner selbst willen adoptieren würden, gibt es anscheinend nicht - die sind alle noch herzloser. Früher haben aus Heimen abgehauene Waisen sich oft am Bahnhof Zoo als Strichjungen durchgeschlagen, und manchmal wurde so einer dann von einem halbwegs gut verdienenden Schwulen aufgenommen.
2. Frau: Findest du das besser?
3. Frau: Nein, wenn man solche Straßenkinder fragt, die würden wahrscheinlich sogar lieber Rauschgift verkaufen, als schwulen Männern zu Diensten zu sein.
2. Frau: Und wenn man die Politiker fragt, dann wollen die einen jede als kriminell eingeschätzte arabische Familie einknasten und die anderen jedes kriminelle Kind. Eine dritte Fraktion will alle zusammen in einen neuen Großfamilienknast wegsperren.
1. Frau: Na toll! Kann man nicht über eine der vielen deutsch-arabischen Initiativen, die es in Berlin gibt, die Eltern dieses minderjährigen Dealers ausfindig machen und sie informieren, dass er hier in jeder Hinsicht gefährdet ist - nicht zuletzt durch Politik und Staatsapparat?
2. Frau: Wenn der Junge aus Gaza, Kurdistan oder Afghanistan kommt, ist er noch viel mehr gefährdet, bekommt vielleicht nicht mal genug zu essen dort und kann schon gar nicht seine Eltern finanziell unterstützen.
3. Frau: Also, was soll man denn eurer Meinung nach bitte schön tun?
1. Frau: Würde einer von euch sich denn um so ein straßengeschultes Früchtchen kümmern wollen? Mir war schon meine eigentlich sogar zu harmlose Tochter zu viel, als sie mit elf langsam in die Pubertät kam. Bei so einem verschlagenen Jüngelchen aus Arabien würde ich wahrscheinlich völlig durchdrehen …
2. Frau: Nun übertreib nicht. Ich erinnere mich an eine ganze Clique von elternlosen Jugendlichen aus der Graffiti-Szene, die auf dem Ku'damm regelmäßig gut angezogene Kids, aber auch Touristen mit Messern überfallen und ausgeraubt haben. Die waren jedenfalls gefährlicher als dieses Bürschchen. Wem tut der eigentlich was? Als Heroinabhängiger wäre es mir wahrscheinlich egal, wie alt mein Dealer ist, Hauptsache, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Und seinen Eltern macht er doch wohl auch nur Freude, wenn er ihnen, so oft er kann, einen Teil seiner Kohle überweist. Die Presse ist hochzufrieden mit ihm als quasi Dauerthema. Alle Helfersyndromträger fühlen sich berührt und angesprochen, wenn nicht sogar echt herausgefordert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen