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Transmutation von AtommüllDer Traum vom Stein der Weisen

Mit Transmutationsverfahren lässt sich auch das Atommüll-Problem lösen, versprechen einige Atomphysiker. Der transmutierte Atommüll strahlt weniger lange.

Großes Problem: abgebrannte Brennelemente. Bild: ap

Transmutation fasziniert die Menschheit seit jeher. Im Märchen "Rumpelstilzchen" bekam die Müllerstochter die Aufgabe, Stroh zu Gold spinnen. Und scheiterte. Und schon vor knapp tausend Jahren mühten sich Alchemisten, zumindest Blei in Gold zu verwandeln. Auch bei dieser Suche nach dem "Stein der Weisen" blieb der Erfolg aus.

Doch es bewegt sich was. Seitdem Kernphysiker vor 70 Jahren begannen, Atome mit Neutronen zu beschießen und so chemische Elemente in andere zu verwandeln, schien das Ziel des ehrgeizigen Müllers erreicht zu sein. Tatsächlich ist es heute möglich, mit einem aufwendigen Verfahren, genannt Transmutation, aus einem bestimmten Isotop von Quecksilber oder auch aus Platin Gold zu gewinnen. Platin ist allerdings teurer als Gold und auch die Wandlung des speziellen Quecksilbers in Gold lohnt sich wegen der hohen Herstellungskosten nicht.

Eine andere Transmutation allerdings könnte in großen Industrieanlagen in den kommenden Jahren auch wirtschaftlich interessant werden. Die Beseitigung von Atommüll ist nicht erst seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima und der damit verbundenen öffentlichen Sensibilisierung bezüglich der Sicherheit von Atomkraft weit mehr als Gold wert.

Nur noch einige tausend Jahre Lagerung

Durch Neutronenbeschuss ist es möglich, so der Plan vieler Kernphysiker, Plutonium und andere extrem langlebige und extrem toxische Elemente in weniger gefährliche Stoffe zu zerlegen. Während man bei einer Endlagerung von Plutonium von einer Dauer von etwa einer Million Jahre ausgeht, müssten die aus dem Plutonium entstandenen Stoffe nur einige tausend Jahre gelagert werden, bis sie nicht mehr gefährlich sind.

Die Idee der Umwandlung radioaktiven Abfalls durch Neutronenbeschuss ist nicht ganz neu. Bereits 1992 veröffentlichte Charles D. Bowman vom Los Alamos National Laboratory in seiner Arbeit "Nuclear Instruments and Methods in Physics Research" seine Forschungsergebnisse hierzu. Der italienische Physiknobelpreisträger aus dem Jahr 1984, Carlo Rubbia, der von 1989 bis 1993 Generaldirektor des Europäischen Zentrums für Teilchenphysik in Genf (Cern) war, entwickelte die Idee weiter.

Bei der sogenannten Spallation werden Protonen mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers auf ein massives Ziel geschossen, um dort eine große Anzahl von Neutronen aus den Atomkernen herauszuschlagen. Die umzuwandelnden Nuklide werden um dieses Ziel angeordnet. Die Nuklide im Abfall reagieren mit den Neutronen und bilden Stoffe, die weniger lange zerfallen und strahlen als die Ursprungsstoffe. Wird der Neutronenbeschuss beendet, so die Befürworter dieser Technik, hört sofort die nukleare Reaktion auf.

Myrrha-Projekt soll 900 Millionen Euro kosten

Im belgischen Kernforschungszentrum SCK.CEN in Mol bei Antwerpen wird nun bis 2020 eine Anlage gebaut, die Modell für eine industrielle Anwendung dieses Verfahrens werden soll. Das sogenannte Myrrha-Projekt wird voraussichtlich 900 Millionen Euro kosten. Viele Staaten der Europäischen Union unterstützen das Forschungsvorhaben finanziell. Neben belgischen sind auch deutsche, französische, spanische und italienische Wissenschaftler beteiligt.

Transmutationsanlage am KIT. Bild: K.Litfin

Im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet Joachim Knebel an dem Projekt. Für ihn sind drei Fragen zu beantworten. Funktioniert die Technik im großen Maßstab, die für die Transmutation von Atommüll in weniger gefährliche Stoffe erforderlich ist? Wie teuer ist das Verfahren? Und: Wird es gewollt?

Die grundsätzliche Machbarkeit der Transmutation von Plutonium und anderen langlebigen radioaktiven Stoffen sei bewiesen, so Knebel. Die Frage der Wirtschaftlichkeit und daraus folgende politische Entscheidungen könne erst Myrrha beantworten. Seine Forschungen möchte Knebel ideologiefrei verstanden wissen. "Wir betreiben in Karlsruhe keine Reaktorentwicklung, sondern Sicherheitsforschung", betont der Physiker.

Am KIT, das früher unter dem Namen Kernforschungszentrum Karlsruhe firmierte und maßgebliche Impulse bei der Entwicklung von Atomkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlagen und der Brütertechnologie lieferte, hat man sich neuen Forschungsfeldern zugewandt, als weder der Schnelle Brüter in Kalkar noch die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf zu Ende gebaut wurden.

Tschernobyl und Fukushima

Spätestens seit Tschernobyl und allerspätestens seit Fukushima sucht man nach einem neuen Profil. Neben der Erforschung von intelligenten Stromnetzen, Systemen mit hoher Energie- und Ressourceneffizienz und Speichertechnologien möchte man weiterhin Kernforschung betreiben. "Solange Länder um uns herum Kernkraftwerke betreiben, brauchen wir nukleare Sicherheits- und Entsorgungsforschung", beteuert Knebel. "Wir sollten mitsprechen können."

Diese Probleme hat Alex C. Mueller, Professor am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) nahe Paris nicht. In Frankreich sollen weitere Atomkraftwerke gebaut werden. Mueller, der einige Jahre am weltgrößten Teilchenbeschleuniger Cern bei Genf gearbeitet hat, betreut auch bei Myrrha diese Komponente, die allerdings wesentlich kleiner ausfallen wird als der Beschleuniger bei Genf, der unterirdisch einen Umfang von 26 Kilometer aufweist.

Aus Sicht von Mueller ist die Entscheidung der Bundesregierung zum schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie nicht nachzuvollziehen. "Die ganze Welt kann nicht aussteigen", sagt er. Umso drängender ist für ihn die Frage der Entsorgung des Atommülls. Denn egal, ob Atomkraftwerke weiter laufen oder nicht, der Abfall muss entsorgt werden.

Wiedereinstieg in die Atomkraft

Ein Gegner des Projekts Myrrha ist Dietrich Schulze. Vierzig Jahre arbeitete er im Kernforschungszentrum Karlsruhe, zwanzig Jahre war er dort Betriebsratsvorsitzender. So hat er sich, obwohl selbst Hochenergiephysiker, mit den Plänen der Kollegen kritisch auseinandergesetzt. Für ihn ist die Transmutation von Atommüll nur ein weiterer Versuch, die Option auf den Wiedereinstieg offenzuhalten und die Plutoniumwirtschaft aufrechtzuerhalten.

Tatsächlich ähneln sich die Verfahren zur Wiederaufarbeitung und zur Transmutation von Atommüll. In beiden Fällen muss der Inhalt der Brennstäbe mit Salpetersäure aufgelöst werden und die Inhaltsstoffe müssen mit Zentrifugen voneinander getrennt werden. Auch sieht Schulze einen Zusammenhang zwischen der Forschung zur Transmutation, zur Brütertechnologie und zur Wiederaufarbeitung.

Das Institut für Transurane (ITU), das auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie steht und unter anderem zur Sicherheit von Kernbrennstoffen forscht, besitzt die Genehmigung, 180 Kilogramm Plutonium und 50 Kilogramm Uran-235 zu lagern.

Das ITU möchte nun einen Institutsanbau errichten, stößt hierbei aber auf örtlichen Widerstand. Auch die neue grün-rote Landesregierung in Stuttgart scheint nicht erfreut darüber zu sein, dass ein von 1,80 Meter dicken Stahlwänden abgeschirmtes Atomlabor im Ländle errichtet werden soll. Die energiepolitische Debatte kommt also in den nächsten Jahren um das Thema Transmutation nicht herum.

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10 Kommentare

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  • A
    Annette

    Eine Transmutationsanlage wie sie derzeit favorisiert wird und mit dem geplanten Experimentalreaktor MYRRHA in Entwicklung ist, ist ein Brutreaktor vom neuen Typ "Accelerator Driven System" (ADS).

     

    Während im herkömmlichen schnellen Brüter die für den Brut- und Verbrennungsprozess notwendigen schnellen Neutronen aus zugesetztem hochangereichertem Uran stammen, werden sie im ADS mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers (accelerator) erzeugt. Das hat den Vorteil, dass das ADS leichter zu steuern ist und im subkritischen Betrieb gefahren werden kann (Kritikalität s.[3]). Dafür gibt es aber neue Risiken, z.B. ist das Kühlmittel (flüssiges

    Blei-Wismut-Gemisch) so aggressiv, dass selbst Edelstahl angefressen wird, so dass Beschichtungen notwendig werden [4]).

     

    Theoretisch könnte das ADS mit Plutonium (Pu) und Minoren Actiniden (MA, v.a. Neptunium, Curium, Americium) als Brennstoff laufen, die mit einer weiterentwickelten Wiederaufarbeitungstechnologie (partitioning) aus Atommüll abgetrennt werden müssten. Dann könnte es aber in einem Störfall erhöhte Sicherheitsrisiken geben.

     

    Aus diesem Grund wird das ADS mit einem der Brutstoffe Thorium (Th-232), abgereichertes Uran (U-238) oder Natururan(Hauptbestandteil U-238) betrieben. Dabei wird (wie auch im schnellen Brüter) zunächst aus Th-232 das spaltbare (und damit waffenfähige) Uranisotop U-233 erbrütet und anschließend weiterverbrannt. Alternativ wird aus U-238 das besonders Kernwaffen-geeignete Plutonium-Isotop Pu-239 erbrütet und anschließend weiterverbrannt.

     

    Diesem Brut-/Brennstoffgemisch werden Pu und MA's zugesetzt oder in separaten Brennstäben an anderer Stelle im Reaktorkern zu verbrannt. (Beim Schnellen Brüter im kritischen Betrieb könnte man auch Pu zusetzen, doch bei der Verbrennung der MA's gäbe es zu große Sicherheitsrisiken.)

     

    Der Experimentalreaktor MYRRHA soll zunächst mit Mischoxid- (MOX) Brennstäben aus Uran und 30-35% Pu betrieben werden [1]

     

    Müsste ein ADS nur die Energie erzeugen, die zur Transmutation von Pu und MA's notwändig wäre, könnte es deutlich unter dem Kritikalitätspunkt k=1 betrieben werden (k=0,77 siehe [2], S. 15). Zum Multiplikationsfaktor k (manchmal auch k_eff genannt) siehe [3].

     

    Für den geplanten Versuchsreaktor MYRRHA, der in Belgien gebaut werden soll, ist aber schon ein Betrieb relativ knapp unter der Kritikalitätsgrenze k=1 geplant, so dass möglichst viel überschüssige Energie erzeugt wird, die ins Netz eingespeist werden kann. Nach [1] soll MYRRHA zunächst mit k=0,955 laufen. Damit erzeugt der Versuchsreaktor MYRRHA nach der Formel in [2] ca. 6,36 mal mehr Energie, als er zur TM des Plutoniums benötigen würde.

     

    Ein kommerziell betriebenes ADS liefe noch näher an der Kritikalitätsgrenze. Z.B. wäre bei k=0,97 der Energiegewinn bereits 10-fach, bei k=0,98 das 15-fache im Vergleich zur Energiemenge, die nur zur TM benötigt würde. Es geht also (zumindest auch) um Energieerzeugung.

     

    Hinzu kommt, dass man die Transmutationstechnologie nicht getrennt von der übrigen Weiterentwicklung der Kerntechnik betrachten kann: Die Atomlobby träumt von ganzen Reaktorparks mit Leichtwasserkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlage, Brennelementefertigung, Transmutationsanlage und evtl. noch schnellen Brüter. Das nennen sie dann "Reaktorsystem der 4. Generation" ([5],[6]). Dass es bei der Entwicklung der Transmutation nicht um eine endgültige Beseitigung von Atommüll geht, offenbart auch die Formulierung im ITU-Bauantrag: Ziel der wissenschaftlichen Arbeit sei (u.A.) die Entwicklung von "geschlossenen Brennstoffkreisläufen" für Reaktorsysteme der "4. Generation". Das ist der gesamte Brennstoffzyklus von Wiederaufarbeitung, Brennelementeherstellung, Leichtwasserreaktor und wieder Wiederaufarbeitung ... .

     

    Die angebliche Entsorgung von Atommüll ist also bestenfalls ein Feigenblatt, mit dem die Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden soll.

    In meinen Augen ist es schlicht Etikettenschwindel.

     

    In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass aufgrund des Betriebs mit schnellen Neutronen auch ein ADS zum Erbrüten atomwaffentauglichen Materials missbraucht werden kann, wenn oder wo dies politisch gewollt ist. Nach meiner persönlichen Einschätzung würde dabei die gute Steuerbarkeit des Systems es noch erleichtern, den "optimalen" Zeitpunkt zur Entnahme des waffenfähigen Materials abzupassen, d.h. jenen Zeitpunkt, zu dem schon möglichst viel U-233 bzw. Pu-239 erbrütet, aber noch möglichst wenig weiterverbrannt ist.

     

    Bei dieser Gelegenheit will ich darauf hinweisen, dass neben der Entwicklung der "Gen. IV - Reaktorsysteme" auch intensiv an der Entwicklung von Fusionsreaktoren gearbeitet wird. In Dt. v.a. in Karlsruhe, Jülich, Garching und Greifswald. Z.B: entsteht z.Zt. in Greifswald ein experimenteller Fusionsreaktor "Wendelstein 7-X" ([7],[8]).

     

    Quellenangaben:

     

    [1] http://myrrha.sckcen.be/

    [2] http://www.gsi.de/documents/DOC-2003-Jun-32-2.pdf

    [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Kritikalität

    [4] http://www.faz.net/-01rr9p

    [5] http://www.iket.fzk.de/cube/index.php?pid=8102daea0bb1918097de3dc45305fa8f

    [6] http://www.iea.org/papers/2010/nuclear_roadmap.pdf

    [7] http://de.wikipedia.org/wiki/Wendelstein_7-X

    [8] http://www.ipp.mpg.de/ippcms/de/pr/forschung/w7x/stand/index.html

     

    Ein Strategiepapier zur Fusionsforschung in Deutschland:

    http://www.fusion.kit.edu/img/Strategiepapier.pdf

     

    Ein Link zum europäischen Fusionsprogramm und (u.a.) der deutschen Beiteiligung:

    http://www.efda.org/eu_fusion_programme/eu_fusion_research_institutions.php

  • A
    Annette

    Eine Transmutationsanlage wie sie derzeit favorisiert wird und mit dem geplanten Experimentalreaktor MYRRHA in Entwicklung ist, ist ein Brutreaktor vom neuen Typ "Accelerator Driven System" (ADS).

     

    Während im herkömmlichen schnellen Brüter die für den Brut- und Verbrennungsprozess notwendigen schnellen Neutronen aus zugesetztem hochangereichertem Uran stammen, werden sie im ADS mit Hilfe eines Teilchenbeschleunigers (accelerator) erzeugt. Das hat den Vorteil, dass das ADS leichter zu steuern ist und im subkritischen Betrieb gefahren werden kann (Kritikalität s.[3]). Dafür gibt es aber neue Risiken, z.B. ist das Kühlmittel (flüssiges

    Blei-Wismut-Gemisch) so aggressiv, dass selbst Edelstahl angefressen wird, so dass Beschichtungen notwendig werden [4]).

     

    Theoretisch könnte das ADS mit Plutonium (Pu) und Minoren Actiniden (MA, v.a. Neptunium, Curium, Americium) als Brennstoff laufen, die mit einer weiterentwickelten Wiederaufarbeitungstechnologie (partitioning) aus Atommüll abgetrennt werden müssten. Dann könnte es aber in einem Störfall erhöhte Sicherheitsrisiken geben.

     

    Aus diesem Grund wird das ADS mit einem der Brutstoffe Thorium (Th-232), abgereichertes Uran (U-238) oder Natururan (Hauptbestandteil U-238) betrieben. Dabei wird (wie auch im schnellen Brüter) zunächst aus Th-232 das spaltbare (und damit waffenfähige) Uranisotop U-233 erbrütet und anschließend weiterverbrannt. Alternativ wird aus U-238 das (besonders Kernwaffen-geeignete) Plutonium-Isotop Pu-239 erbrütet und anschließend weiterverbrannt.

     

    Diesem Brut-/Brennstoffgemisch werden Pu und MA's zugesetzt oder in separaten Brennstäben an anderer Stelle im Reaktorkern zu verbrannt. (Beim Schnellen Brüter im kritischen Betrieb könnte man auch Pu zusetzen, doch bei der Verbrennung der MA's gäbe es zu große Sicherheitsrisiken.)

     

    Der Experimentalreaktor MYRRHA soll zunächst mit Mischoxid- (MOX) Brennstäben aus Uran und 30-35% Pu betrieben werden [1]

     

    Müsste ein ADS nur die Energie erzeugen, die zur Transmutation von Pu und MA's notwändig wäre, könnte es deutlich unter dem Kritikalitätspunkt k=1 betrieben werden (k=0,77 siehe [2], S. 15). Zum Multiplikationsfaktor k (manchmal auch k_eff genannt) siehe [3].

     

    Für den geplanten Versuchsreaktor MYRRHA, der in Belgien gebaut werden soll, ist aber schon ein Betrieb relativ knapp unter der Kritikalitätsgrenze k=1 geplant, so dass möglichst viel überschüssige Energie erzeugt wird, die ins Netz eingespeist werden kann. Nach [1] soll MYRRHA zunächst mit k=0,955 laufen. Damit erzeugt der Versuchsreaktor MYRRHA nach der Formel in [2] ca. 6,36 mal mehr Energie, als er zur TM des Plutoniums benötigen würde.

     

    Ein kommerziell betriebenes ADS liefe wahrscheinlich noch näher an der Kritikalitätsgrenze. Z.B. wäre bei k=0,97 der Energiegewinn bereits 10-fach, bei k=0,98 das 15-fache im Vergleich zur Energiemenge, die nur zur TM benötigt würde. Es geht also (zumindest auch) um Energieerzeugung.

     

    Hinzu kommt, dass man die Transmutationstechnologie nicht getrennt von der übrigen Weiterentwicklung der Kerntechnik betrachten kann: Die Atomlobby träumt von ganzen Reaktorparks mit Leichtwasserkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlage, Brennelementefertigung, Transmutationsanlage und evtl. noch schnellem Brüter. Das nennen sie dann "Reaktorsystem der 4. Generation" ([5],[6]). Dass es bei der Entwicklung der Transmutation nicht um eine endgültige Beseitigung von Atommüll geht, offenbart auch die Formulierung im ITU-Bauantrag: Ziel der wissenschaftlichen Arbeit sei (u.A.) die Entwicklung von "geschlossenen Brennstoffkreisläufen" für Reaktorsysteme der "4. Generation". Das ist der gesamte Brennstoffzyklus von Wiederaufarbeitung, Brennelementeherstellung, Leichtwasserreaktor und wieder Wiederaufarbeitung ... .

     

    Die angebliche Entsorgung von Atommüll ist also bestenfalls ein Feigenblatt, mit dem die Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht werden soll.

    In meinen Augen ist es schlicht Etikettenschwindel.

     

    In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass aufgrund des Betriebs mit schnellen Neutronen auch ein ADS zum Erbrüten atomwaffentauglichen Materials missbraucht werden kann, wenn oder wo dies politisch gewollt ist. Nach meiner persönlichen Einschätzung würde dabei die gute Steuerbarkeit des Systems es noch erleichtern, den "optimalen" Zeitpunkt zur Entnahme des waffenfähigen Materials abzupassen, d.h. jenen Zeitpunkt, zu dem schon möglichst viel U-233 bzw. Pu-239 erbrütet, aber noch möglichst wenig weiterverbrannt ist.

     

    Bei dieser Gelegenheit will ich auch darauf hinweisen, dass neben der Entwicklung der "Gen. IV - Reaktorsysteme" auch intensiv an der Entwicklung von Fusionsreaktoren gearbeitet wird. In Dt. v.a. in Karlsruhe, Jülich, Garching und Greifswald. Z.B: entsteht z.Zt. in Greifswald ein experimenteller Fusionsreaktor "Wendelstein 7-X" ([7],[8]).

     

    Quellenangaben:

     

    [1] http://myrrha.sckcen.be/

    [2] http://www.gsi.de/documents/DOC-2003-Jun-32-2.pdf

    [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Kritikalität

    [4] http://www.faz.net/-01rr9p

    [5] http://www.iket.fzk.de/cube/index.php?pid=8102daea0bb1918097de3dc45305fa8f

    [6] http://www.iea.org/papers/2010/nuclear_roadmap.pdf

    [7] http://de.wikipedia.org/wiki/Wendelstein_7-X

    [8] http://www.ipp.mpg.de/ippcms/de/pr/forschung/w7x/stand/index.html

     

    Ein Strategiepapier zur Fusionsforschung in Deutschland:

    http://www.fusion.kit.edu/img/Strategiepapier.pdf

     

    Ein Link zum europäischen Fusionsprogramm und (u.a.) der deutschen Beiteiligung:

    http://www.efda.org/eu_fusion_programme/eu_fusion_research_institutions.php

  • R
    Rainier

    1. Tatsächlich ähneln die chemischen Prozesse zur Trennung der Elemente bei der Transmutation nicht nur der Wiederaufarbeitung, sondern sie sind viel umfangreicher und letztlich noch schmutziger (5-malige Wiederaufarbeitung/Rartitioning bei de Transmutation erforderlich)

     

    2. Der Anteil des sehr langlebigen Abfalls lässt sich mit Transmutation zwar verringern, aber keinesfalls beseitigen.

     

    3. Aus langlebigen Isotopen werden riesige Mengen kurzlebiger Isotope gemacht, die während der Transmutation und einige Zeit danach ein erhebliches Risiko darstellen.

     

    Fazit: Die Umweltbilanz der Transmutation ist vermutlich noch negativer, als die der direkten Endlagerung.

  • S
    Swen

    In der Nagasakibombe Fat Man wurden 1,2 kg Plutonium gespalten. 180 kg am ITU würden bei der kontrollierteren Spaltung also 150 man soviel Energie und 150 mal soviel von genau dem gleichen radioaktiven Dreck erzeugen, wie die Nagasakibombe - vielleicht sogar etwas mehr, denn die überschüssigen Neutronen werden ja nicht von Luft (Stickstoff und Sauerstoff) sondern von anderen Atomen aufgefangen. Damit das Zeug nicht zu heiß wird, wie in Fukushima geschehen, darf die Energieabgabe nicht sehr hoch sein. Wie viele hundert Jahre muss man diese 180 kg Plutonium dann mit Neutronen beschießen, bis alles Plutonium weg ist und ohne dass die Gefahr besteht, dass sich der Dreck überhitzt und Jod, Strontium, Cäsium und Tritium freigibt????

  • J
    JanG

    Transmutation ist ein guter und wichtiger Weg der zu gehen ist, ohne Frage. Allerdings muss bedacht werden, dass auch hier rund 1 Prozent des Abfalls bestehen bleibt. Und der muss, wie bisher, endgelagert werden. Und das für einen Zeitraum von rund einer Mio Jahre.

  • T
    Toby

    "Spätestens seit Tschernobyl und allerspätestens seit Fukushima und allerallerspätestens seit ..."

    Aus einem Artikel das Jahres 2018.

  • N
    Noblinski

    Das ist Quatsch. Keine Technologie kann tausende Tonnen hochstrahlenden Abfall transmutieren. Hier wird versucht, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben. Wobei man die Wissenschaftler und ihr Forschungsinterese wohl noch am ehesten in Schutz nehmen darf. Aber man kann ja auch mal die ökonomische Seite sehen, woher kommt denn der Gewinn, wenn die Milliarden investiert sind? Aus Einsparungen der für Endlagerung nicht benötigten Mittel, die man sich sowieso borgen müßte. Und wo borgt man, wenn erst die Schuldenbremse greift? Richtig, in der Zukunft! Ich finde, wenn die Zukunft uns etwas borgen kann, dann kann sie auch auf unseren Atommüll aufpassen.

  • V
    vic

    Wenn Transmutation das Lagerproblem von Milionen Jahen auf "mehrere tausende" reduziert, muss die Technik zügig ralisiert werden, und Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit stehen.

    Als Hintertür zum Wiedereinstieg - von dem ich ohnehin überzeugt bin - muss das Projekt jedoch verschlossen bleiben, bis eines Tages eine höhere Intelligenz die jetzige ersetzt.

  • RB
    Ringo Baka

    * KERNphysiker

  • J
    joe

    Und jedes Jahr zur Sommerszeit,

    macht sich dieser Unsinn breit.