piwik no script img

Transfeindliche Gewalt in der TürkeiGute Nachrichten aus Istanbul

Im Juli 2016 standen Männer mit Macheten und Beilen vor der Tür einer trans Freundin in Istanbul. Nun wurden die Schläger verurteilt.

Pride Parade in Istanbul (Archivbild, Juli 2007) Foto: Murad Sezer/ap

L etzte Woche bekam ich eine erfreuliche Nachricht aus Istanbul. Ein Gericht hat drei der rund 40 Männer schuldig gesprochen, die 2016 unsere Wohnung im Istanbuler Viertel Avcılar angegriffen hatten. Sie haben eine Haftstrafe von je zehn Jahren und acht Monaten bekommen. Dass transfeindliche Gewalt bestraft wird, ist die Ausnahme. Bisher wurden in der türkischen Justiz statt der Opfer oft die Täter geschützt.

Es war die zweite Nacht von Bayram im Juli 2016. Als ich erfuhr, dass einige Männer die Wohnung meiner trans Freundin in Avcılar mit Steinen beworfen hatten, bin ich aus Solidarität mit einigen trans Freundinnen hingefahren. Der Anblick vor Ort war schrecklich. Alle Fenster in der Erdgeschosswohnung waren zerbrochen. Wir riefen die Polizei und räumten gerade die Glasscherben weg, als wir draußen ungefähr 40 Männer mit Macheten, Beilen und Schlägern sahen, die riefen: „Wir werden die Schwulen nicht in dieser Nachbarschaft wohnen lassen.“ Ich glaube, sie wollten uns töten.

Obwohl die Polizeibehörde in Avcılar nur fünf Minuten von der Wohnung entfernt war, dauerte es 55 Minuten, bis die Polizei zum Tatort kam. Es gab nur einen Weg gegen die Faschisten, die uns töten wollten: Wir mussten uns selbst wehren.

Wir öffneten die Tür und gingen gegen die mit Macheten bewaffneten Männer in die Offensive. Wir wurden verletzt, aber wir wichen keinen Schritt zurück. Als die Polizisten endlich kamen, übergaben wir ihnen 17 Angreifer. Später auf der Polizeiwache waren nur noch drei von ihnen übrig. Die Polizei behauptete, die anderen Täter seien auf dem Weg geflohen. Wir verbrachten die Nacht hellwach in der Polizeistation.

Als seien wir Täterinnen

Eine Freundin hatte gefilmt, wie wir uns gewehrt haben. In der gleichen Nacht hat sie die Videos auf Facebook geteilt. Obwohl mein Gesicht auf den Aufnahmen deutlich zu erkennen ist, bezeichneten mich meine werten Kolleg*innen in ihren Berichten nur als „eine trans Frau“, statt meinen Namen zu nennen.

Wenig später begann der Prozess – aber wir trans Frauen wurden als „Klägerin-Beschuldigte“ angeklagt, als seien wir die Täterinnen. Warum? Weil wir die Täter vor unserer eigenen Wohnung verletzt haben und sie der Freiheit beraubt haben.

Die Richterin notierte im Protokoll: „Ein Streit, der entstand, weil männliche Personen zu später Stunde in ihre Wohnung gekommen waren, eskalierte.“ Dieser Satz erzählt viel. Der Angriff war kurz vor dem Putschversuch passiert, unser Prozess begann kurz danach. Die Richterin verhielt sich uns gegenüber hart, doch wir bewerteten das nicht als Transfeindlichkeit. Denn Istanbul brannte in diesen Tagen.

Umso überraschender ist das Urteil. Die Richterin hat nicht die Schuldigen geschützt, sondern Männergewalt bestraft. Selbst wenn das Urteil die Formulierung „transfeindliche Gewalt“ vermeidet, kann ich jetzt doch schreiben: „32 Jahre Haft für transfeindliche Gewalt“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare