Transatlantischer Freihandel: EU kündigt Kehrtwende bei TTIP an
Die EU und Kanada feiern das Freihandelsabkommen Ceta. Gleichzeitig kippt die EU-Handelskommissarin offenbar beim umstrittenen Investorenschutz.
EDMONTON taz | Es war fast gespenstisch. Drei Männer standen im historischen Parlamentsgebäude von Ottawa vor einem langen, mit kanadischen und EU-Fahnen geschmückten Gang und taten, als wäre alles in Butter. Kanadas Premier Stephen Harper sprach von einem „sehr guten Tag“, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy von einem „großartigen Erfolg“, der scheidende Kommissionspräsident José Manuel Barroso von einem „historischen Augenblick“.
Dabei ist nichts in Butter. Zwar unterzeichneten die drei Politiker eine Erklärung zum Abschluss der fünfjährigen Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU, auch Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement) genannt. Doch angesichts vieler Widerstände in Europa und Nachbesserungsbedarf in Berlin ist alles andere als sicher, ob der Vertrag jemals so in Kraft treten kann.
Laut Ceta sollen 98 Prozent aller Zölle wegfallen, die Exportquoten steigen, Unternehmen leichteren Zugang zu öffentlichen Aufträgen bekommen, Investitionen angekurbelt und die Freizügigkeit hochqualifizierter Arbeitnehmer verbessert werden. Ceta gilt als Blaupause für ein ähnliches Abkommen mit den USA namens TTIP.
Trotz des formellen Abschlusses sind wichtige Ceta-Teile umstritten: Besonders der Investorenschutz, der es Firmen ermöglichen soll, einen Staat vor einem Sondertribunal zu verklagen, wenn sie durch eine politische Entscheidung ihre Profite geschmälert sehen. Am Rande der Zeremonie in Ottawa protestierten etwa 300 Kritiker gegen diese Klauseln – sie fürchten eine „Paralleljustiz“, die die nationale Rechtssprechung untergräbt. Die Politiker drinnen sprachen nur am Rande über die Kritik. Harper spielte die Bedenken von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) herunter, der den Investitionsschutz nachträglich streichen will: „Es ist normal, dass Leute auftauchen und sagen, wir wollen noch dieses oder jenes ändern.“ Er ließ offen, ob Kanada Nachbesserungen mitmachen würde.
Opfer auf dem Altar des Freihandels
Die EU-Vertreter konnten ihren Ärger über die späten Nachforderungen aus Deutschland kaum verbergen. Es wäre doch „sehr merkwürdig“, wenn Deutschland als Exportnation das Abkommen am Ende blockiere. In den Verhandlungen habe die Bundesregierung keine Einwände gegen den Investitionsschutz vorgetragen, „für Änderungen ist es eigentlich zu spät“, sagte sogar ein hoher kanadischer Beamter. Notfalls könne der Vertrag auch ohne Deutschland in Kraft treten.
Auch Barroso und Van Rompuy betonten, man werde das Paket nicht mehr aufschnüren. Doch beide sind nur noch wenige Tage im Amt, danach übernimmt in Brüssel eine neue Führung das Ruder, die bereits mehr Kompromissbereitschaft zeigt. Die designierte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat offenbar bereits zugesichert, bei den Verhandlungen über TTIP, das Abkommen mit den USA, auf den Investorenschutz zu verzichten. Das teilte am Wochenende Bernd Lange (SPD) mit, Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament. „Malmström geht einen Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Lange. Er erwarte jetzt „mit Zuversicht“ ihre Anhörung im Parlament am heutigen Montag.
Auch der neue Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte gesagt, er sei nicht bereit, europäische Standards im Bereich Sicherheit, Gesundheit, Soziales oder Datenschutz „auf dem Altar des Freihandels zu opfern“. Die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten dürfe nicht „durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt“ werden. Die neue Juncker-Kommission soll am 1. November ihre Arbeit aufnehmen.
Auch in Kanada ist die Diskussion über Ceta noch nicht vorbei. Die Provinzregierungen und das Parlament müssen zustimmen. Oppositionsführer Thomas Mulcair von der Sozialdemokratischen Partei sagte, er teile die Bedenken aus Deutschland. Allerdings hat er im Parlament in Ottawa keine Mehrheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers