Tragikomödie im Fernsehen: Ein Kopftuchmärchen
In „Dreiviertelmond“ kommt einem Taxifahrer die Frau abhanden und einem türkischen Mädchen die Oma. Heraus kommt gutes Fernsehen.
Noch ein Regisseur, der, neben Dominik Graf und Doris Dörrie, viel auf Elmar Weppers Fähigkeiten als Schauspieler hält, ist Christian Zübert. Wepper war bereits in Züberts Debut, der lässigen Kiffer-Komödie „Lammbock“, mit dabei. „Dreiviertelmond“, der vor zwei Jahren in den Kinos lief, ist ein ganz anderer Film.
Da ist also dieser grantelnde Nürnberger Taxifahrer – Wepper bemüht sich, seinem Bairisch eine fränkische Färbung zu geben. Des Grantlers Name Mackowiak ist in etwa so urdeutsch wie zum Beispiel Sarrazin, aber das hindert ihn nicht daran, seine Verachtung gegen alle Zugereisten deutlich zu artikulieren. Als er eine Türkin mit kleiner Tochter chauffiert, nennt ihn die Mutter prompt einen Nazi.
Dieses spezifische, sauberkeits- und ordnungsversessene Kleinbürgermilieu hat Zübert, der auch das Drehbuch geschrieben hat, sehr präzise erfasst. Zum Beispiel das Haus mit Jägerzaun. Die dunkelbraune Möblierung kontrastiert mit der neuen, fliederfarbenen Einbauküche. Als er sie ihr endlich gekauft hat, hat Mackowiaks Frau erkannt, dass sie es mit ihm nicht länger aushält, nach 35 Ehejahren.
18. Oktober, 20.15 Uhr, Arte, „Dreiviertelmond“.
Es läuft also nicht gut, und jetzt auch noch das: Wie der Zufall es so will, ist er, der kein Türkisch spricht, für das kleine türkische Mädchen Hayat (Mercan Türkoglu aus Berlin), das kein Deutsch spricht, dessen Mutter ihn Nazi genannt hat und inzwischen auf Reisen gegangen ist, dessen mit der vorübergehenden Sorge betraute Großmutter plötzlich im Koma liegt, die einzige Bezugsperson. „Hallo, Kopftuchmädchen! Hey hallo!“ – Er kriegt sie nicht mehr aus seinem Taxi raus.
Harte Schale, weicher Kern. Es versteht sich, dass das Mädchen in seiner unschuldigen Hilflosigkeit den Grantler früher oder später knacken muss. Groß ist, wie Zübert das weder als Rührstück noch als Feelgood-Komödie über eine noch so unwahrscheinliche Freundschaft inszeniert.
Die Paraderolle des im fortgeschrittenen Lebensalter unerwartet aus der Bahn geworfenen, der darüber zu neuen Erkenntnissen gelangt und Dinge tut, die er sich vorher nicht hätte vorstellen können – die hatte Elmar Wepper schon für Doris Dörrie gegeben, in „Kirschblüten – Hanami“. Für ihn gab es dafür seinerzeit, 2008, den Bayerischen und den Deutschen Fernsehpreis.
Und für ein größeres Publikum die späte Erkenntnis, dass er, nachdem er seine besten Jahre am Vorabend mit Uschi Glas in Hamburg verbracht hat, auch ein prima Charakterdarsteller ist.
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