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Tragikomik der Spielplätze

■ Stephan Kimmig inszeniert „Nicht in den Mund“

Zwei Frauen springen Seil: die eine gleichmäßig und konzentriert, die andere um Variation bemüht, werbend. Beide scheitern – für dieses Mal. Irene (Maren Eggert) geht und lässt ihren Sohn Adam in Hannes (Leila Abdullah) Obhut. Wie jeden Tag. Nicht in den Mund heißt das erste Theaterstück von Sabina Sabato, das in der Regie von Stephan Kimmig vorigen Samstag im Thalia in der Gaußstraße zur Uraufführung kam. Sieben Tagesmütter passen hier auf einen Haufen Kinder auf. „Nicht in den Mund!“ gehört dabei zu den Standardformeln, die zwischen Gesprächsfetzen über Probleme und Alltag auf die Kinder einprasseln. (Tages-)Mütter mit ihren Kleinen auf Spielplätzen sind ja oft ein Albtraum für die meisten der aktiv Beteiligten und jeden Zuhörer. Hier sitzt das Publikum im imaginären Sandkasten und sieht ein präzise interagierendes Ensemble auf einer fast kahlen Bühne (Katja Haß). Der erste Teil gerät trotz aller Tragik äußerst komisch.

In einer gelungenen Mischung aus Persiflage und bitterem Ernst lässt Regisseur Kimmig die Sieben sich individuell in ihrem Schicksal entfalten: Da sind Gabi (Verena Reichhardt) mit Sinn fürs Polterige und Direkte, Cornelia (Susanne Wolff), vollkommen entstellt als blasse, verkrampfte Selbstgestrickte, Kubi (Doreen Nixdorf), deren größte Sorge ihre Tage sind, weil sie unbedingt schwanger werden will, Rose (Sylvia Schwarz), die zwar bei der Spielplatzgymnastik den Ton angibt, sich aber privat mit einem Mann vor der Glotze arrangiert hat. Dann gibt es die resolute, fast harsche Karin (Sandra Flubacher) und Rita (Ulrike Schwab) als die Sanfte, die ihren Schützlingen sogar ab und an ein Küsschen zuwirft.

Nur Hanne gehört nicht recht dazu: Leila Abdullah spielt sie als eine stets Abwesende, eine, die am deutlichsten in ihrem Leben nicht zu Hause ist. Als durch Unaufmerksamkeit und Überforderung der Frauen ein Junge ertrinkt, trifft einzig Hanne die Schuld. Denn: „Tagesmutter ist jede allein.“ Die Inszenierung mündet nach den lauten, aufgeregten Szenen nun in stille, melancholische Bilder der Isolation und Aussichtslosigkeit. Weder Hannes Freund Mark (Jörg Lichtenstein), der im Supermarkt in einem Glaskasten unter der Decke arbeitet, noch Irene erfahren die Wahrheit. Hanne schneidet sich die Pulsadern auf, ganz ernst und ohne Blut. Bis zum Ende sitzt sie angespannt mit den Händen in den Hosentaschen auf dem Sofa neben Irene. Sehr stark ist diese letzte, innige Szene zweier trauriger Liebenden, für die schon alles zu spät ist.

Nach den ziemlich belanglosen Damen der Gesellschaft also wieder ein Frauenensemble. Was dort abgehobenes Gala-Geplänkel war, ist hier unentrinnbare Realität. Eine überaus dichte, packende Stunde mit vielen Tempowechseln und Platz für die dargestellten Eigenheiten der Figuren.

Liv Heidbüchel

weitere Vorstellungen: 7. + 8.3., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße

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