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Archiv-Artikel

„Toyotaisierung“ verwüstet die Wüste

Geologe: Geländewagen verursachen weltweit schwere Erosion. Staubstürme in der Sahara zehnmal häufiger

Das Sündenregister des Autos ist lang: Die zunehmende Motorisierung der Welt schluckt wertvolle Ölreserven, verschmutzt die Atemluft vor allem in den Innenstädten, trägt massiv zum Klimawandel bei und fordert jährlich hunderttausende von Toten und Verletzten. Dieser Vorwurf gegen das Auto ist neu: Es zerstört die Wüsten und trägt zum globalen Problem der Staubstürme bei.

Das jedenfalls ist das Forschungsergebnis von Andrew Goudie, Professor für Geografie in Oxford. Weil zunehmend der Transit durch die Wüsten der Welt nicht mehr mit Kamelen, sondern mit Vierradgeländewagen abgewickelt wird, leidet das fragile Ökosystem der Wüsten: Die schweren Reifen brechen die dünne obere Schicht aus Algen, Kiesel oder Flechten. Goudie wehrt sich gegen die „Toyotaisierung“ der Wüsten – benannt nach dem populärsten Geländewagen in Wüstengegenden, dem „Toyota Landcruiser“. Der ist ein Vorzeigeprodukt des zweitgrößten Autokonzerns der Welt.

Seit 1954 verkauft Toyota seinen Landkreuzer, anfangs mit Blattfedern, inzwischen auch mit allem Komfort bis zur 249 PS starken Motorversion „4,0 l-V6-VVT-i“ erhältlich. Die Fangemeinde fährt gern in entfernte Wüstenwinkel (www.buschtaxi.de). „Wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen verbieten, abseits der Straßen und Pisten zu fahren“, grollt Goudie gegen Toyota und andere Marken.

In der Zeitschrift Science klagt der Geologe: „Die Oberflächen der Wüsten sind seit Jahrtausenden stabil geblieben. Doch wenn sie zerbrochen werden, wird der Sand vom Wind davongeweht“, schreibt der Wissenschaftler.

Das belegen seine Daten, die er aus Satellitenbildern erstellt hat. In den letzten 50 Jahren haben sich demnach die Staubstürme in und um die Sahara verzehnfacht. Jedes Jahr werden durch die Stürme bis zu drei Milliarden Tonnen Staub rund um den Globus verteilt. Zwar tragen auch andere Faktoren als der Autoverkehr zur Ausbreitung der Wüsten bei: Rodung von Wäldern, Überbeanspruchung von Weideland durch Viehherden, das Verschwinden von Gewässern wie dem Tschadsee und dem Aralsee.

Doch die Staubstürme, die im Durchschnitt auf 200 Kilometer Front auftreten und bis zu 100 Tonnen Sand bewegen, machen das Problem zu einer globalen Angelegenheit. Nach Goudis Daten hat Sand aus der Sahara die Korallenbänke in der Karibik zerstört und trägt zum Schmelzen des Grönlandeises bei: Der Staub setzt sich auf der Eisfläche ab, absorbiert mehr Sonnenhitze als das weiße Eis und heizt so die Gletscher. Bereits jetzt sterben nach Goudis Recherchen jedes Jahr Menschen in den USA am „Valley-Fieber“, weil sie allergisch auf Pestizidrückstände reagieren, die die Stürme aus der Sahara über den Atlantik blasen. „Die Anzahl der Allradfahrzeuge ist atemberaubend“, sagt der Geologe. „Wenn man sich heute eine beliebige Wüste anschaut, fahren praktisch überall Leute in Allradfahrzeugen herum.“

BERNHARD PÖTTER