piwik no script img

Tourismus-Einbruch in SimbabweWeltwunder in der Krise

Während Präsident Mbeki aus Südafrika einen letzten Vermittlungsversuch zwischen Mugabe und Tsvangirai unternimmt, geht der einst blühende Tourismus in Simbabwe den Bach runter.

In Simbabwes Provinz regiert die Verzweiflung: Selbst die weltberühmten Viktoriafälle will niemand mehr sehen. Bild: dpa

Das Donnern des Sambesi, der hier mehr als 100 Meter in die Tiefe stürzt, ist ohrenbetäubend. 1,7 Kilometer sind die Viktoriafälle breit. Pro Minute brechen jetzt in der Trockenzeit rund 20.000 Kubikmeter Wasser spektakulär die schroffen Felswände herab, nach der Regenzeit sind es mehr als eine halbe Million. Den Titel "Weltwunder" tragen die Viktoriafälle zu Recht. Umso erstaunlicher, dass kaum noch jemand kommt, um das Wunder mit eigenen Augen zu sehen.

Nur knapp 30 Besucher haben sich seit Anfang September in das Besucherbuch eingetragen, das gleich hinter dem Eingang zum Victoria-Falls-Nationalpark ausliegt. Dabei sind nur hier, von der simbabwischen Seite aus, die Fälle in ihrer ganzen Pracht zu bestaunen. Die Katarakte im sambischen Nationalpark jenseits der Schlucht, die beide Länder trennt, sehen im Vergleich kläglich aus. "Alle sind hierhergekommen, um die Fälle zu sehen", erinnert sich Neva Makoni, der vor 30 Jahren in Victoria Falls geboren wurde. "Die Leute sind von Harare und Johannesburg nach Vic-Falls geflogen, haben hier ein paar Tage übernachtet, gut gegessen und auch sonst viel Geld ausgegeben." Doch diese goldenen Zeiten sind lange vorbei. Spätestens seit den Unruhen nach den Wahlen im März ist Victoria Falls vollends zur Geisterstadt verkommen. Vor dem Nationalpark versuchen die wenigen verbliebenen Souvenirverkäufer, den wenigen Besuchern simbabwische 100-Milliarden-Dollar-Scheine zu verkaufen - als wertloses Souvenir, für 1 US-Dollar. "Früher habe ich selbst Skulpturen aus Stein geschliffen und den Touristen verkauft, aber das habe ich inzwischen aufgegeben", erklärt Makoni. "Es lohnt sich nicht, wenn die Käufer fehlen."

Seit zwei Tagen läuft der 30-Jährige deshalb mit einer unhandlichen Plastiktasche durch die Innenstadt. In ihr steckt eine Steppdecke, die Makonis Frau fein säuberlich zusammengefaltet hat. "Ich will unsere Bettdecke verkaufen, um das Schulgeld für meinen Sohn bezahlen zu können." Im vergangenen Trimester, berichtet Makoni unglücklich, habe die staatliche Vorschule noch umgerechnet 10 US-Dollar verlangt. "Aber jetzt will sie 35, wo soll ich das ohne Arbeit hernehmen?" Zehn Kinder, sagt er, gehen heute noch in die Schule, wo vor ein paar Monaten noch 200 getobt und gelernt haben. Aber der Direktor weigert sich, die Gebühr zu senken. In ein paar Tagen wird die Einrichtung vermutlich ohnehin dichtmachen. "Die Lehrer haben einen Streik angekündigt, weil sie mehr Geld wollen." In der Zeitung wird der Chef der Lehrergewerkschaft zitiert: "In den 80ern konnten sich Lehrer ein Haus leisten, in den 90ern noch ein Auto, heute ist selbst ein paar Schuhe zu teuer." Makoni versteht die Lehrer: "Die meisten sind ja ohnehin schon nach Botswana oder Sambia geflohen, um dort zu arbeiten."

Nicht nur Arbeit ist ein Problem in Robert Mugabes Simbabwe. In dem Gewirr aus Hütten jenseits der Touristenstadt an der Ausfallstraße, wo Makoni lebt, gibt es seit Wochen kein trinkbares Wasser mehr. "Die Leute vom Wasserwerk sagen, sie können wegen der ständigen Stromausfälle das Wasser nicht mehr ordentlich klären", weiß der 18-jährige Tamele, der seinen Nachnamen aus Angst vor Verfolgung nicht nennen will. Hat er denn Strom? "Nein, der war schon lange vor dem Wasser weg." Ein Freund von ihm hat sich kürzlich den Arm gebrochen und ging ins Krankenhaus. "Da haben sie ihn gleich wieder weggeschickt: Wer hier einen Gips will, muss Mull und Gips selber mitbringen." Einen Tag hat es Tamele gekostet, um das Nötigste aufzutreiben. Weil die Vorräte in den Apotheken aufgebraucht waren, brachte eine Bekannte Mullbinden von der anderen Seite der Viktoriafälle aus Sambia mit.

Neva Makoni und Tamele sind Ndebele, wie Morgan Tsvangirai, der Oppositionskandidat, der im fast 1.000 Kilometer entfernten Harare um die politische Macht kämpft. Internationale Beobachter und die meisten Simbabwer sind sich einig, dass Tsvangirai die Wahlen im März gewonnen hat und die "Stichwahl" Ende Juni, die der senile Präsident Mugabe nach einer massiven Einschüchterungskampagne allein bestritt, gegenstandslos ist. Doch Mugabe will die Macht nicht aufgeben, und Tsvangirai bleibt stur. Dass ausgerechnet Südafrikas Präsident Thabo Mbeki, der als Verbündeter Mugabes gilt, zwischen den zerstrittenen Männern vermitteln kann, glaubt in dem Armenviertel am Stadtrand von Victoria Falls niemand. "Mugabe muss abtreten, sonst wird sich nichts ändern", ist Tamele wütend.

Die Ndebele haben es Mugabe nie verziehen, dass er kurz nach der Unabhängigkeit mit Militärgewalt einen Bürgerkrieg vor allem gegen die Ndebele und ihren politischen Führer, Joshua Nkomo, vorging. Mehr als 10.000 Ndebele wurden von einer in Nordkorea ausgebildeten Elitetruppe brutal getötet. Vor den juristischen Folgen dieses Massenmordes zittern heute noch Mugabegetreue in Politik und Militär. "Das ist der Grund, warum sie nicht nachgeben werden", gibt sich Makoni resigniert. "Sie werden Tsvangirai kaltstellen, und dann geht es weiter bergab."

Der Niedergang der einstigen Vorzeigeökonomie Simbabwe, wo die Inflation in diesem Jahr auf mehr als 11 Millionen Prozent geschätzt wird, ist in Victoria Falls auch deshalb so deutlich zu sehen, weil es sich um eine Kunststadt handelt, gebaut für die fehlenden Touristen. 300.000 Übernachtungsgäste zählte Victoria Falls noch 1995. Weil Investoren damals immer mehr neue Hotels bauen wollten, warnten Naturschützer vor schweren Folgen für die Umwelt, sollte sich die jährliche Besucherzahl wie prognostiziert bis 2005 auf fast eine Million erhöhen. Das Hotel Kingdom ist eines der letzten Auswüchse des damaligen Booms: ein monströser Koloss, angeblich der antiken Ruinenstadt Simbabwe nachempfunden. An deren Untergang wird man unweigerlich erinnert, wenn man mit lautem Echo durch die hohen, leeren Hallen in das zentrale Atrium läuft, eine von geschlossenen Restaurants umfriedete Ansammlung von Spielautomaten, die gespenstisch im Halbdunkel leuchten. Wo sind die Gäste? "Das sind Sie", strahlt der verloren wirkende Portier glücklich. "Sie sind derzeit der Einzige hier."

Wer heute überhaupt noch nach Victoria Falls kommt, der übernachtet in Sambia und kommt über die Stahlbrücke, die den unteren Sambesi überquert und beide Staaten verbindet. Ab zehn Uhr früh stürzen sich immer wieder Menschen von der Brücke in die Tiefe. Nicht aus Verzweiflung oder Not, sondern weil sie dafür bezahlt haben: Bungee-Jumping gehört zu den Attraktionen, mit denen sambische Reiseveranstalter vor allem junge Reisende nach Livingstone, dem sambischen Gegenstück zu Victoria Falls, locken. Auch Rafting, Paragliding und Abseilen gehören zu den Rennern. Mit dem Angebot rund ums Adrenalin haben die Sambier aus der Not eine Tugend gemacht. Zusammen mit der Simbabwekrise hat das in der einst verschlafenen Provinzstadt zu einem Bauboom geführt, der Victoria Falls alt aussehen lässt. Wer dennoch nach Simbabwe fährt, um die Fälle zu sehen, tut dies meist ein bisschen ängstlich. "Glaubst du, die lassen uns wirklich wieder raus?", fragt eine österreichische Urlauberin leise ihren Mann, während sie ein Einreiseformular ausfüllt.

Solche Sorgen haben die Simbabwer nicht, die jeden Morgen bei Sonnenaufgang den Weg über die Brücke bis zum ersten sambischen Spar-Supermarkt zurücklegen, zehn Kilometer von der Grenze entfernt. "Um sieben Uhr früh stehen bei uns schon Hunderte Schlange, die Brot kaufen wollen", stöhnt eine der Kassiererinnen, die gerade wieder eine Einkaufswagenladung Toastbrot durchzählt. 40 Stück hat John, einer der Händler, für etwa 50 Euro-Cent pro Stück gekauft. Das Geld zieht er vorsichtig aus seiner linken Socke. Vor der Tür packt er das Brot in große Kartons, dann stellt er sich zu den Simbabwern, die auf der anderen Seite des Parkplatzes auf ein Sammeltaxi warten. In Victoria Falls verkauft John das Brot - für 3 Euro pro Stück. "Ich zahle für das Brot und die Taxifahrt, und die Zöllner wollen natürlich auch Geld sehen." Weil es simbabwisches Brot schon seit Wochen kaum noch gibt, kauft es dennoch jeder, der es sich irgendwie leisten kann. Das Gleiche gilt für Zucker oder Maismehl, das in 25-Kilo-Säcken auf dem Kopf über die Grenze getragen wird. Der kleine Grenzverkehr gehört zu den Absurditäten in Mugabes Simbabwe: Er ist eigentlich verboten, aber jeder toleriert ihn, weil sonst alle hungern würden. Bis ins 500 Kilometer entfernte Bulawayo, Simbabwes zweitgrößte Stadt, und sogar nach Harare reichen die Wege der Kleinhändler, von denen kaum einer mehr als 20 Euro Startkapital hat. Wenn die Sonne rot glühend untergeht über den Viktoriafällen, verstauen sie säckeweise sambische Lebensmittel in den Nachtzug, der ins Landesinnere fährt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • S
    Steffi

    Ich war im September auf Simbabwischer Seite bei den Vic Falls, als Tagestouristin von Botswana aus. Dort Übernachtet hätte ich nicht, wobei ich mir sicher war, dass ich wieder "raus" darf.

    Die Stadt ist wie beschrieben leer und es kann nur erahnt werden wie es mal war. Die Verzweiflung der Bevölkerung ist spürbar, sobald man das Auto verlässt. Es ist nur zu hoffen, dass Herr Mugabe aufgibt, abtritt oder die Weltgemeinschaft doch mal was unternimmt.