Tour de France: Genug gestanden
Auf Christophe Moreau ruhen die Hoffnungen der Franzosen bei dieser Tour. Der 37-Jährige musste 1998 Epo-Doping zugeben. Seitdem schweigt er
TIGNES taz Man gibt sich sehr patriotisch in der Alpenherberge "Club MVV" in Tignes les Brévières, einem kleinen Bergdorf unterhalb des Stausees von Tignes. Der rustikale Bar-Raum ist mit rot-weiss-blauen Blumenbouquets ausgeschmückt, als wäre der Nationalfeiertag heute und nicht schon seit zwei Tagen vorbei. Vielleicht hat man die Dekoration auch einfach seit Samstag stehen lassen, weil man wusste, das Christophe Moreau heute hier Hof hält. Der französische Meister übernachtet am Ruhetag hier und bevor er eine kleine Trainingsrunde dreht, hat seine Mannschaft AG2R ein Treffen mit der Presse arrangiert.
Stand nach der achten Etappe: 21. und Letzter: Française des Jeux (Frankreich) + 1:43:21 Stunden; 20. und Vorletzter: Agritubel (Frankreich) + 1:36:19; 19. Milram (Italien) + 1:33:07; 18. Cofidis (Frankreich) + 1:08:06; 17. Bouygues Telecom (Frankreich) + 54:40 Minuten; 16. Liquigas (Italien) + 49:06; 15. Barloworld (Großbritannien) + 48:58; 14. Lampre (Italien) 47:39; 13. Gerolsteiner + 38:51 (Deutschland); 12. Crédit Agricole (Frankreich) + 36:26; 11. Quick Step (Belgien) 26:48
Selbstverständlich erscheint der nationale Champion passend zur Raumausstattung in jenem rot-weiß-blauen Trikot, das ihn im Tour-de-France-Feld als Primus seines Landes auszeichnet. Es markiert ihn sowohl als Landesmeister, als auch als die große französische Hoffnung bei dieser Tour. Der 37-Jährige hat in diesem Frühjahr die Dauphiné Libéré gewonnen und bestätigte bei den ersten Bergetappen, dass er hier mit den Allerbesten mithalten kann. Jetzt wünscht man sich im ganzen Octagon, dass der 1,86 Meter große, blonde Nordfranzose der erste Landsmann seit 1985 ist, der das Gelbe Trikot des Tour-Siegers über Winter in Frankreich halten kann.
So wollen die französischen Kollegen gierig alles über Moreaus Verfassung wissen: Wie er sich fühlt, wie viel Kraft er noch hat, wie es um seine Motivation bestellt ist, was seine Strategie ist und wie er seine Konkurrenten einschätzt. Moreau genießt das sichtlich - es ist eine Genugtuung für ihn nach all seinen Jahren im Schatten von Ullrich und Armstrong, als man sich in Frankreich schon über ihn mokierte, weil er immer große Töne spuckte und dann doch wieder nur Vierter bei der Tour wurde. Weniger gerne als auf seine Aussichten im Rennen wird Moreau hingegen auf das Thema Doping angesprochen.
Dabei hätte er dazu viel zu sagen. Moreau ist der letzte noch aktive Fahrer jener Mannschaft Festina, der 1998 von der französischen Polizei systematisches Doping bewiesen wurde und die seither zum Symbol für die Ära des durchgängigen Missbrauchs von Epo im Radsport gilt. Moreau war damals der erste Festina-Fahrer, der gestand. Er wurde vier Monate gesperrt und saß schon im nächsten Sommer bei der Tour wieder im Sattel.
Nun könnte man meinen, Moreau wäre zornig auf die T-Mobile Fahrer, die erst jetzt zugegeben haben, 1998 genauso systematisch mit Epo hantiert zu haben wie ihre französischen Konkurrenten. Das ist der Mann mit der bubenhaften Tintin-Frisur und dem Ziegenbart auch bis zu einem gewissen Grad: "Zehn Jahre lang wurde es so hingestellt, als wären wir die einzigen gewesen. Jetzt weiß man, dass das nicht so war." Andererseits war Moreau jedoch nicht begeistert vom späten Outing seiner damaligen Gegner Aldag, Zabel, Henn und Riis. "Sie haben damit dem Image des Radsports geschadet." Als notwendigen Schritt in Richtung einer Reform des Radsports vermag Moreau die Eingeständnisse nicht einzuordnen.
Der französische Meister möchte die Vergangenheit lieber ruhen lassen. Unter Druck der Polizei und der französischen Öffentlichkeit hat er vor neun Jahren gesagt, was zu sagen war. Damit ist für ihn das Thema erledigt, er möchte lieber nicht mehr über Doping reden. Das Problem ist für den nicht sonderlich komplex strukturierten Mann nicht, dass immer noch gedopt wird im Radsport. Das Problem ist, dass zu viel darüber geredet wird. In der Zelle des Untersuchungsrichters zu gestehen, wie er damals, das ist eine Sache. Dass jemand freiwillig vor Kameras tritt, das versteht jemand seiner Fahrergeneration nicht.
Dabei müsste es ihn eigentlich stark beschäftigen, dass die Dopingkultur im Radsport immer noch nicht ausgerottet ist. Nach der Festina-Affäre wurde in Frankreich ein striktes Anti-Doping Programm eingerichtet, der so genannte Suivi Longitudinal. Die französischen Fahrer stehen seither unter enger Überwachung, enger als alle anderen, bis im vergangenen Jahr T-Mobile und CSC ihre eigenen Selbstkontrollprogramme einführten. Viele machten dieses französische Programm dafür verantwortlich, dass die Franzosen, inklusive Moreau, bei der Tour seither hinterherfahren.
Die Tatsache, dass Moreau jetzt, nachdem Armstrong und Ullrich weg sind und auch die anderen Mannschaften stärker kontrollieren, wieder Chancen hat, würde für diese These sprechen. Aber auch darüber möchte Moreau lieber nicht nachdenken. "Ich habe ein viel größeres Selbstvertrauen, als in den vergangenen Jahren", benennt er den Grund für den späten Aufwind in seiner Karriere. Das Selbstvertrauen könnte freilich auch aus dem Wissen heraus kommen, dass im Feld die vielleicht größte Chancengleichheit aller Zeiten herrscht. Oder jedenfalls seit jenen Zeiten, in denen alle gedopt waren.
Damals war Moreau noch ein junger Fahrer in der zweiten Reihe. Jetzt ist jedoch seine Zeit gekommen. Die Franzosen freuts und sie fragen lieber nicht so genau nach, wie Moreau heute denn wirklich zum Doping steht. Sie würden auch keine klare Antwort bekommen. Moreau hat einmal über Doping gesprochen, 1998, vor einem Untersuchungsrichter. Das muss reichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!