piwik no script img

Tote im alternativen KrebszentrumTherapie um jeden Preis?

Mehrere Patienten starben kurz nach ihrer Behandlung im alternativen Krebszentrum Brüggen-Bracht. Heilpraktiker fürchten nun um ihren Ruf.

Behandlungs- oder Tatort? „Biologisches Krebszentrum Bracht“ Foto: dpa

Köln taz | Noch ist die Webseite des sogenannten Biologischen Krebszentrums in Brüggen-Bracht am Niederrhein online. Das Mittel 3-Bromopyruvat wird dort als das „aktuell beste Präparat zur Tumorbehandlung“ angepriesen. Es sei „nicht toxisch“, verursache „keine drastischen Nebenwirkungen wie die Chemo- oder Strahlentherapie“. Keine Wort davon, dass das angebliche Wundermittel nicht als Medikament zugelassen ist. Und dass seine Verabreichung tödliche Folgen haben könnte.

Fest steht: Vier Menschen sind unmittelbar nach der Behandlung in dem alternativen Krebszentrum gestorben. Zwei Niederländerinnen befinden sich derzeit noch stationär im Krankenhaus in der holländischen Provinz Gelderland.

Seit einer Woche untersucht eine Sonderkommission namens „Brom“, ob der Tod der Krebspatienten im Zusammenhang mit der Einnahme von 3-Bromopyrovat steht. Alle Verstorbenen hätten die chemische Substanz zuvor per Infusion in dem umstrittenen Krebszentrum verabreicht bekommen, bestätigt Wolfgang Röthgens, Sprecher der Polizei Mönchengladbach. Derzeit werden die Toten obduziert, die Ergebnisse stehen noch aus.

3-Bromopyrovat ist kein zugelassenes Arzneimittel, und es ist auch kein „alternativer“ Stoff, sondern eine giftige Chemikalie. Sie könnte den Zuckerstoffwechsel von Krebszellen stoppen und Tumoren zum Absterben bringen – so die Vermutung von Wissenschaftlern. Bewiesen ist das aber nicht. Das Mittel ist noch nicht klinisch erprobt, es gab lediglich einige Tierversuche. Diese schürten die vage Hoffnung, dass die Substanz gezielter auf Tumoren einwirken könnte als herkömmliche Chemotherapien.

Auch wenn noch nicht geklärt ist, was den Tod der vier Krebspatienten verursacht hat, warnen die belgischen, niederländischen und deutschen Behörden seit vergangener Woche vor einem „konkreten Gesundheitsrisiko“ durch das Zentrum und rufen ehemalige Patienten dazu auf, sich mit ihnen in Kontakt zu setzen. Die Praxis ist geschlossen. Gegen ihren Betreiber, den Heilpraktiker Klaus Roß, läuft eine Strafanzeige, einstweilen wurde ihm die Berufserlaubnis entzogen.

Therapiefreiheit für Heilpraktiker

Es ist kein Zufall, dass sich vor allem Niederländer in Brüggen-Bracht behandeln ließen. Eine eigens auf Englisch und Niederländisch erstellte Webseite des Zentrums warb gezielt um Patienten aus dem Nachbarland. Dort gilt nämlich das Ärztemonopol. Anders in Deutschland: Hier genießt ein Heilpraktiker Therapiefreiheit wie nirgendwo sonst.

Der Verband der Heilpraktiker bemüht sich nun um Schadensbegrenzung. „Wenn Klaus Roß eine Substanz verabreicht hat, die nicht als Arzneimittel zugelassen ist, hat er einen grundlegenden Verstoß gegen das Arzneimittelrecht begangen“, sagt Siegfried Kämper, Vizepräsident des Bunds Deutscher Heilpraktiker. Ein Heilpraktiker dürfe nur mit Substanzen umgehen, die für die entsprechende Indikation zugelassen seien, und der Patient müsse explizit über mögliche Risiken aufgeklärt werden. Heilpraktiker dürften außerdem nur ergänzend, nicht alternativ zu den gängigen Behandlungsmethoden arbeiten. Auf seinen Webseiten aber wendet sich das Zentrum gezielt an Krebspatienten, die von einer Chemo- oder Strahlentherapie absehen.

Behörden warnen vor einem konkreten Gesundheitsrisiko durch das Zentrum

Die Therapie mit nicht zugelassenen Substanzen nennt sich im Fachjargon „Off-Label-Use“. Ausschließlich Ärzte dürfen sie unter strikten Kriterien versuchsweise einsetzen. Unerlässlich ist das Einverständnis des Patienten, für den Arzt besteht ein erhöhtes Haftungsrisiko. Mediziner wie der Frankfurter Gerhard Siebenhüner, der auf der Webseite seiner Klinik die umstrittene 3-Bromopyrovat-Infusion bewirbt, nehmen das wohl in Kauf. Zweifelsohne ein einträgliches Geschäft: Eine zehnwöchige Krebsbehandlung im „Biologischen Krebszentrum Bracht“ kostete knapp 10.000 Euro.

Dort macht noch ein anderer Aspekt stutzig: Das Zentrum bewarb sein Angebot auf verschiedenen Webseiten. Auf der deutschen, rechtlich korrekt, mit Hinweis auf die zuständige Aufsichtsbehörde, das Viersener Gesundheitsamt. Auf der englischen und niederländischen Webseite sind diese Angaben nicht offensichtlich.

Die der Presse bekannten Fälle – vier Tote, zwei Schwerkranke – scheinen nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Derzeit werten Fahnder die Patientenakten des alternativen Behandlungszentrums aus. Wie viele das sind, will die Polizei nicht sagen. Da es sich um schwer erkrankte Menschen handelt, sind die Ermittlungen höchst aufwendig und dürften sich hinziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • "Mehrere Patienten starben kurz nach ihrer Behandlung im alternativen Krebszentrum Brüggen-Bracht."

     

    Das ist auch in konventionellen Kliniken mit konventionellen Methoden so, wenn die Krankheit entsprechend weit fortgeschritten ist.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Konventionelle Methoden erklären sich aber nicht als giftfrei und harmlos, sondern klären Patienten über die Risiken auf.

      • @Frida Gold:

        Verstehen Sie nicht? Das Endstadium ist keine Frage der Methodik.

        • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          Man kann aber schon mal etwas genauer hingucken, wenn ein Heilpraktiker, der sich selbst "Heilmeister" nennt, verzweifelten Patienten die Taschen volllügt, um sie dann für 10.000 Euro pro Behandlung mit einer so gut wie gar nicht erforschten Substanz (die im übrigen mitnichten untoxisch und nebenwirkungsfrei ist) behandelt und von 5 Patienten dann 3 direkt versterben, oder?

          Kann natürlich sein, dass alle zufällig gleichzeitig an ihrer Erkrankung gestorben sind, aber es könnte eben auch sein, dass es etwas mit der streitbaren Behandlung zusammenhängt.

  • Das mit dem „Off-Label-Use“ habe ich anders verstanden: Bei „Off-Label-Use“ wird ein zugelassenes Medikament für eine Erkrankung eingesetzt, welche in der Zulassung durch die Arzneimittelbehörde nicht beschrieben wird. Auf Deutsch spricht man von einer zulassungsüberschreitender Anwendung.

  • Wenn Klaus Roß eine Substanz verabreicht hat, die nicht als Arzneimittel zugelassen ist, hat er nicht nur gegen das Arzneimittelrecht verstoßen, sondern auch gegen die Berufsordnung der Heilpraktiker. Deren Artikel 2 verpflichtet ihn nämlich dazu, "sich über die für die Berufsausübung geltenden Vorschriften zu unterrichten und sie zu beachten" sowie sich "der Grenzen seines Wissens und Könnens bewusst zu sein" und sich "eine ausreichende Sachkunde über die von ihm angewandten Diagnose- und Behandlungsverfahren einschließlich ihrer Risiken" sowie "die richtigen Techniken für deren gefahrlose Anwendung anzueignen".

     

    Der Vizepräsident des Bunds Deutscher Heilpraktiker pocht nun leider auf das Arzneimittelrecht, nicht auf jene Berufsordnung, für deren Durchsetzung er selbst zuständig ist. Vermutlich, weil er weiß, dass es ihm schlicht unmöglich wäre, sämtliche Schwarzen Safe auszugrenzen aus der Herde seiner Lämmer.

     

    An der Stelle geht es dem Mann nicht besser als Hermann Gröhe, dem amtierenden Gesundheitsminister (mal was von ihm gehört?). Der kann zwar ein Arzneimittelgesetz erlassen, es kann allerdings nicht dafür sorgen, dass jeder Arzt sich daran hält. Wie viele Patienten jedes Jahr an ärztlichen Kunstfehlern sterben, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass bisher niemand den Beruf des Arztes verbieten wollte – und dass es Ärzte sind, die den ungeliebten Heilpraktikern ihre Prüfung abnehmen.

     

    Die taz hat sich im Übrigen schon mehrfach hervorgetan in der Bekämpfung der angeblichen Quacksalber. Vielleicht, weil die Arbeit der Heilpraktiker auf einem Gesetz vom 17.02.1939 beruht. Alles Nazis also, oder was?

     

    Wer alle "Nordafrikaner" kulturbedingt zu Frauenschänden und alle Muslime religionsbedingt zu Bombenbauern erklärt, bekäme ganz zu recht eins drauf von "meiner" taz. Wieso der Satz "in dubio pro reo" und das Individualitätsprinzip nicht auch für Heilpraktiker gelten sollten, hätte ich bei Gelegenheit ganz gerne mal erklärt.

    • @mowgli:

      Ich sehe nicht, wo er gegen Artikel 2 verstoßen haben soll.

    • 3G
      35440 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Der Inhalt des Absatz 1 sollte man den Heilpraktikern mal vorlesen. Die Mehrheit weiss das offenbar nicht und sieht sich als wirkungsvolle Alternative gegenüber der ECHTEN Medizin.

       

      Absatz 2 kann ich unterstreichen.

       

      Was das Arzneimittelgesetz mit Kunstfehlern zu tun hat, weiss ich nicht. Da müssten Sie Absatz 3 mal näher erläutern.

       

      Absatz 4 sagt mir, dass Sie schnell daran sind Vorurteile aufzubauen um sich nicht mit Fakten beschäftigen zu müssen. Aber Fans dieser Quacksalber ist der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität ja noch nie begreifbar gewesen.

       

      Letzter Absatz:

      Ich wusste es doch, da schwurbelt mal wieder ein Heilpraktiker-Fan durch die Gegend.

       

      Biologie ist kompliziert, Medizin kann gefährlich sein und nur weil etwas als "alternativ" oder "biologisch" oder "natürlich" beworben ist, heisst das nicht, dass es gut ist oder harmlos.

       

      Ich sag Ihnen was, jeder der eine Waffe will, muss einen Waffenschein ablegen. Weil eine Waffe gefährlich und potentiell tödlich ist. Nur weil es mal einen Menschen gibt, der die Waffe richtig benutzt, schafft man nicht für die 99% anderen den Waffenschein mit ab. Und nur weil mal ein Heilpraktiker (der aus dem Artikel) offenbar weiss, dass er kein Arzt ist, müssen wir bei den 99% anderen Quacksalbern nicht so tun als wären das Menschen, denen man vertrauen könnte.

       

      Oder bezog sich der Grundsatz der Unschuldsvermutung auf den Artikel selber? Da macht er überhaupt keinen Sinn. Außer Sie sehen in dem Ganzen eine Verschwörung und dieses Zentrum hätte doch alles richtig gemacht. ... Ist ja gar nicht so abwegig, Fans der Heilpraktiker sind ja sehr empfänglich und anhänglich von Verschwörungstheorien. Nur macht es dann keinen Sinn, zu versuchen Ihnen irgendwas zu erklären.

       

      Ich bin gespannt, wo Sie den Grundsatz der Unschuldsvermutung in diesem Artikel verletzt sehen.

      • @35440 (Profil gelöscht):

        Unabhängig davon, was Hr. Ross unsachgemäß und verbotenerweise getan hat, möchte ich Sie doch auch darauf hinweisen, dass niemand gezwungen wird, einen Heilpraktiker aufzusuchen.

         

        Es gibt gute und schlechte Ärzte und genauso gibt es auch gute und schlechte Heilpraktiker. Und es gibt Ärzte, die fahrlässig (be)handeln, aber nicht dafür belangt werden können, weil ihre Approbation fast alles zulässt oder eben auch Wirkung und Ursache im Nachgang nicht eindeutig zu klären sind.

      • @35440 (Profil gelöscht):

        "Biologie ist kompliziert..."

        Homöopathie offenbar auch, denn es begreifen die wenigsten Leute, wie sie funktioniert.

        • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

          mit "begreifen" meinst du wohl "den aus der Luft gegriffenen Behauptungen glauben" ?