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Total überfischt"Ich esse nie mehr Thunfisch"

Das Ozeaneum in Stralsund präsentiert das Leben in den Meeren in einem futuristisch anmutenden Neubau an der Hafenpromenade

Aus Sicht der Fische: Besucher im Helgolandtunnel Bild: Johannes-Maria Schlorke

Strandspaziergang? Am Meer entlang? "Am Meer?" Ja, hier entlang eben, bis nach Stralsund. "Das ist doch nicht das Meer, das ist der Sund." Die Frühstückskellnerin im Hotel in Devin, ein paar Kilometer östlich vom Stadtzentrum Stralsund gelegen, kennt das Missverständnis. Die Kurzurlauber, von denen nicht wenige aus der Hauptstadt kommen, fragen immer nach der Ostsee. "Die Ostsee ist da hinten irgendwo", sagt die Bedienung. Und am Sund entlang? Das weiß sie nicht. Das habe noch niemand gefragt. Sie glaubt nicht, dass das geht. Nur ein paar hundert Meter, dann müsse man auf die Straße. Wer sich in diesen kalten Tagen dennoch auf den Weg macht, braucht gutes Schuhwerk. Der Strand wird schnell immer schmaler, bis nur noch ein winziger Uferstreifen übrig bleibt. Ein wenig wild und wenig schön. Kinder mögen das anders sehen. Sie sammeln Strandgut und lassen sich zu jedem Stück eine Geschichte einfallen. Was ist mit dem Mann geschehen, dessen Hose da liegt? Der einzelne Schuh. Das Fahrrad. Spontane Kriminalgeschichten entstehen. Die Kinder zu überreden, zu Fuß in die Stadt zu gehen, war nicht einfach. Schnell haben sie vergessen, dass sie sich ärgern wollten über die Frischluftsucht ihrer Eltern.

Ziel der Wanderung ist das Ozeaneum. Ein Museum der spektakulären Art. Es ist eine belebte Lehranstalt über die Meere der Welt. Mehr als hundert Meter lang ist die Schlange. Ferienzeit. Es gibt wohl auch Tage, an denen nicht ganz so viele Menschen in das futuristische Gebäude wollen. Riesige gebogene Stahlbleche strahlen die Besucher an. Eine fremde Welt auf der Hafeninsel der Hansestadt Stralsund. Das Ozeaneum ist ein moderner Riese in historischer Umgebung. Die Kinder in der Schlange sind aufgeregt. "Gibts da Haie?", fragt einer. Die Vorfreude auf die riesigen Aquarien weicht Ungeduld. "Ob die auch echte Wale haben?" Der Siebenjährige hat hohe Erwartungen.

Ein Fahrrad. Wrackteile. Ein öliger Pfosten. Ein erstes Riesenbecken zeigt die vor Stralsund heimische Wasserwelt. Der Strelasund ist eine Boddenlandschaft. Die Infotafeln sind schnell gelesen, für die Kinder schnell vorgelesen. Ein Bodden ist ein Küstengewässer an der Ostsee. Eine solche Lagune steht nur über schmale Meeresarme mit dem offenen Meer in Verbindung. Der Salzgehalt des Wassers ist hier geringer als der der Ostsee. Aha. Von wegen Meer! Die Kinder drücken ihre Nasen an die Scheiben. Sie versuchen die Schollen und die Flundern im Becken zu zählen. Schnell geben sie auf. Die Tiere sind zu gut getarnt. "Wahnsinn!" Die Kleinen sind schnell eingetaucht in die Welt der Meere. Sie laufen von Becken zu Becken. Lebensraum Ostsee, Lebensraum Nordsee, Lebensraum Atlantik. Hummer, Taschenkrebse, Riesenkrabben. Die Kinder erschrecken. Eine simulierte Brandungswelle schwappt gegen die Glaswand. Die Eltern fotografieren ihren Nachwuchs vor den Aquarien, die wie Gemälde wirken. Schön sieht es aus, das Leben im Wasser.

Aquarium Schärenmeer Bild: Rödel

Während die kleineren Kinder von Becken zu Becken rasen, sind die größeren auch von den Infotafeln und -bildschirmen fasziniert. "Das musst du dir mal vorstellen", der Zwölfjährige ist außer sich. Lange stand er vor dem Schaukasten, der über die Thunfische informiert. "Vom Roten Thun konnten die nicht einmal ein Präparat ausstellen, weil der so selten ist", berichtet er. Er ist entsetzt. "Der ist total überfischt", sagt er. Eine Stunde ist er im Museum und schon zum Umweltaktivisten geworden: "Ich esse nie mehr Thunfisch!"

Kurz darauf steht der Junge mit großen Augen vor einem der Aquarien. Das Schwarmbecken ist der optische Höhepunkt des Rundgangs durch das Ozeanium. Mehr als 600 Heeringe schwimmen hinter einer fünf mal zehn Meter großen Panoramascheibe hin und her. Mehr als 2,5 Millionen Liter Meerwasser drücken gegen die Wand. "Das habe ich in Sidney aber schon viel größer gesehen", sagt ein schlecht gelaunter Papa. Die meisten verdrehen die Augen, als sie das hören, und geben sich der Faszination hin, die von dem Schwarm ausgeht. Einfach schön!

MEERE SCHAUEN

Das Ozeaneum (www.ozeaneum.de) ist täglich von 9.30 Uhr bis 19 Uhr geöffnet, im Sommer bis 21 Uhr. Eine Eintrittskarte kostet 14 Euro (ermäßigt 8 Euro). Wer mit der Bahn anreist, geht vom Hauptbahnhof Stralsund etwa 20 Minuten Richtung Hafen. Autofahrer orientieren sich am Parkleitsystem. Wer Glück hat, findet einen Platz im Parkhaus "Am Ozeaneum".

Jetzt heißt es wieder lernen. "Kommt einfach näher! Mit ruhiger, kräftiger Stimmer verschafft sich eine Mitarbeiterin des Ozeaniums Gehör. Ein kleiner Ausstellungsraum heißt "Meer für Kinder". Zwei Dutzend Kinder scharen sich um die Frau und hören gebannt zu. In einem kleinen Wasserbecken vor ihr sind ein Seestern und eine Muschel. "Irgendwann", sagt die Frau, "wird der Seestren die Muschel essen. Wer weiß, wie er das machen wird?" Und? Der Magen eines Seesterns ist ausstülpbar. Die Muschel wird außerhalb des Körpers verdaut. "Gibts nicht", sagt eine Mutter. Das Meer für Kinder ist auch für Eltern lehrreich.

"Und gibt es jetzt echte Wale oder nicht?" Der Rundgang neigt sich seinem Ende entgegen. Endlich geht es zu den Meeressäugern. Für die gibt es natürlich kein Aquarium. Lebensgroße Modelle schweben über den Köpfen der Besucher. Gemeinsam mit der Umweltschutzorganisation Greenpeace wurde der Ausstellungraum "Riesen der Meere" konzipiert und umgesetzt. Die Kinder, die die Lehrfilme dazu im Kinosaal ansehen, werden das Ozeanium als wahre Tierschützer verlassen. Der Zwölfjährige, der sich über das Aussterben des Roten Thuns so aufgeregt hat, ist nicht mehr zu bremsen. Er träumt davon, einst als Aktivist in einem Schlauchboot Walfangflotten zu attackieren.

"Kein Fisch!" Die Kinder sind streng am Abend nach der Ausstellung in einem der gemütlichen Lokale in der schmucken Altstadt. Die Fischgerichte, die am Nebentisch serviert werden, sehen durchaus verlockend aus. Doch die Eltern sind einsichtig. Ja, auch sie haben viel gelernt an diesem Tag.

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2 Kommentare

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  • K
    Keks

    "Ich esse nie mehr Thunfisch"

     

    Das praktiziere ich schon seit Jahren;Thunfisch war der einzige Fisch den ich überhaupt gegessen habe.

    Und ich setze noch einen drauf, ich esse nie wieder Fisch !

    Die Fische, meist Lachse, aus den Aquafarmen, daß ist eigentlich noch viel schlimmer, da in deren Umkreis es fast kein Leben mehr im Wasser gibt, durch Antibiotika und anderes.

    Dazu kommen noch die Entfernungen. Angestellte vom Frankfurter Flughafen sprechen nicht umsonst von "Flugfisch", also Fisch der eingeflogen wurde, wie fast der gesamte Fisch der in Deutschland zu kaufen ist. Aber mir dann mit dem Klimawandel etc. kommen, meist ja von einer ganz bestimmten Klientel, die sich nicht selten für etwas besonderes hält, und sich natürlich sehr gesund ernährt, auch mit "Flugfisch".

  • A
    Antonietta

    Wilde Tiere leiden stark in Gefangenschaft, sowohl physisch als auch psychisch. Ein beschränkter Lebensraum kann niemals alles bieten, was die Tiere benötigen. Eines der von den Befürwortern des Aquariums vorgebrachten Argumente ist, dass damit der Artenschutz unterstützt wird. Viele Aquarien beziehen aber Wildfänge. Da viele der Tiere in Aquarien nicht lange leben, müssen sie immer wieder ersetzt werden. Das bedeutet Stress für das jeweilige Tier und viele Wildfänge sterben bereits beim Fang oder während des Transportes. Auch auf die Wildpopulationen wird Druck ausgeübt.