Topmodels gucken mit einem Topmodel: „Aufgesetzt und total übertrieben“
Rita Jaeger war Germanys First Topmodel – in den 60ern. Und wie findet sie „Germanys Next Topmodel“? Ein Fernsehabend mit deutlichen Worten.
Ein schickes Haus im schicken Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt am vergangenen Donnerstag, eine noch schickere Wohnung. Viel Weiß, viel Creme, alles sehr sauber und ordentlich.
Rita Jaeger – inzwischen schon 77, aber nicht weniger elegant als auf den Dutzenden Bildern von früher, die in ihrer Wohnung hängen – sitzt auf der Kante des cremefarbenen Ledersofas. Die Beine übereinandergeschlagen, den Rücken gerade durchgestreckt. Ein gammliger Fernsehabend sieht anders aus. Rita Jaeger hat sich geschminkt und die Haare zurechtgemacht (für den Fotografen) und einen Teller Häppchen geschmiert (für die Journalistin). Na dann, sagt sie, und schaltet den Fernseher ein.
Schon wieder heult jemand. Dieses Mal Evelyn (18). Sie muss ihre Karriere bei Germany’s Next Topmodel als Sechstplatzierte beenden – aus familiären Gründen, wie sie etwas schwammig sagt. „Meine Familie braucht mich jetzt“, sagt sie und packt ihren Koffer.
Echte Models heulen nicht so oft
Oh Gott, das ist echt schrecklich, dieses Heulerei. Das ist ja kaum auszuhalten. Hat nicht erst letztes Mal ein Mädchen aufgehört, weil sie zu ihrer Familie zurückmusste? Was für eine Showveranstaltung. Echte Models heulen nicht so oft.
Da waren es nur noch fünf – und das Casting für den Kunden Gilette steht an. Die Kandidatinnen wetteifern darum, wer sich am Ende lasziv die Beine rasieren darf und damit in Werbespots zur besten Sendezeit landet. Ein Strand, blaues Wasser und eine Bühne. Die Mädchen laufen hinter einer Sichtschutz-Plane auf und ab, die Kunden sehen nur die Beine, der Rest ist verdeckt.
So viel Aufwand für ein Casting? Im Leben nicht! Die Zeit haben die Leute gar nicht. Die Models kommen, laufen, zeigen ihre Beine und ihr Buch – fertig. Die können froh sein, wenn die Auftraggeber noch mal einen Blick nach oben ins Gesicht richten.
Dominique (21) läuft hinter der Plane entlang. Kleine Schritte auf den Ballen, damit die Beine länger wirken.
Diese Waden! Viel zu muskulös. Nein, das geht gar nicht.
Das süße Gesicht gewinnt
Die Jury ist auch nicht so begeistert. Luisas Walk gefällt besser. „Schöne Beine“, sagt die Gilette-Frau. Thomas Hajo, Creative-Director und einer der Juroren, nickt in die Kamera.
Okay, die Beine sind tatsächlich gut. Auch wenn das Mädchen ein bisschen steif läuft. Ist das nicht die Große mit den kurzen Haaren? Die hat ein süßes Gesicht.
Das süße Gesicht gewinnt, Luisa (17) bekommt den Job, zusammen mit Sarah-Anessa (18).
Ernsthaft? Die Dunkelhaarige hat den Job bekommen? Nee, die ist doch nicht hübsch. Die ist ja fast schon hässlich. Wobei, na ja, das wäre übertrieben. Mir ist sie einfach ein bisschen zu derb, aber das ist Geschmackssache. Sie hat auf jeden Fall eine ungünstige Kinnpartie. Das wird mal ein Doppelkinn, wenn sie nicht aufpasst.
Weiter mit dem Shooting der Woche, dieses Mal unter Wasser in einer protzigen Villa mit riesigem Pool auf der Terrasse.
Solche Shootings kommen tatsächlich vor, das ist ausnahmsweise mal realistisch. Nicht jedes Model kann unter Wasser die Augen aufhalten, das ist echt eine Herausforderung.
Designer Thomas Rath taucht im Bild auf. Verzückt reißt er die Augen auf und die Arme nach oben. „Das ist ja eine Hammer-Location!“
Das ist ja zum Kotzen – der Typ ist unmöglich. Völlig aufgesetzt und übertrieben. Niemand würde das in so einer Situation sagen.
Ja, die küssen sich
Sarah-Anessa ist die Erste, die zu dem männlichen Model ins Wasser steigt. Das Thema: Underwater-Love. Sie schmiegt sich in ihrem hautfarbenen Bikini an das Sixpack des Male-Models. Die beiden küssen sich, ganz nach Regieanweisung. Vor der Glasscheibe, durch die man in den Pool schauen kann, beginnt ein Kreisch-Quietsch-Konzert. Kasia, Sara, Luisa und Dominique, mit ungläubigen Blicken und in hohen Tönen: „Die knuuuuutschen!“
Ja, die küssen sich. Na und? Muss man deshalb so loskreischen?
Kasia (17) küsst dann aber auch. Trotz Freund zu Hause. Muss ja, sonst nölt die Jury hinterher wieder rum. Vor der Scheibe wieder Quietsch und Kreisch und Huch.
Die Kleine macht das ganz gut. Die hat überhaupt ein ganz tolles Gesicht. Aber sie ist furchtbar jung, kann das sein?
Shooting vorbei, zurück in der Modelvilla, irgendwo in den Hollywood-Hills.
Da wohnen die? Total unrealistisch. Models wohnen in Hotels, mal in besseren, mal in schlechteren, aber in einer Villa? Mit Pool? Im Leben nicht. Machen die eigentlich auch mal Sport? Davon sieht man gar nichts.
Pakete aus der Heimat
Die Kandidatinnen bekommen Post aus der Heimat. Pakete mit Plüschtieren, Fotoalben und Briefen. Es fließen Tränen.
Dass die immer gleich plärren müssen! Dieses Geheule geht mir ganz schön auf die Nerven. Das ist das totale Kindergedöns.
Kandidatin Sarah (21) liest aus einem Brief von ihrem Freund vor.
Und die da, das ist die Schlimmste. Ich frage mich echt, wie die so weit gekommen ist. Die hat einfach kein hübsches Gesicht. Außerdem ist das die mit den ganzen Kraftausdrücken, oder? Models müssen weiblich sein und elegant. Scheiße und Arschloch haben da keinen Platz.
Kurz darauf steht Thomas Hajo mit den fünf Kandidatinnen in einem Studio. Es geht um Fashion-Fotografie. Nur die Mädchen und eine weiße Wand. Sie sollen stehen, springen, tolle Fotos machen. Das gelingt nur bedingt. Thomas Hajo erklärt, wie es laufen muss.
Der Mann ist gut. Ich hatte ja fast nicht mehr damit gerechnet, aber alles, was er sagt, stimmt. Das ist echt schwer, so allein vor einer weißen Wand. Seine Tipps sind gut.
Luisa steht vor der weißen Wand und stolpert über ihre langen Beine.
Viel zu starr
Die hat so ein schönes Gesicht – aber ist so steif, so ungelenk. Die Bewegungen müssen viel weicher werden, das sieht total unweiblich aus.
„Viel zu starr“, singsangt auch der schwule Designer und Mit-Juror Thomas Rath.
Oh Gott, der schon wieder. Muss das sein?
Kasia macht vor dem weißen Hintergrund Sprünge für die Kamera und schwingt ihren Ethno-Umhang durch die Gegend.
Schöne Figur. Daran hat sich ja nichts geändert. 90-60-90, das gilt immer noch. Kleider sehen an großen, schlanken Frauen am besten aus, das ist eine Tatsache. Bei der Kleinen hier könnte das echt was werden.
Zurück in der Villa ist Laufstegtrainer Jorge da. In Highheels und Tunika stelzt er vor den Mädchen den imaginären Catwalk entlang.
Und jetzt dieser Spanier
Wer ist das denn? Der ist ja auch furchtbar. Warum müssen die männlichen Models da eigentlich immer so aufgesetzt schwul sein? Vorher dieser Bruce oder wie er hieß und jetzt der Spanier. Dann denken wieder alle, dass männliche Models immer schwul sind. Sind sie aber gar nicht. Ich bin übrigens sicher, dass Bruce gehen musste, weil er Heidi Klum die Show gestohlen hat. Das erträgt sie nicht. Ich find sie ja ohnehin total aufgesetzt und unnatürlich. Schlimm.
Von den fünf Kandidatinnen kommen nach Life-Walk und Jury-Besprechung alle weiter in die nächste Runde, Sarah-Anessa sogar gleich ins Finale.
Kann ich einen Tipp abgeben? Ich würde sagen, Dominique und Sara fliegen vor dem Finale raus. Ich habe da eigentlich ein ganz gutes Gespür. Sarah-Anessa ist so lala, nicht mein Typ, aber okay. Kasia find ich gut, Luisa auch. Aber ihre kurzen Haare sind ein Problem.
Mit langen Haaren ist man flexibler, aber nun ja, jetzt sind sie eben kurz. Ich glaube, Kasia wird es am Ende. Dann ist sie ein paar Wochen in allen Medien, und hinterher hört man wieder nichts von ihr. So wie bei den anderen auch. Nur diese Lena Gercke, die hat es geschafft. Aber wen wundert das schon, bei so einer Sendung, die nicht mehr ist als eine reine Unterhaltungsshow?
„Germanys Next Topmodel“ (20.15 Uhr, ProSieben)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge