„Top Girls“ auf der Berlinale: Posttraditionelle sexuelle Emojobs
Mit ihrem Film über Sexarbeit zeigt Tatjana Turanskyj die unklaren Grenzen zwischen Rollen und Personen auf. Für die Pointen fehlt oft die richtige Form.
Der Blick von der bordellartigen Arbeitsstätte auf die verschneite Torstraße Ecke Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin ist fast so etwas wie ein Establishing Shot in Tatjana Turanskyis „Top Girl“, dem zweiten Teil einer Trilogie über Frauen und Arbeit.
Einmal schwenkt die Kamera nach rechts und man sieht am Bildrand den Bühneneingang der Volksbühne: wie zeitgenössisches Theater wirkt vieles an diesem Film. Er spielt mit Aussageebenen, die Dialoge enden im Missverständnis, Begegnungen sind Verfehlungen, Zuschauer werden direkt angesprochen.
Als Ausgangspunkt ist das gar nicht so schlecht, denn die Rolle der Jacky, die Julia Hummer spielt, ist nicht so sehr die einer Sexarbeiterin oder Prostituierten, sondern einer Darstellerin. Sie hat Theaterprobleme. Die Übergänge zwischen etablierten Formen des Schauspiels, der Performance in Beruf- und Familienleben, Pflegearbeit und eben auch Sexarbeit werden fließender.
Das Angebot, eine „notgeile“ Figur zu spielen, das Jacky bei einem Casting gemacht wird, empfindet sie dann nicht zu Unrecht als deutlich unsittlicher als die komplizierten Skripts, die sich ihre Kunden für sie ausdenken.
14. 2., Colosseum 1, 20 Uhr; 15. 2., Kino Arsenal 1, 22.30 Uhr
Seine stärksten Momente hat der Film dort, wo er diese Begegnungen zeigt und gegen die klassische Erzählung vom autoritären Businessmann, der sich wie auf Zauberbefehl zu Beginn der S/M-Inszenierung in ein sabberndes Masobaby verwandelt, vor allem die Brüchigkeit dieser Fiktionen vorführt: das routinemäßig Unklare der Grenze zwischen Rolle und Person und die Zunahme solcher Situationen in einem dereguliert sexualisierten Alltag.
Die Freier sind kalt, aber auch dünnhäutig, ein bisschen queer, müssen selber den ganzen Tag Authentizität performen; die allgemeine Pflegebedürftigkeit der Gesellschaft mischt sich mit ungerichteter Geilheit: Frauen, die in beiden Bereichen traditionell arbeiten mussten, kassieren aber nicht etwa die Deregulierungsdividende, sondern müssen nun posttraditionelle pflegende und sexuelle Emojobs machen.
Leider findet „Top Girl“ nicht die Form für seine zahlreichen und oft auch das naturgemäß eh ausgefranste Thema verlassenden Beobachtungen. Am Anfang gibt es eine klischeehafte Anklage per Aufzählung der sexuellen Disziplinen und Konsumangebote, die eine wütende Julia Hummer einem prospektiven Kunden entgegenschleudert, am Ende eine surreal-allegorische Inszenierung dieser Anklage: Eine Werbeagentur veranstaltet für ihre als echte Waidmänner ausstaffierten Mitarbeiter eine Treibjagd auf vier nackte Frauen.
Die Mischung aus Sadismus und Gotcha-Spiel hat die inzwischen zum Top Girl aufgestiegene Jacky als Dienstleisterin inszeniert und Freundinnen für die „Performance“ angeheuert. Was auf dem Wege von der Darstellerin zur Regisseurin in ihr vorgegangen ist, was sie sich hinter all den in schlechter Laune, Überanstrengung und Überdruss abgebrochenen Sätzen denkt, geht in den eher auf Einzelpointen inszenierten Szenen ein wenig verloren.
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