■ Tony Blair ist Präsident der Europäischen Union: Verklemmter Europäer
Tony Blair ist seit gestern Präsident der EU. Das neue Amt kommt für den britischen Premierminister zu einem schlechten Zeitpunkt. Denn unter seiner Präsidentschaft müssen in den kommenden sechs Monaten die Weichen für die Währungsunion gestellt werden. Und der bleibt Großbritannien vorerst fern.
New Labour gibt sich dennoch pro-europäisch. Man hat sogar ein detailliertes EU-Programm vorgelegt. Aber so richtig glaubwürdig ist es nicht. Einerseits soll das Schengener Abkommen in den EU-Vertrag aufgenommen werden, andererseits will Blair die Grenzkontrollen beibehalten. Einerseits fordert Blair ein europäisches Beschäftigungsprogramm, andererseits hat er seine Europaabgeordneten angewiesen, im Brüsseler Parlament gegen die milden Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmern bei Firmenübernahmen und gegen den Van-Velzen-Bericht zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu stimmen. Zwei Europaabgeordnete haben Labour aus Protest gegen diese Politik bereits den Rücken gekehrt, andere werden folgen und bei den Europawahlen in anderthalb Jahren als linkes Bündnis kandidieren.
Blairs Dilemma ist, daß er Brüssel und die britischen Boulevardzeitungen bei Laune halten will. Weil letztere gegen die Währungsunion sind, vollführt Blair einen Eiertanz um das Thema. Denn er glaubt, ohne die Unterstützung der konservativen Boulevardblätter hätte er nicht die Wahlen gewonnen. Dabei hat Medienzar Rupert Murdoch erst die Seiten gewechselt, als die Tories hoffnungslos verloren waren und der Wahlsieger ohnehin feststand.
New Labour hat auch nach den Wahlen keinen Bruch mit dem verklemmten englischen Nationalismus vollzogen, dem sich Margaret Thatcher verschrieben hatte. Dazu gehört jene geradezu mystische Verklärung englischer Institutionen, zum Beispiel des Sterling-Pfundes, denen Brüssel angeblich an den Kragen wollte. Blair bestritt mit Thatchers Symbolen sogar seinen Wahlkampf: New Labour machte ausgerechnet die Bulldogge zu ihrem Maskottchen.
Den Fehler, sich eine vorangegangene starke Tory- Regierung als Modell zu wählen, hat bisher noch jede Labour-Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg gemacht. Die Ergebnisse sind bekannt: Die Tories erarbeiteten sich in der Opposition eine neue Programmatik, während Labour sich von innen her auflöste. Wenn Labour nun auch noch die Europaskepsis der Konservativen adoptieren sollte, und einige Warnzeichen gibt es dafür, dann blüht Blair dasselbe Schicksal wie Attlee, Wilson und Callaghan. Ralf Sotscheck
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