Tom Liwas neues Album „Goldrausch“: Momente, in denen es klar wird
Der Singer-Songwriter Tom Liwa gibt sich auf seinem neuen Album "Goldrausch" milde. Liwa schreibt über den Alltag, als wäre er ein großes Abenteuer.
Tom Liwa macht mittlerweile so lange Musik, dass jeder Bewohner dieses Landes mindestens einen Tom-Liwa-Moment gehabt haben könnte. Und jeder, der noch keinen Tom-Liwa-Moment hatte, hätte einen haben sollen dürfen.
Einer meiner Tom-Liwa-Momente ist der: Vor einem Konzert, das schon sehr lange her ist, in einer Stadt, die damals noch mit großer Euphorie ihre kurz zuvor beendete Teilung zu überwinden versuchte, rief mich der Besitzer der kleinen Plattenfirma, bei der Tom Liwa damals das Debütalbum seiner Band Flowerpornoes herausgebracht hatte, zuhause an. Handys gab es noch keine und ich sollte Tom, wenn ich ihm später begegnen würde, bitte ausrichten, sich bei ihm, dem Besitzer der kleinen Plattenfirma, zu melden. Er müsse etwas mit ihm besprechen.
Und dann, das Konzert hatte schon begonnen, Tom Liwa sollte gleich auftreten, schob der tatsächlich direkt auf mich zu. Als er an mir vorbeiging, legte ich ihm meine Hand auf die Schulter, öffnete den Mund und bekam kein Wort heraus. Sein stechender Blick ließ mich schweigen. Was ausgerichtet werden sollte, wurde niemals ausgerichtet. Tom Liwa hat dann nie wieder ein Album bei diesem Label herausgebracht.
Tom Liwa, der eigentlich Thomas Greiner heißt, ist mittlerweile 50 Jahre alt. Sein immer schon zerfurchtes Gesicht ist heute noch tiefer gezeichnet. „Goldrausch“ ist das zwölfte Solo-Album des Duisburgers, und der stechende Blick, den man auch immer aus seinen Texten heraus hören kann, hat mehrere Generationen beim Älterwerden begleitet. Dabei hat Liwa selten ein Blatt vor den Mund genommen, war unbestechlich, mitunter gnadenlos ehrlich, oft unbequem und manchmal grimmiger, als es dem Erfolg gut getan hätte. Und wurde so zum besten deutschen Songschreiber mit dem überschaubarsten kommerziellen Erfolg.
Liwa war nie einer der Kuschelbarden, wie sie dieser Tage an jeder Straßenkreuzung stehen. Mit der Zeit hat er seinen strengen Blick immer stärker nach innen gerichtet. So intensiv wie auf „Goldrausch“ aber noch nicht. Liwa arbeitet inzwischen nebenberuflich als Meditationslehrer, und auf seiner Homepage teilt er mit, dass er soeben bei Vollmond um einen nebeligen See herumgejoggt ist. Auf „Goldrausch“ gewinnen nun erstmals in seiner Karriere diese Spiritualität und eine gelassene Altersmilde die Oberhand über seine bisweilen furchterregend exakte Poesie.
Sich-Ergeben ins Unabänderliche
Das zeigt sich schon im Auftaktsong, den man durchaus als Manifest dieses entspannten neuen Menschen namens Liwa verstehen kann. „Dein Wille geschehe / Dein Wille allein“, singt Liwa im Refrain, „Lass die Dinge entstehen / Und dann lass sie sein“. Dieses bewusste Sich-Ergeben ins Unabänderliche, dieser konstruktive Fatalismus ist bei Liwa private Zielvorgabe. Er beschließt, „ich mach Schluss mit Politik“, und nimmt sich vor: „Von hier an keine Tricks und keine Strategie“. Dazu klingelt die Ukulele, die Liwa auf „Goldrausch“ ausschließlich spielt, wie der nervige Klingelton eines Handys, ganz so, als wollte Liwa uns daran erinnern, was den Menschen vom Leben abhält, von dem, was wichtig ist.
Also handeln die Songs auf „Goldrausch“ eher selten von der Liebe und meist von der Kunst des Zusammenseins. Nicht von romantischer Einsamkeit, sondern von den warmen Erinnerungen an die vergangene Zweisamkeit. Nicht von dramatischen Trennungen, sondern davon, wie man wieder zusammenfinden könnte – und, ja, durchaus auch der Kinder zuliebe.
„Hey“, singt Liwa, „vielleicht ist da ja noch was“, und es klingt wie ein Gebet. Die Musik von „Goldrausch“, hat Liwa erzählt, ist entstanden in einer Beziehungspause, die dann doch die endgültige Trennung nicht hatte verhindern können. Manche der Songs wollen das Ende noch nicht wahrhaben, andere ahnen es voraus, einige beginnen bereits, die Zeit danach zu ordnen. Das eine Lied erinnert sich an die eigene Kindheit, das andere sieht einen alten Mann, der am Grab seiner Frau sitzt.
Immer wieder spielen Kinder eine Rolle in den Songs des vierfachen Vaters. Die Familie wird zum Essen gerufen, Menschen sitzen zusammen und gucken den Mond an. Liwa schreibt über den Alltag, als wäre der ein großes Abenteuer. Und das ist er ja auch: Die Suche nach dem Glück. Was könnte spannender sein?
Trost für die Zuhörer
Während Liwa sich mit den Jahren in seinen Texten immer näher ans Wesentliche, Eigentliche wagte, wurde auch sein Sound immer grundsätzlicher. Der Weg vom Gitarrenbandsound der Flowerpornoes bis zum Album „Goldrausch“ war weit. Viel spartanischer geht es jetzt nicht mehr. Zwar klingt die Ukulele in Liwas Händen immer wieder wie eine zünftige Klampfe, aber vor allem nimmt sie doch mit ihrem seltsamen, fast kindlichen Klangbild den schweren Gedanken den Trauerflor. Nur selten dürfen die Perkussionistin Anika Nilles und Peter Herrmann mit seinem schüchternen Bass dieses Experiment ein wenig auspolstern. Allein Wolfgang Sellner mit seinem Cello wird erlaubt, sich ab und an gleichberechtigt neben Liwas Stimme zu schieben.
Aber das Cello spielt dann eben nicht die langen, elegischen Bögen, mit denen es zum Vorzeigeinstrument der Melancholie wurde. Stattdessen setzt das Instrument nur kurze Ausrufezeichen, ähnliche Akzente. Es strukturiert jenen beständigen Bewusstseinsstrom, in dem Liwa über sein Leben räsoniert und seine Zuhörer mit Trost versorgt.
Das sind dann Momente, in denen einem leichter wird ums Herz. Momente, in denen etwas klar wird. Momente, die einem jene Schönheit aufzeigen, die man lange schon nicht mehr hatte sehen wollen. Momente, die einen weitermachen lassen. Momente, in denen einem Tom Liwa die Hand auf die Schulter legt und ausrichtet: Dieses Leben ist es wert, gelebt zu werden.
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