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Tollywood-Star Shatabdi RoyRobin Hood mit roten Haaren

Als Schauspielerin verführte sie Helden, heute die Abgeordneten des indischen Parlaments: Shatabdi Roy kämpft für ihren bettelarmen Wahlkreis und gegen die Korruption in der Politik.

Die größte Demokratie der Welt: Frauen bei Parlamentswahlen in Indien. Bild: dpa

NEU-DELHI taz | Da steht sie auf der Treppe des gediegenen Hotel Samrat in Neu-Delhi und winkt nach oben. Shatabdi Roy ist eine indische Kate Winslet, sie war jahrelang die scheue, schöne Heldin des bengalischen Films. An diesem Abend trägt sie einen tigerfarbenen Seidenanzug. Ihre dunkelroten Locken wehen im Zug der Deckenventilatoren. Sie schreitet voraus in einen halbbeleuchteten Hotelgang. Eine Zimmertür steht offen. Sie bedeutet einem Angestellten, den Raum zu verlassen. Sie schließt die Tür. Sie ist nicht mehr die junge Schönheit ihrer berühmtesten Filme. Aber sie ist immer noch schön, 41 Jahre jung. Sie weiß, wie sie wirkt.

Shatabdi Roy lernt gerade, was im Politikgeschäft genauso funktioniert wie im Filmgeschäft. Zum Beispiel: verführen. Sie kann das gut. Sie hat es in über 130 Tollywood-Filmen gezeigt. Tollywood ist das Zentrum des bengalischen Films, benannt nach dem Stadtteil Tollygunge in Kalkutta, der Hauptstadt Westbengalens. Sie spielte dort immer das brave, schöne Bauernmädchen, das sich die größten Helden einfängt. Doch jetzt ist Roy umgezogen: Von Tollywood nach Delhi als Abgeordnete ins indische Parlament. Statt auf der Leinwand zu singen und zu tanzen, nimmt sie jetzt täglich an der größten Demokratieveranstaltung der Welt teil.

Kein gewähltes demokratisches Organ repräsentiert mehr Menschen als das indische Parlament: 1,2 Milliarden, oder genauer: 714 Millionen indische Stimmberechtigte. Zwar ist Roy nur eine von 545 Abgeordneten. Aber sie hat alles, was Indiens Demokratie auf den ersten Blick gut aussehen lässt: Sie tritt für einen bettelarmen Wahlkreis an, steht nicht unter Korruptionsverdacht, errang im letzten Jahr einen hart erfochtenen Wahlsieg gegen einen gestandenen Politiker. Und sie ist berühmt.

"Superstars sind in der Politik oft Superpleiten", warnt zwar Anirban Choudhury, Büroleiter der Delhier Tageszeitung Hindustan Times in Kalkutta. Doch der erfahrene bengalische Journalist ist überzeugt, dass das für Roy nicht gelte. "Shatabdi Roy tut der indischen Demokratie sehr gut. Wir Inder sind der Korruption so müde. Wir brauchen neue Gesichter in der Politik," sagt Choudhury.

Aber bleibt eine wie sie nicht doch Puppe im politischen Betrieb? Roys Hotelzimmer in Delhi ist während der Sitzungswochen des Parlaments gleichzeitig ihr Büro. In dem Zweibettzimmer türmen sich die Akten auf dem Fußboden. Roy aber hat die meisten von ihnen nicht gelesen. Sie hat keinerlei politische Erfahrung. Sie gibt das offen zu: "Ich habe früher nie an Politik gedacht: nie, nie, nie!", sagt sie. Tatsächlich spielten ihre Filme völlig abseits der Politik. Auf der Leinwand war sie meist die Tochter aus einfachem, aber gutem Hause, deren Vater sich dagegen auflehnte, dass sie aus Liebe einen Draufgänger heiratete und nicht aus Vernunft den reichen Nachbarsohn. Die meisten indischen Liebesfilme fürs große Publikum gingen bisher so. Das ändert sich zwar gerade mit dem Auftauchen der emanzipierten Frau in Bolly- und Tollywood.

Aber Roys neue Kundschaft, ihre Wähler im ländlichen Wahlkreis Birbhum, fünf Autostunden nordwestlich von Kalkutta, hängen noch an den alten Filmen mit ihren traditionellen Rollenbildern. "Die Leute dort lieben mich als Schauspielerin. Sie haben mich nur deshalb gewählt. Sie wissen überhaupt nicht, was Politiker tun und machen", erzählt Roy aus ihrem Wahlkreis.

Ganz stimmt das nicht. Roy wurde nicht nur wegen ihrer Filmrollen gewählt. Den Leuten in Birbhum fehlt es am Nötigsten: an Wasser, Elektrizität und Straßen. Ein Großteil von ihnen sind Analphabeten. Sie werden im Bundesstaat Westbengalen seit 30 Jahren von der Kommunistischen Partei Indiens regiert, die seit der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 zu den großen, etablierten Kräften der indischen Politik zählt.

Seit 30 Jahren aber hat sich für die Bauern in Birbhum nicht viel verändert. Ihnen erschien Roy wie eine Erlöserin. "In jedem Dorf begegnete ihr ein Menschenauflauf: Die Kinder rannten zu ihr, die Frauen winkten, die Männer glotzten von weitem", berichtet der Lokaljournalist Tanmay Chatterjee, der Roy im Parlamentswahlkampf des letzten Jahres begleitete. Chatterjee beobachtete, wie unverstellt Roy auf ihre Wähler zuging - obwohl sie im feinsten Sari im großen, schwarzen Geländewagen auftauchte.

Roy selbst denkt an den Wahlkampf mit gemischten Gefühlen zurück: "Ich musste 1.900 Dörfer besuchen: ohne Regenschirm, ohne Make-up. Die Leute wollten mich dauernd anfassen. Als Schauspielerin hätte ich mir das nie gefallen lassen", sagt Roy. Chatterjee war dennoch beeindruckt: "Sie kam bei den Leuten wirklich an", sagt der bengalische Journalist. Aber er hörte auch zu, wie Roy im Wahlkampf viele Versprechen machte: mehr Wasser, mehr Elektrizität, mehr Bildung. Chatterjee bekam dabei den Eindruck, dass Roy keine Vorstellung hatte, was sie den Leuten versprach und wie sie ihre Versprechen zu halten gedachte. Sein Eindruck war nicht falsch. Aber inzwischen ist ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem Roy sich auf der politischen Bühne in Delhi umschaute und etablierte. "Schrecklich, leidvoll und hart" sei der Politikerjob, stöhnt Roy heute in ihrem Viersternehotelzimmer. Als Schauspielerin sei sie stets mit vierköpfiger Entourage zu Dreharbeiten gereist und habe in Fünfsternehotels gewohnt. Heute müsste sie während der Tagungswochen ganz für sich allein sorgen. Kein Sekretär, kein Büro.

Die Rundumversorgung für die Abgeordneten, wie sie in Deutschland üblich ist, gibt es in Indien nicht ansatzweise. Die meisten brauchen sie nicht. Unter den 545 Abgeordneten zählt man 300 Dollar-Millionäre. Meist sind es korrupte Lokalfürsten, die sich mit Geschäften in öffentlichen Unternehmen ins Parlament hochgearbeitet haben. Mit ihnen aber hat Roy nichts zu tun. Auch deshalb fällt sie so auf. "Unsere Politiker teilen sich auf in die Profis, die Politik machen, um damit reich zu werden, und in die Teilzeitpolitiker mit Harvard-Abschluss, die die Politik nebenbei zur eigenen Ruhmmehrung betreiben", sagt Anirban Choudhury. Roy fällt in keine dieser Kategorien.

Umso schwerer fallen ihr die neuen Aufgaben: Sie gehe jetzt "wie ein Bettler" von Ministerium zu Ministerium in Delhi, um Hilfe für ihre Dörfer zu bekommen, berichtet Roy. Erstes Erfolgserlebnis: Für Birbhum wurde auf Roys Drängen ein neuer Krankenwagen bereitgestellt. Lokaljournalist Chatterjee vermerkt das positiv: "Roy kann ihre Versprechen nicht halten, aber sie hat sie wenigstens nicht vergessen und bemüht sich", sagt er.

Das sind niedrige Ansprüche. Roy nutzt das, ebenso wie die große Unübersichtlichkeit im indischen Parlament. Dafür Sorge tragen 38 Parteien. Roy vertritt die kleine westbengalische Regionalpartei Trinamool Congress.

Das ist seit Jahren der Trend: Neue, kleine Regional- und Kastenparteien betreten die politische Hauptstadtbühne und machen den etablierten Parteien das Regieren schwer. Doch keiner kennt sie und ihre Programme. Roy aber kennt jeder. Sie war schließlich Ms. Tollywood.

Das ist ihre Nische: Schön und ehrlich zu bleiben wie sonst niemand in der indischen Politik. Warum aber muss sie sich das antun? Roy ist nicht machtbewusst. Sie taktiert nicht. Warum wollte sie unbedingt in die Politik? Vielleicht um noch einmal auf der großen Bühne zu stehen, denn als Schauspielerin musste sie vor einiger Jahren nach ihrer Heirat zurückstecken.

Die arrangierte Ehe

Die ganz großen Rollen bekam sie als Ehefrau nicht mehr, wie in Tolly- und Bollywood üblich. Ehefrauen gelten als unsexy. Aber darüber redet Roy nicht. Sie sei in die Politik gegangen, "um zu den Leuten ehrlich zu sein", sagt sie schlicht. Das ist durchaus eine Antwort. Es gibt wenig Inder, die sich nicht von der Politik betrogen fühlen, und viele, die trotzdem noch an die Demokratie des Landes glauben. Zu ihnen gehört auch Roy.

Sie glaubt auch an die Traditionen ihres Landes. Abseits der Leinwand ist Shatabdi Roy nämlich kein Typ für Romanzen. Nach all den Liebesfilmen fügte sie sich brav einer traditionellen arrangierten Ehe - ihre Partnerschaft mit einem Allerweltsmanager aus Kalkutta aber gilt bisher als ausgesprochen glücklich im beziehungs- und scheidungsreichen Tollywood-Milieu.

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