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Tödliche VersuchsreihenArme testen Pillen für Reiche

Konzerne verlegen Tests von Arznei für den europäischen Markt in arme Länder. So werden in Indien oder in der Ukraine Experimente mit Schizophrenen gemacht. Nicht jeder überlebt.

Nicht überall gelten die gleichen ethischen Grundsätze - das hat sich der multinationale Arzneimittelhersteller Astra-Zeneca für Medikamententests zunutze gemacht. Bild: ap

Die KundInnen für die Arzneimittel leben vorwiegend in Westeuropa, Japan und den USA. Die Menschen, an denen deren Wirkung erst einmal getestet wird, leben in Indien, Zentralasien und Südamerika. Denn Pharmakonzerne machen die Arzneimitteltests, die sie für die Zulassung ihrer Medikamente benötigen in Ländern, wo die Versuchspersonen leichter und billiger zu bekommen sind und die Behörden bei der Kontrolle der Testreihen weniger pingelig sind als im Westen.

2007 stammten ein Drittel aller PatientInnen, die an Tests von Arzneimitteln beteiligt waren, die in Europa zugelassen wurden, aus Ländern des Südens. Das zeigen Statistiken der europäischen Arzneimittelbehörde Emea in London. Die Tendenz steigt. Der jüngste Fall eines Konzerns, der wegen der Auslagerung von Arzneimitteltests ins Zwielicht geraten ist: Die schwedisch-britische Astra-Zeneca, die vom Umsatz her zu den weltweiten Top Ten der Pharmaunternehmen gehört. Der schwedische Rundfunk enthüllte kürzlich die Einzelheiten hinter Testreihen für ein Medikament gegen Schizophrenie in den Jahren 2005 und 2006: Seroquel wurde an 327 schizophrenen PatientInnen in Indien, der Ukraine oder Russland getestet.

Der Konzern wollte herausfinden, ob das Mittel dazu geeignet ist, auch einen Rückfall in Schizophrenie zu verhindern - durch einen Vergleich mit Placebos. Dazu wurde zunächst bei allen PatientInnen die bisherige Medikation abgesetzt. Die eine Hälfte der Versuchspersonen erhielt anschließend Seroquel, die andere Hälfte der an schwerer Schizophrenie Erkrankten unwirksame Zuckerpillen.

Der Versuch, zu testen, wie lange es dauern würde, bis die Patienten einen Rückfall erlitten, "gelang": 36 Patienten, die das Placebo bekamen, erkrankten wieder akut. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich permanent. Einer beging Selbstmord. Aber die Forscher konstatierten, dass der Effekt des Anti-Schizophrenie-Mittels bestätigt werden konnte: Das Mittel habe den Rückfall besser verhindert als die Zuckerpillen.

Dass für diese Erkenntnis PatientInnen geschädigt wurden, kritisieren Medizinethik-ExpertInnen. Christian Munthe, Philosophieprofessor an der Universität Göteborg, sagt: "Die Studie war direkt schädlich für die Patienten, die Placebos erhielten. Sie wurden ja ihrer bisherigen Medikamente beraubt." Ann-Charlotte Knutsson, Informationschefin bei Astra-Zeneca, verteidigt den Konzern: Die Zuständigen in den Ländern, in denen die Studie gemacht wurde, hätten das genehmigt. Doch laut Pierre Lafolie vom Universitätskrankenhaus Stockholm - er ist Mitglied in einem schwedischen Ethikkomitee - wäre eine Studie dieser Art vermutlich in keinem EU-Land gutgeheißen worden.

Dies sei auch ein Grund dafür, warum die Konzerne ihre Arzneimitteltests gerne in ärmere Länder verlegen, meint Eva Nilsson Bågenholm, Vorsitzende des schwedischen Ärzteverbands Läkarförbundet: Da gebe es laschere Regeln und ein weniger gut ausgebautes Kontrollsystem. Richard Bergström von der schwedischen Arzneimittelbranchenorganisation Lif schiebt diese Entwicklung allerdings auf die Arzneimittelzulassungsbehörden. Diese forderten von Unternehmern teils Tests, die in westlichen Ländern nicht zugelassen seien: "Dann müssen wir uns an Länder in Südostasien oder Lateinamerika wenden."

Davina Ghersi koordiniert bei der Weltgesundheitsorganisation WHO ein Programm für ein zukünftiges globales System zur Kontrolle von Medikamententests: "Bislang ist ein Überblick so gut wie unmöglich", sagt sie: "Wir haben noch einen langen Weg vor uns."

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2 Kommentare

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  • PH
    Phillip Haverkamp

    Danke für den aufklärerischen Artikel. Ich bin neben meinem Studium für ein Marktforschungsinstitut tätig, welches eng mit Astra Zeneca zusammenarbeitet. Der Artikel hat bewirkt, dass ich mich nun nach einer anderen Stelle umsehe, da ich mein Geld nicht indirekt über solche Ausbeutung und Gefährdung Anderer verdienen möchte.

  • MB
    Maik Barthel

    Das heftige daran ist, dass einen so etwas nicht einmal mehr überrascht... Traurige Realität...