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Tödliche Gewalt gegen Frauen„Weiter Forschungs- und Klärungsbedarf“

Erstmals hat das BKA ein Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt vorgestellt. Viktoria Piekarska vom Juristinnenbund über rechtliche Unschärfen.

Protest gegen Gewalt an Frauen in Berlin: Hierzulande gibt es keine juristische Definition von Femiziden Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Piekarska, das Bundeskriminalamt (BKA) hat bisher jährlich das Lagebild zu häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt veröffentlicht. Vergangene Woche wurde zum ersten Mal das Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ veröffentlicht. Warum?

Viktoria Piekarska: Laut der Istanbulkonvention, also dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, ist Deutschland verpflichtet, bestimmte Daten zu sammeln und zu veröffentlichen. Unter anderem geht es dabei darum, Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt gesondert zu erheben und darzustellen. Das BKA kommt dem nun mit dem Lagebild nach. Zudem werden darin erstmalig gegen Frauen gerichtete Taten als politisch motivierte Kriminalität erfasst.

taz: Was bisher gemacht wurde, hat also nicht gereicht?

Piekarska: Das bisherige Lagebild hatte andere Ziele. Bisher wurde abgebildet, wie häusliche und partnerschaftliche Gewalt ausgeprägt sind: In welchen Formen existiert häusliche Gewalt, in welchen Straftatbeständen bewegt sie sich, wer ist Täter, wer Opfer? Aber damit kam man der völkerrechtlichen Verpflichtung nicht vollumfänglich nach.

taz: Was versteht das BKA unter „geschlechtsspezifischer Gewalt“?

Piekarska: Der Begriff ist ursprünglich in der Frauenrechtskonvention CEDAW von 1985 verankert. Er setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Einmal richtet sich geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen, weil sie Frauen sind. Geschlechtsspezifisch motiviert können zum Beispiel Taten durch Besitzansprüche eines Täters oder durch Kontrolldenken sein. In ihrer intensivsten Form kann dabei Frauenhass zum Ausdruck kommen, zum Beispiel bei Taten von Incels.

taz: Und das zweite Element?

Piekarska: Das bildet die strukturelle Dimension ab. In dem neuen Lagebericht sind das Straftaten, die Frauen primär oder häufig betreffen, oder Taten, die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden. Ein Beispiel wäre häusliche Gewalt, aber auch Menschenhandel. Bei Tötungsdelikten ist es schon schwieriger, da setzt sich die Opfer-Täter-Struktur komplexer zusammen.

taz: Das neue Lagebild nimmt wie das vorherige die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) als Grundlage. Reicht die für die neuen Kategorien aus, die ja differenzierter sein möchten als die bisherigen?

Piekarska: Die PKS ist die zentrale Kriminalstatistik hierzulande. Es handelt sich um eine Eingangsstatistik, die zu Beginn der strafrechtlichen Verfolgung erhoben wird. Die PKS ist eine Momentaufnahme, die rechtliche Bewertung kann sich im Laufe des Strafverfahrens verändern, Taten können herauf- oder herabgestuft werden. Kritikwürdig ist zudem, dass ihr ein binäres Geschlechterbild zugrunde liegt. Und schließlich werden nur bestimmte Daten erfasst und aufgeschlüsselt. Die PKS ist als statistische Grundlage also sehr hilfreich. Aber manche konkreten Daten stehen eben nicht zur Verfügung und sie lässt nicht unbegrenzt Interpretation zu.

taz: Das fällt zum Beispiel bei der Kategorie „Femizid“ auf. Zwar wird diese Kategorie mit Zahlen hinterlegt – zugleich aber schränkt das BKA die Zahlen dahingehend ein, dass man „Femizide“ mit den vorliegenden Daten gar nicht darstellen könne.

Piekarska: Beim Themenkomplex Femizid gibt es noch ein weiteres Problem: Es gibt in Deutschland keine gültige politische oder juristische Definition, keinen Straftatbestand. Das sagt der Bericht auch sehr deutlich. Das BKA bezieht sich im neuen Lagebericht rein auf die soziologische Definition: Femizid ist die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind. Trotzdem sollen Aussagen getroffen werden – und werden es auch – hinsichtlich der Betroffenheit von Frauen. In einer Kriminalstatistik, die auf Rechtsbegriffen aufbaut, ist das schwierig.

taz: Es produziert Widersprüche.

Piekarska: Ich würde sagen, ein bestehendes Problem schlägt hier auf die statistische Darstellung durch. Das BKA sagt selbst, dass es sich nur um eine Annäherung handelt. Letztlich zeigt das Lagebild, wie häufig Mädchen und Frauen von tödlicher Kriminalität betroffen sind: 360 Mal 2023. Zudem werden die betreffenden Straftatbestände gezeigt, also Mord, Totschlag, Totschlag in minderschweren Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge. Nicht in all diesen Taten lag ein geschlechtsspezifisches Motiv vor, so auch der Lagebericht. Die Motivation wird in der PKS nicht erfasst.

Aber?

Piekarska: Bei innerfamiliärer und partnerschaftlicher Gewalt ist eine geschlechtsspezifische Tat naheliegend. Aber um alle weiteren Fälle klar bewerten zu können, müsste man sie sich im Einzelnen anschauen oder die Motivation von Anfang an erheben. Nachträglich kann man keine Aussage dazu treffen, ob man generell alle Taten Femizid nennen sollte.

taz: Raubmorde werden nicht einberechnet – weil das eben keine Femizide sind?

Piekarska: Es müssen ja noch nicht einmal alle Morde Femizide sein. Der Täter kann auch – ich konstruiere jetzt – die Nachbarin wegen fünf Euro getötet haben, das wäre dann ein Habgiermord, hat aber nicht unbedingt mit dem Geschlecht des Opfers zu tun.

taz: Warum arbeitet das BKA mit dem Begriff Femizid, wenn es dazu keine konkreten Aussagen treffen kann?

Piekarska: Es besteht ein gewisses gesellschaftliches Bedürfnis danach – auch, weil der Femizid die schwerste Ausprägung geschlechtsspezifischer Gewalt ist. Aber das BKA sagt ja auch ganz klar, dass weiter Forschungsbedarf und Klärungsbedarf bestehen.

taz: Ist dieses Lagebild in der gegenwärtigen Form überhaupt sinnvoll?

Piekarska: Prinzipiell ist es begrüßenswert, das Deutschland den Verpflichtungen der Istanbulkonvention nachkommt. Gut ist auch, dass die Sichtbarkeit geschlechtsspezifischer Kriminalität steigt.

taz: Haben Sie Hoffnung, dass das Lagebild in Bezug auf den Femizid weiterentwickelt wird?

Piekarska: Es wurde bereits eingestanden, dass es bisher keine klare Definition des Femizids gibt. Nun müsste es auf der politischen Ebene die Klärung geben, was erfasst wird und ob die Kategorie weiter als Femizid bezeichnet wird. Man könnte in der PKS zum Beispiel die Motivation erfassen. Dann könnten Taten, denen als eines von mehreren Motiven eine geschlechtsspezifische Motivation zugrunde liegt, konkret als Femizid oder geschlechtsspezifische Straftat benannt werden.

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3 Kommentare

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  • Frage: Wo ist jetzt bitte der Aufschrei nach der nationalen Notlage?



    Herr Merz hat wegen der beiden islamistischen Anschläge in Deutschland seit Beginn der 2000-er Jahre mit insgesamt 20 Toten nach der nationalen Notlage geschrien.



    In diesem Artikel standen ja keine Zahlen, aber laut mehreren Zeitungsberichten haben wir jeden 2. Tag einen Femizid in Deutschland, also mehr als 100- fache Bedrohung im Vergleich zu islamistischem Terror.



    Oder interessieren sich Herr Merz, Herr Linneman & Co nur dann für Gewalttaten wenn sie diese politisch ausschlachten können?

    • @Heinz Kuntze:

      》Wo ist jetzt bitte der Aufschrei nach der nationalen Notlage?《



      .



      Hier, vor vier Tagen www.instagram.com/...h=cm5venAzdTBqcXp3



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      Aus der Caption: 》Die Ampel hat drei Jahre Zeit gehabt und nichts getan. Wir als Union fordern einen nationalen Aktionsplan, der Frauen besser schützt und Täter konsequenter zur Verantwortung zieht. Dazu gehören mehr Schutzräume, eine klare Finanzierung von Frauenhäusern - und der Einsatz moderner Mittel wie der elektronischen Fußfessel



      .



      Mit dieser Technologie können wir sicherstellen, dass gewalttätige Männer sich den Opfern nicht mehr nähern können. Das funktioniert in Spanien.



      .



      Das brauchen wir in Deutschland jetzt auch - zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt.《



      .



      Und bereits im Juli hat Merz namens seiner Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt dserver.bundestag....20/120/2012085.pdf , der auch schon diese Fußfessel ermöglicht hätte.



      .



      'Alle zwei Tage einen Femizid' - vom 2. 7. bis heute sind es mehr als 140 Tage - statistisch 70 Femizide -, die sich ein solches Gesetz verspätet.



      .



      Es lohnt, die Debatte nachzulesen www.bundestag.de/d...gesetzbuch-1010686

  • Wan kann das Thema auch vom Ende angehen:



    .



    》Wie Heinz [CDU Hessen] führen auch die Grünen das Vorbild Spaniens ins Feld. Dort werden strafrechtliche Sanktionen und Distanzanordnungen in Echtzeit elektronisch überwacht. Das Gericht kann die Einhaltung des Verbots durch die elektronische Überwachung mit dem Global Positioning System (GPS) anordnen. Wenn der Täter den Sicherheitsabstand nicht einhält, wird die Frau, die ein Empfangsgerät am Handgelenk trägt, mit einem Signalton gewarnt. Gleichzeitig wird die Polizei informiert. [...] „Seitdem die elektronische Fußfessel so in Spanien eingeführt wurde, gab es bei den Frauen, die damit geschützt wurden, keine Tötungen mehr“ 《



    .



    shorturl.at/Gulkk



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    Die Grünen haben gerade ein Gesetz eingebracht, das wie der Entwurf der Union vom Juli 24 dserver.bundestag....20/120/2012085.pdf diese Fußfessel möglich macht



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    Vor dem klaren Bekenntnis von Merz www.instagram.com/...h=cm5venAzdTBqcXp3 zu diesen und anderen Schutzmaßnahmen sollte jetzt unbedingt - 'keine Femizide an so geschützten Frauen mehr'!!! - ein gemeinsames Gesetz (zur Not der Unionsentwurf) beschlossen, kein Wahlkampfthema daraus werden!