Tod eines Schülers nach Amok-Verhör: Fiasko für die Kölner Polizei
Nach dem Amoklauf-Alarm in Köln und Selbstmord eines Schülers gerät die Polizei in Erklärungsnot. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen zum Polizeivorgehen aufgenommen.
KÖLN taz Erst feierte sich die Kölner Polizei selbst, quasi in letzter Sekunde ein Blutbad am Jahrestag des Schüleramoklaufs von Emsdetten verhindert zu haben. Doch mittlerweile kommen immer mehr Details der vermeintlich erfolgreichen Polizeiarbeit ans Tageslicht. Die angebliche Heldentat erweist sich zunehmend als Fiasko. Haben die Beamten versucht, eine - in ihrer Konsequenz tödliche - Ermittlungspanne zu vertuschen? Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat jetzt eine "umfassende Prüfung" angekündigt. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Es geht um die Umstände, unter denen der Schüler Rolf B. am vergangenen Freitag nach einem Gespräch mit zwei Bezirkspolizisten das Gelände des Kölner Georg-Büchner-Gymnasiums verlassen hatte. Es bestehen erhebliche Zweifel an der bisherigen Darstellung, nach der es keinerlei Hinweise für eine mögliche Gefährdung des Jugendlichen gegeben habe. Denn inzwischen steht fest, dass der 17-Jährige unmittelbar nach der "Gefährderansprache" aus der Schule geflohen ist. Zwölf Minuten später warf er sich vor eine Straßenbahn.
In dem Gespräch hatten die Beamten klären wollen, warum der Jugendliche Bilder des Schulmassakers an der Columbine Highschool in ein Internetportal gestellt hatte. Nach Polizeidarstellung hätten die Beamten dem Schüler am Ende mitgeteilt, "dass keine Hinweise auf eine Straftat vorlägen und keine weiteren polizeilichen Maßnahmen gegen ihn getroffen würden". Nach einer kurzen Unterhaltung mit zwei Lehrern sei dann "für die Beamten der Polizeieinsatz beendet" gewesen. Die Flucht des Schülers "gelangte den Beamten nicht mehr zur Kenntnis".
Diese Angaben stehen jedoch im Widerspruch zu Lehreraussagen, nach denen sich die beiden sogar an der - vergeblichen - Suche nach Rolf B. beteiligt hätten. Strittig ist auch, ob die Polizeibeamten Rolf B. nicht doch nach Hause bringen und sein Zimmer anschauen wollten, um jeden Verdacht auf einen möglichen Amoklauf auszuräumen.
Rolf B. dürfte große Angst gehabt haben, dass seine Eltern über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert werden, heißt es aus Schulkreisen. Sie gelten als sehr streng. Die zusammen mit seinem Freund Robin B. geschmiedeten Amokpläne hatten die beiden Schüler indes schon vor Wochen aufgegeben. Robin B. befindet sich inzwischen in psychiatrischer Behandlung.
Aber auch wenn die Beamten tatsächlich nichts von der Flucht mitbekommen hätten, bleiben Fragen. Denn schon nachdem der Zwölftklässler nach einem ersten Gespräch mit dem stellvertretenden Schulleiter und dem Oberstufenkoordinator in der fünften Stunde mit hochrotem Kopf zurück in den Englischunterricht kehrte, soll er nach der Schilderung einer Mitschülerin völlig verstört gewirkt haben. Sie habe ihn noch nie so erlebt. Kaum nachvollziehbar, dass den Beamten bei ihrem späteren Treffen aber auch rein gar nichts Beunruhigendes an Rolf B. aufgefallen sein soll.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ingo Wolf (FDP) und Landesschulministerin Barbara Sommer (CDU) haben angekündigt, sie arbeiteten "bei der Aufklärung der Gesamtumstände eng zusammen". Eine endgültige Bewertung des Geschehens sei "erst möglich, wenn alle dazu erforderlichen Detailinformationen vorliegen". Die oppositionellen Grünen forderten indes, Wolf müsse das "Kommunikationschaos umgehend beenden und personelle Konsequenzen aus dem Vorfall ziehen". Die SPD-Opposition will eine Sondersitzung des Innen- und Schulausschusses beantragen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung