Tod durch Polizeieinsatz: Diskriminierung kann tödlich sein
Das Land ist verantwortlich für den Tod eines Kranken bei einem Polizeieinsatz. Doch die Empfehlungen der LADG-Ombudsstelle werden nicht umgesetzt.

Das LADG ist das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz, das staatlichen Stellen die Diskriminierung von Menschen aufgrund Herkunft, Religion, Behinderung, Sprache und weiterer Kriterien verbietet. Bürger:innen, die sich diskriminiert fühlen, können sich an die Ombudsstelle wenden. Im Fall Mutombo hat dies der Bruder des Opfers, Kandu Mansamba Mutombo, im Januar 2023 getan. Insgesamt gibt es pro Jahr etwa 400 LADG-Beschwerden, laut Liebscher betrifft ein Drittel der Fälle Menschen mit Behinderung. Der Fall Mutombo sei insofern etwas Besonderes, als es erstmals um den Tod eines Menschen gehe.
Die Ombudsstelle hält fest, dass Mutombo von der Polizei diskriminiert wurde, indem sie seine Rechte nach den Kategorien Behinderung und Sprache missachtete. Eine Diskriminierung aufgrund von Rassismus – Mutombo war Schwarzer – wurde auch untersucht, doch dafür konnten keine Beweise gefunden werden, sagte Liebscher der taz. Die Ombudsstelle empfahl eine öffentliche Entschuldigung bei Mutombos Familie inklusive Anerkennung der institutionellen Verantwortung für seinen Tod, die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 45.000 Euro sowie zahlreiche strukturelle Veränderungen, damit solche Todesfälle in Zukunft nicht mehr passieren.
Doch bis heute habe die Senatsverwaltung für Inneres diese Empfehlungen nicht umgesetzt, erklärte Liebscher. Daher spricht die Ombudsstelle nun – fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Polizeieinsatz am 14. 9. 22 – eine „formelle Beanstandung“ gegenüber der Berliner Polizei aus. „Das ist unser schärfstes Schwert“, sagte Liebscher. Man wende es an, „weil bisher keine Abhilfe geschaffen worden ist“.
Zahlreiche Fehler beim Polizeieinsatz
Mutombo war schizophren und lebte in einem betreuten Wohnheim in Spandau. Er sprach kein Deutsch. Das Amtsgericht Spandau beschloss am 24. August 2022 seine vorläufige Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung, das Bezirksamt Spandau ersuchte die Polizei um Vollzugshilfe.
Laut Ombudsstelle gab es bei dem Polizeieinsatz zahlreiche Fehler: Es war kein Dolmetscher zugegen und kein im Umgang mit psychisch Kranken geschultes Personal, zudem gab es trotz des zeitlichen Vorlaufs keine hinreichende Einsatzplanung. Diese Punkte seien eine Diskriminierung „durch Unterlassung“, so die Ombudsstelle. Auch die Öffnung des Zimmers von Mutombo sei rechtswidrig gewesen, wie der Polizeibeauftragte bereits vor zwei Jahren in seinem Bericht festgestellt hatte.
Die Einsatzkräfte sprachen Mutombo auf Deutsch an. Als dieser nicht reagierte, versuchten die Beamten, ihn gewaltsam zu fixieren. Die Dienstkräfte hätten jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt erkennen müssen, dass „eine Eskalation des Geschehens drohte, die letztlich auch eintrat“, heißt es in der Beanstandung, die seit Montag öffentlich zugänglich ist. Dass die Beamten den Einsatz dennoch fortsetzten, erfülle den Tatbestand der „Diskriminierung durch aktives Tun“, so die Ombudsstelle. Es wurde Verstärkung gerufen, die gewaltsame Fixierung fortgesetzt, Mutombo herausgeführt und in Bauchlage zu Boden gebracht.
Ein Zeuge habe gesehen, wie ein Beamter sein Knie in Mutombos Hals oder Schulter drückte, und gerufen, dass diesem die Luft ausgehe und man ihn aufrichten müsse, berichtete Felix Haßelmann, stellvertretender Leiter der Ombudsstelle. Dies sei aber erst geschehen, „als die unmittelbar beteiligten Dienstkräfte feststellten, dass Medard Mutombo nicht mehr ansprechbar war“, heißt es in der Beanstandung. Mutombo wurde reanimiert, erlangte aber das Bewusstsein nicht wieder. Er starb knapp drei Wochen später im Krankenhaus.
Todes(mit-)ursache Diskriminierung
Die genaue Todesursache ist bis heute nicht geklärt. Sie kann laut Beanstandung auf die Gewaltanwendung der Polizisten zurückzuführen sein oder auf die Stressreaktion wegen des Polizeieinsatzes. Dazu läuft ein Strafermittlungsverfahren, das zweimal eingestellt, aufgrund der Beschwerde des Bruders aber im März 2024 wieder aufgenommen wurde. Unabhängig davon, erklärt die Ombudsstelle, „steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Pflichtverletzungen (mit-)ursächlich für den Tod von Medard Mutombo waren“.
Nach Liebschers Darstellung hat sich der zuständige Referatsleiter der Polizei bei der Familie entschuldigt, eine Übernahme der Verantwortung und eine öffentliche Entschuldigung habe es aber nicht gegeben. Statt der Entschädigung habe die Innenverwaltung 6.744 Euro für die Bestattungskosten bezahlt, jedoch ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“.
Zu den strukturellen Forderungen der Ombudsstelle gehören verbindliche Richtlinien für solche Polizeieinsätze, eine Anpassung von Aus- und Fortbildungsinhalten bei der Polizei, die Vergabe einer unabhängigen Studie zu Polizeieinsätzen mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen sowie die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Umsetzung dieser Empfehlungen.
Die Innenverwaltung erklärte auf taz-Anfrage, „strukturbezogenen Empfehlungen konnte weitgehend gefolgt werden, zumal entsprechende Maßnahmen im überwiegenden Teil zuvor schon bestanden oder durch die Polizei Berlin bereits ergriffen wurden“. Zudem habe die Polizei „Optimierungsprozesse angestoßen“ und die Innenverwaltung „weitergehende Handlungsanweisungen ausgesprochen“.
Verantwortung abgeschoben
Die Ombudsstelle begrüßt dies, weist aber darauf hin, dass eine Überprüfung, ob die Maßnahmen strukturelle Abhilfe schaffen, nicht möglich ist. Man habe dazu nachgefragt, zuletzt am 11. Juni, darauf habe die Verwaltung nicht mehr reagiert.
Verantwortlich für den Einsatz sieht sich die Innenverwaltung nicht. Ein Sprecher erklärte der taz, der Bezirk Spandau sei für die Vorbereitung des Einsatzes, Dolmetscher und „die Berücksichtigung krankheitsbedingter besonderer Bedürfnisse“ verantwortlich – Entschädigungsforderungen hätten sich mithin an ihn zu richten. Liebscher bestreitet dies: Die Rechtsprechung hierzu sei eindeutig.
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