Tobias Schulze über den Sipri-Rüstungsbericht: Aufrüstung als Sicherheitsrisiko
Eine Pandemie hat die Welt im Griff, die Wirtschaft bricht in etlichen Staaten ein und die globalen Militärausgaben steigen trotzdem: Dem Friedensforschungsinstitut Sipri zufolge gab die Menschheit 2020 fast zwei Billionen Euro für ihre Armeen aus. Ausgerechnet im ersten Coronajahr ist das ein neuer Rekord. Diese Gleichzeitigkeit lenkt den Blick darauf, wie steigende Verteidigungsausgaben gleich doppelt zum Sicherheitsrisiko werden können.
Es geht nicht nur um das Vernichtungspotential, das durch ein Mehr an Waffen wächst und das sich entfaltet, wann immer das Kalkül der gegenseitigen Abschreckung nicht aufgeht. Es geht auch darum, welche Ressourcen durch die globale Aufrüstung gebunden werden und für andere Menschheitsaufgaben entsprechend nicht zur Verfügung stehen. Aktuell am augenscheinlichsten ist die Unterfinanzierung der Gesundheitssysteme, die die rasche Eindämmung der Coronapandemie verhindert. Perspektivisch immer drängender wird die Klimakrise, die nur durch immense Investitionen abgefedert werden könnte. Sowohl die Gesundheits- als auch die Klimakrise haben übrigens das Potential, neue militärische Konflikte auszulösen oder bestehende anzufachen. Ein ganzheitlicher Begriff von Sicherheitspolitik müsste daher auch hier ansetzen, statt zur Friedenssicherung primär in neue Waffen zu investieren.
Die Sipri-Zahlen deuten leider noch nicht darauf hin, dass sich durch die Pandemie-Erfahrung an den bestehenden Prioritäten etwas ändert. Nur einzelne Staaten wie Russland und Brasilien sahen sich gezwungen, ursprünglich fürs Militär vorgesehene Mittel für die Gesundheitsversorgung umzuwidmen. Immerhin aber: Eine endgültige Aussage lässt sich anhand der Zahlen der Friedensforscher*innen noch nicht treffen. Militärausgaben, die 2020 getätigt wurden, wurden oft schon im Jahr 2019 in den Haushalten festgeschrieben. Sollte durch die Pandemie doch ein Umdenken stattfinden, wird sich das wohl erst auf die Zahlen der nächsten Jahre voll auswirken. Eine echte Zwischenbilanz wird in zwölf Monaten möglich sein.
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