piwik no script img

Tobias Kannler über den Protest an einer Neuköllner BracheKasperle probt den Aufstand

Kurz vor 18 Uhr am Donnerstag in Neukölln. Zwei Mannschaftswagen der Polizei haben Stellung bezogen, aus den umliegenden Straßen flanieren kleine Grüppchen in Richtung des Bauzauns, der die Braunschweiger Straße 21 umgibt. Eine Brache, die ursprünglich ein Edeka gewesen ist und die vor zwei Tagen noch ein Gemeinschaftsgarten war. Seit der Räumung am Dienstagmorgen steht hier nur noch eine Betonbank mit Graffiti: „Freiheit braucht Freiraum“ steht in großen, schwarzen Lettern auf dem Objekt.

Nagel Properties, die neuen Grundstückseigentümer, wollen hier „Micro-Apartments“ bauen. Dagegen liefen einige Anwohner Sturm und gründeten die Bewegung #DaWoEdekaMaWa. Sabrina Brückner, eine Anwohnerin und Mitinitiatorin der heutigen Veranstaltung, steht am Bauzaun und liest den rund 60 Anwesenden die kurze Historie der Brache vor. Marion Wegner, ebenfalls Anwohnerin, verteilt Prospekte, in denen die Eigentümer für ihr Projekt werben, und fragt mit ironischem Unterton: „Na, schon investiert?“

Nach nicht einmal 10 Minuten ist die Kundgebung auch schon vorbei, Brückner beendet die kurze Ansprache und brüllt ins Megafon: „Die Brache lebt!“ Das ruft Artur Albrecht auf den Plan. Mit Kasper-Handpuppe und Glocke in der einen Hand und Koffer in der anderen Hand bewaffnet, belustigt er mit Bemerkungen über den momentanen Zustand der Brache. Nach dem symbolischen Wurf einer Socke, zweier Tomaten und einer Sonnenblume über den Zaun zieht der Kasper mitsamt Zuschauern in einer Prozession zum nahegelegenen Böhmischen Platz, auf dem noch einmal weitere 40 Menschen im Freiluft-Kasperletheater warten. Eigentlich sollte das Theater im Gemeinschaftsgarten stattfinden, erklärt Sabrina Brückner, nach der Räumung sei man auf den Platz umgezogen.

Kurze Pause, dann beginnt die eigentliche Vorstellung. Thema: „Micro-Apartments“. Ihren Höhepunkt erreicht die Show, als Albrecht mit einer Kinderschar im Schlepptau um den Platz herumtrottet und ein Schmählied über die Eigentümerfamilie Nagel schmettert. Wie der Rattenfänger, dem die Kinder bei einem fröhlichen Liedchen aus der Stadt hinaus folgten.

Bis es dunkel wird, wird weiter gequatscht und getrunken. Eigentlich wie ein Nachbarschaftsfest, nur eben anders.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen