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Titelaspirant ohne Mumm

Hansa Rostocks 1:0-Sieg gegen Leverkusen im schneeverwehten Ostseestadion senkt den Blick von Bayer-Coach Christoph Daum  ■ Aus Rostock Matti Lieske

„Ich schaue nach oben, aber ich schaue auch nach unten“, hatte Christoph Daum gesagt, als sein Team letzte Woche den zweiten Tabellenplatz hinter den Münchner Bayern erklomm. Offenbar schaute der Trainer von Bayer Leverkusen nicht weit genug nach unten. Ganz, ganz tief steht dort nämlich die Mannschaft von Hansa Rostock, die mit ihrem 1:0-Sieg am Samstag dafür sorgte, daß Daum seinen berüchtigten Hexerblick in nächster Zeit nicht mehr gar so angestrengt auf die obersten Regionen der Tabelle richten muß.

„Unser Ziel war und ist es, im nächsten Jahr international dabeizusein“, stellte der Coach flugs wieder den Uefa-Cup-Platz in den Mittelpunkt des Leverkusener Interesses, und jeder einzelne Spieler seiner Mannschaft, der nach der frustrierenden Schlappe bereit war, den Mund zu öffnen, betete brav und eilfertig das Daumsche Credo nach. Die bedrückende Vermutung, an diesem scheußlich- frostigen Rostocker Nachmittag die Meisterschaft verspielt zu haben, stand allen ins Gesicht geschrieben.

Gastspiele bei Hansa sind eine Art Nagelprobe für Titelaspiranten. Wer hier nicht gewinnt, ist in Schwierigkeiten, wer sogar verliert, kann seine Ambitionen eigentlich begraben. Will man die Punkte haben, muß man allerdings etwas dafür tun. Geschenkt wird einem nichts im Ostseestadion. „Ich rede nicht über hätte, wenn und aber“, sagte Daum auf die Frage, ob er mit einem 0:0 zufrieden gewesen wäre, „man hat gesehen, daß wir gewinnen wollten.“ Genau dies hatten viele aber nicht gesehen.

In der ersten Halbzeit besaß die Partie auf rutschigem Schneeboden wenig Ähnlichkeit mit einem Fußballspiel. Der Ball flutschte so eigenwillig übers Feld, als säße ein Frosch darin, und prallte fortwährend an verschiedenen Körperteilen verschiedener Spieler in verschiedene Richtungen ab. Kam es jedoch zu Zweikämpfen, wurden diese in der Regel von den Gästen gewonnen, und wenn mal kombiniert wurde, dann von den Herren Sergio, Meijer, Ramelow, Kirsten, Nowotny und Wörns, die auch etliche gute Torchancen hatten – und vergaben.

Mitte der zweiten Halbzeit war es dann höchste Zeit für die überlegenen Leverkusener, das Match endlich für sich zu entscheiden. Eine Verstärkung der Bemühungen war aber kaum zu erkennen. „Wir wollten gewinnen, auch wenn es vielleicht nicht so ausgesehen hat“, wehrte sich Christian Wörns gegen die Unterstellung, ein Unentschieden der Erhöhung des Risikos durch offensivere Spielweise vorgezogen zu haben. „Wir waren schließlich die Auswärtsmannschaft“, fügte der Abwehrspieler hinzu. Genau so, und nicht wie ein selbstbewußter Meisterschaftskandidat, trat das Team auf. Schießen wir ein Tor, ist es gut, lautete augenscheinlich die Devise, wenn nicht, geht es eben 0:0 aus. Eine Niederlage schien außerhalb jeder Vorstellungskraft, auch für Leverkusens Hilfsmanager Rudi Völler: „Es sah nicht so aus, als ob Rostock ein Tor schießen könnte.“

Doch Rostock konnte. „Eine Verkettung unglücklicher Umstände“ (Wörns) ließ den Ball in der 74. Minute zum eingewechselten Amateur Enrico Röver prallen, der spielte weiter zum Mazedonier Toni Micevski und dieser nutzte den glatten Boden, um den Ball unter Keeper Heinen hindurch ins Tor zu befördern. „Wer das erste Tor schießt, hat das Ding gewonnen“, war sich Röver schon zu diesem Zeitpunkt sicher, auch wenn Leverkusen in der Schlußphase jenes in wilder Manier tat, was es zuvor auf gesittete Weise versäumt hatte: stürmen. Hansa hatte noch einige brenzlige Situationen zu überstehen, am Ende war der wichtige Sieg gegen den Abstieg aber perfekt und, so Verteidiger Timo Lange, „auch in dieser Höhe verdient“.

Das mußte sogar ein äußerst angefressener und wortkarger Christoph Daum bestätigen. War Rostock um ein Tor besser? „Sie haben es erzielt.“ Basta. „Ein Tor, drei Punkte, geil“, resümierte Torschütze Micevski und stellte gleichzeitig gewachsene Sprachkenntnisse unter Beweis. Am prägnantesten brachte am Tag der knappen Worte der Niederländer Erik Meijer den Auftritt des Bayer-Teams im Ostseestadion auf den Punkt: „Schneeregen und Scheiße“.

Bayer Leverkusen: Heinen - Nowotny - Happe, Wörns - Lehnhoff (79. Neuendorf), Ramelow, Zé Elias (72. N. Kovac), Sergio, Heintze (79. Rydlewicz) - Kirsten, Meijer

Zuschauer: 17.000; Tore: 1:0 Micevski (74.)

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