: Tipps für den Menschenpark
Trotz aller Mahnungen: Die deutsche Biopolitik folgt dem britischem Vorbild auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik. Ein Ende dieser fatalen Entwicklung ist nicht abzusehen
Der Nationale Ethikrat hat mehrheitlich empfohlen, den bei der In-vitro-Fertilisation künstlich erzeugten Embryo vor seiner Einsetzung in die Gebärmuter auf bestimmte genetische Schäden zu untersuchen und ihn im Falle eines positiven Befundes selektiv zu „verwerfen“. Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Gesetzgeber diese bedingte Präimplantationsdiagnostik (PID) zulassen wird.
Einmal eingeführt wird sie freilich nicht auf unfruchtbare Paare beschränkt werden können und zu mehr künstlichen Zeugungen führen. Sie wird sich auf lange Sicht auch nicht auf einen eng gefassten Katalog chromosomaler Störungen begrenzen lassen, weil die Grenzen zwischen dieser „negativen“ und einer auf Optimierung zielenden „positiven“ Eugenik fließend sind. Unter den zu erwartenden Fortschritten der Reproduktionsmedizin wird es kein Halten geben bei der biotechnologischen Verbesserung der Spezies. Darum geht es letzten Endes bei diesem Programm, auch wenn es unter dem Titel einer liberalen Selbstermächtigung firmiert.
Peter Sloterdijk hatte schon in seinen Regeln für den Menschenpark – damals unter dem Protest einer moralisch empörten Öffentlichkeit – den altmodischen „Geburtenfatalismus“ durch die „optionale Geburt“ zu ersetzen verlangt; heute darf er sich als Prophet fühlen, als Prognostiker einer unaufhaltsamen Zeitenwende. Warum sollte die Selektion auf die Resultate der seltenen künstlichen Befruchtung beschränkt bleiben und der Wunsch nach dem genetisch gesunden Kind anderen Eltern abgeschlagen werden? Die im Reagenzglas entstandenen überzähligen Embryonen, die als „Waisenkinder“ der Reproduktionsmedizin keine Gebärmutter gefunden haben – soll man sie wirklich sinnlos vernichten, wo sie in den Kühlhäusern bereits auf ihre nützliche Verwendung warten?
Das therapeutische Klonen auf dem Weg zu Zelltherapie und Organersatz, an das sich die Hoffnungen großer Patientengruppen knüpfen – warum sollte es verboten oder vom teuren Import embryonaler Stammzellen abhängig bleiben? Die ethischen und rechtlichen Weichen werden für den Zug des Gattungsfortschritts nach dem gleichen Muster gestellt wie bei der Debatte um den Hirntod, die der Organtransplantation den Weg gebahnt hat: Der technologischen Dynamik folgt eine plastische Ethik – und dieser wiederum das Recht.
Dabei verläuft der ethische Großdiskurs über Möglichkeiten und Grenzen der Biotechnologie in medial temperierten Fieberschüben. Blicken wir zurück: Schon lange bevor im Herbst des Jahres 2000 das Humangenomprojekt den entzifferten „Text des Lebens“ als endlose Buchstabenreihe präsentieren sollte, hatten Wissenschaftsschamanen und Technikvisionäre, das wahrhaft revolutionäre Anwendungspotenzial dieser Jahrhundertentdeckung erkannt. Sie sollte am Ende die Menschheit von allen möglichen Geißeln befreien helfen – vom bedauerlichen Mangel an Intelligenz, Großzügigkeit oder Friedfertigkeit, von genetisch (zumindest teilweise) bedingten Erkrankungen, sogar von der unheilbarsten aller unheilbaren Krankheiten, welche die Gattungsseele zugleich am tiefsten kränkt: vom Altersverfall und von der Sterblichkeit. Längst sucht man nach dem zuständigen „Sensenmann-Gen“, um es auszuschalten, und glaubt schon, so etwas wie ein lebensverlängerndes „Methusalem-Gen“ gefunden zu haben.
Hierzulande hatte eine bedeutende Zeitung die intellektuelle Diskursführerschaft im lebenswissenschaftlichen Streitgespräch übernommen, indem sie zwischen den Fronten ihr Feuilleton buchstäblich neu erfand. Einerseits feierte sie die Priester der szientistischen Religion wie Ray Kurzweil als „Pioniere einer neuen Gründerzeit“; auf der anderen Seite ließ sie die Verfechter eines fundamentalen Lebensschutzes dagegen argumentieren: Weil der Embryo bereits in seinem Frühzustand, wo die Biotechnologie ihn zum bloßen „Zellhaufen“ entwürdige, alle Kennzeichen eines menschlichen Wesens trage, seien ihm die absoluten Rechte einer Person zuzuerkennen. Der manipulative Zugriff auf das werdende Leben, mit einer „Ethik des Heilens“ gerechtfertigt, provozierte eine wertkonservative Abwehr, die sich auf eine „Ethik der Menschenwürde“ berufen konnte. Damit war die moralische Schlachtordnung aufgebaut, und zwischen sehnsüchtiger Utopie und drohender Apokalypse wurden nun die bioethischen Dilemmata der Lebenswissenschaften entfaltet.
Die raelianische Weihnachtsbotschaft vom ersten Klonkind hat die mittlerweile abgekühlte Diskussion wieder angefacht. Seitdem wartet die Weltöffentlichkeit gebannt auf neue Erfolgsmeldungen aus den Bastelstuben des reproduktionsmedizinischen Kreationismus, während gleichzeitig die Gegner dieser Art von generationsversetzter Selbstreplikation die weltweite Empörung nutzen, um endlich die Ächtung des Klonens durchzusetzen. Einflussreiche Teile der Deutschen Forschungsgemeinschaft wiederum wollen die Tür nicht ganz verschließen und distanzieren sich eindeutig nur vom schändlichen „reproduktiven“ Klonen, weil sie mit dem „therapeutischen“ Klonen segensreiche, wenn auch weit in der Zukunft liegende Aussichten auf genetische Prävention und Behandlung verbinden. Wenig bekannt ist, dass für beide Zwecke das gleiche – moralisch ebenso wie wissenschaftlich umstrittene – höchst riskante Verfahren des genetischen Kopierens verwendet wird.
Nachdem die zuständige Enquetekommission des Bundestags das Klonen für sämtliche Zwecke verbieten möchte und eine schwarz-grün(-rot?)e Koalition einen entsprechenden Gesetzesantrag im Bundestag einbringen will, setzt die mit dem bioindustriellen Komplex eng verschmolzene Fraktion des lebenswissenschaftlichen Fortschritts nun ganz auf weitere Empfehlungen des Nationalen Ethikrats. Dessen Vorsitzender hat gerade in einem Vortrag vor der US-Schwestergesellschaft „Council on Bioethics“ die Biopolitik Großbritanniens als „sehr, sehr differenziert“ gewürdigt. Dort sind nicht nur die PID sowie die Embryonenforschung bis zu zwei Wochen nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle erlaubt, sondern auch das therapeutische Klonen.
Vieles spricht dafür, dass es sich um einen biomedizinischen Irrweg handelt, der hier beschritten wird. Er führt nicht nur moralisch, sondern auch wissenschaftlich in eine Sackgasse: Beim menschlichen Organismus handelt es sich um ein lebendes System, in das zwar eingegriffen werden kann, die Ergebnisse dieses Eingriffs sind wegen der komplexen Wechselwirkungen zwischen Genom, Zelle, Organen und Umwelt aber nicht vorherzusagen. Aber selbst die verheerenden Ergebnisse aller bisherigen gentherapeutischen Versuche am Menschen haben solche Ideen anscheinend nicht dauerhaft diskreditieren können.
So wird in der Biomedizin die Büchse der Pandora weiter geöffnet, auf deren Boden sich bekanntlich die Hoffnung befindet.
MARTIN ALTMEYER