Tintenfischfarm vor Gran Canaria: Zu viel Stress für Oktopusse
Ein spanischer Fischereikonzern plant, vor Gran Canaria Oktopusse heranzuziehen. Jährlich 3.000 Tonnen sollen ab 2023 auf den Markt kommen.
Das Produkt, das vor allem in Asien und im nördlichen Mittelmeer verzehrt wird, erfreute sich in den vergangenen Jahren auch im restlichen Europa sowie in den USA und Australien immer größerer Beliebtheit. Alleine 2019 wurden 3,74 Millionen Tonnen aus den Weltmeeren gefischt. Der Wert: 17 Milliarden Euro.
Was nach einem lukrativen Geschäft für Nueva Pescanova aussieht, stößt bei Tier- und Umweltschützern auf Widerstand. Für sie sind die Pläne „unethisch und fragwürdig“. 60 spanische und internationale Organisationen – darunter auch der Deutsche Tierschutzbund – haben sich gegen die geplante Pulpo-Farm zusammengetan.
„Die Oktopusse sind intelligente und sensible Lebewesen, die als Einzelgänger leben“, erklärt die Meeresbiologin Elena Lara von der internationalen Organisation Compassion in World Farming (CIWF). Sie zu zwingen, „in einem Raum ohne jegliche Reize und mit anderen Individuen zusammenzuleben“, führe „zu Stress und das wiederum zu Aggressivität bis hin zu Kannibalismus“, erklärt Lara. Die Pläne von Nueva Pescanova seien „ein Rezept für ein Desaster“.
Problemlöser Oktopus
„Oktopusse stechen bei den wirbellosen Tieren durch ihr komplexes Verhalten hervor“, schreibt die Expertin auf dem Gebiet, Jennifer Jacquet von der New York University (NYU) in einem Papier gegen die Zucht von Pulpos. Die Tiere seien „in der Lage, Probleme zu lösen, sich durch Farbwechsel an die Umwelt an zu passen und ihr Jagdverhalten auf die Gruppensignale von Fischschwärme einzustellen“. Und wer kennt nicht die Aufnahmen eines Oktopusses, der einen Schraubverschluss öffnet, um an den Inhalt der Flasche heranzukommen? Das alles gilt den Wissenschaftlern als Beweis für eine hohe Intelligenz.
Auch die London School of Economics hat einen Bericht veröffentlicht. „Wir sind davon überzeugt, dass artgerechte Zucht von Oktopoden unmöglich ist“, schlussfolgern die Autoren.
„Neben dem Tierwohl ist die Zucht von Oktopussen auch ein Problem für die Umwelt“, erklärt CIWF-Biologin Lara. Denn die Zucht würde nicht etwa den Druck auf die frei in den Meeren lebenden Spezies verringern, sondern gar erhöhen. Der Grund: „Oktopusse sind Fleischfresser. Als solche müssen sie mit Trockenfutter aus Fischmehl ernährt werden.“ Dieses Futter wird aus gefangenem Fisch hergestellt. Bereits jetzt werden bis zu 25 Prozent der Fänge zu Fischmehl und -öl verarbeitet, die in Fischzuchtanstalten und anderer Mastbetrieben eingesetzt werden.
Antibiotikaresistenzen drohen
Seit dem späten zwanzigsten Jahrhundert werden immer mehr Meerestiere gezüchtet. Mittlerweile sind es rund 550 Arten in 190 Ländern, von Muscheln und Meeresfrüchten über Forellen und Lachs bis hin zum Blauflossen-Thunfisch mit seiner bis zu 4,5 Metern Länge, insgesamt rund 80 Millionen Tonnen pro Jahr. Da Tiere, die mit vielen Artgenossen eingesperrt sind, für Krankheiten anfälliger sind als frei lebende, müssen ständig Medikamente verabreicht werden. Das Wasser wird so unter anderem mit Antibiotika verseucht.
Aufgeschreckt durch die Proteste, reagiert Nueva Pescanova nicht mehr auf Anfragen über Details ihres Projektes. Allerdings berichteten die großen spanischen Tageszeitungen längst ausführlich. Ihren Berichten zufolge sollen mit der über fünf Hektar großen Anlage im Hafen von Las Palmas direkt 100 und indirekt 350 Arbeitsplätze entstehen. Die Tiere sollen je nach Art in 6 bis 15 Monaten schlachtreif sein. Die Oktopoden werden direkt vor Ort tiefgefroren und dann per Schiff exportiert. Die Investitionen werden sich auf 45 bis 65 Millionen Euro belaufen. Nueva Pescanova hoffe, so die spanische Tageszeitung ABC, auf Unterstützung der Europäischen Union aus den Next Generation Fonds.
Für CIWF-Sprecherin Lara wäre eine Subventionierung „ein Unding“. Sie verweist auf eine Antwort der EU-Kommission auf eine parlamentarische Anfrage des portugiesischen Abgeordneten der Tierschutzpartei PAN, Francisco Guerreiro zum Thema Oktopus-Zucht. „In den EU-Rechtsvorschriften gibt es keine spezifischen Anforderungen an die Tierschutzbedingungen für die Schlachtung von gezüchteten Weichtieren, einschließlich Tintenfischen. […] Die Kommission stimmt jedoch zu, dass die Zucht fleischfressender Tiere wie Tintenfische riskieren kann, zusätzlichen Druck auf die Wildfischbestände auszuüben“, heißt es darin. „Die Zucht mit EU-Geldern zu fördern, stände dazu im Widerspruch“, sagt Lara.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“