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TierversucheEin tierisches Problem

Berlin ist die Hauptstadt der Tierversuche, Tendenz steigend. Forscher experimentierten im vergangenen Jahr an über 300.000 Tieren. Und das, obwohl es zahlreiche Alternativen gibt.

Mit einer Injektion versetzen Forscher zwölf Hunde in Narkose. Dann legen sie den Bewusstlosen eine Manschette zur Blutdruckmessung um die Körperschlagader an und zwei Katheter zur Blutentnahme. Die Schläuche liegen unter der Haut, treten am Nacken nach außen und führen in den Nachbarraum. Von dort können die Forscher an den wachen Hunden kontinuierlich Messungen vornehmen, ohne die Tiere zu berühren. "Das ist ein Beispiel für einen typischen Versuch, bei dem Tiere wie Messinstrumente behandelt werden", sagt Tierärztin Corina Gericke von Ärzte gegen Tierversuche.

Im vergangenen Jahr verwendeten Forscher mehr als 300.000 Tiere für wissenschaftliche Experimente. Damit wurden mit Genehmigung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) 17.000 Tiere mehr als im Vorjahr und 30.000 mehr als 2004 für Versuche freigegeben. Damit bleibt Berlin die Hauptstadt der Tierversuche. Mehr als zehn Prozent aller bundesweit durchgeführten Experimente finden hier statt.

Für Gesundheitssenatorin Karin Lompscher (Linkspartei) ist der Hunger nach Versuchstieren ein notwendiges Übel: "Der Senat fördert die Ansiedlung von Biotechnologien - die wachsende Zahl von Tierversuchen ist der Preis dieser positiven Entwicklung." Die biotechnischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen, die sich in der Stadt ansiedeln, benötigen vor allem genveränderte Mäuse und Ratten.

Wolfgang Apel, Präsident des Tierschutzvereins, fordert die Gesundheitssenatorin auf, diese Entwicklung zu stoppen. Forschungsmittel sollten nur noch für Projekte genehmigt werden, die ohne Tierversuche auskommen.

"Jeder Antrag für Experimente mit Tieren wird genau geprüft", verteidigt Lompscher den Senat. Im Januar etwa lehnte das Landesamt für Gesundheit den Antrag der Charité ab, neurologische Versuche mit Affen durchzuführen. Begründung: Der wissenschaftliche Zweck rechtfertige die Leiden der Tiere nicht. "Ein großer Erfolg und ein Signal", sagt Brigitte Jenner vom Verein der Tierversuchsgegner Berlin.

Einige Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler setzen inzwischen auch auf alternative Methoden. Im pharmazeutischen Institut der Freien Universität Berlin beispielsweise entwickelten Forscher das Modell einer künstlichen Haut, die Tierversuche ersetzen kann. Das Interesse der Unternehmen, Institute und Labore daran ist groß - aus Imagegründen wie auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. "Die Kosten für die Tiere und deren Haltung entfallen", erläutert Stefan Nagel von den Forschungseinrichtungen für Experimentelle Medizin der Charité. Zwar machten Alternativmethoden erst einen kleinen Teil aus, doch Ziel sei es, irgendwann komplett auf Tierversuche zu verzichten. Im Bereich der Antikörperherstellung beispielsweise könnten die Wissenschaftler heute schon mit Hühnereiern experimentieren, anstatt Kaninchen wiederholt Blut abnehmen zu müssen. Eine Methode, die Schäden reduziert.

Noch sei es allerdings nicht überall möglich, auf Versuche an lebenden Tieren zu verzichten. Wenn keine vergleichbaren und ähnlich komplexen Alternativmethoden existierten, seien zahlreiche Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben, so Nagel.

"Wir müssen die Alternativmethoden zu Tierversuchen in der Forschung vorantreiben", fordert auch der tierschutzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses, Gregor Hoffmann. Denn nur so könnte man Tierversuche minimieren und gleichzeitig die Verbraucher vor ungeahnten Wirkungen unbekannter Stoffe schützen. "Um das allerdings umsetzen zu können, müssten auch mehr Gelder in die Forschung fließen", fordert Hoffmann. Hier seien auch die Unternehmen gefragt.

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17 Kommentare

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  • A
    Alster

    Was ist das nur für ein Menschenschlag, der an solch

    hilflosen Kreaturen seine sadistischen Neigungen

    ausleben kann. Sind das die Mengele des 21ten

    Jahrhunderts? Ein Säugetier hat die gleichen Organe

    und die gleichen Schmerzen wie ein Mensch.( Es ist

    nur weniger kriminell.)Als ob heute noch Tierversuche notwendig wären. Politiker die so etwas

    dulden, gehören abgewählt. Das satanische Wesen der Pharma-Industrie setzt sich über jede Mensch-

    lichkeit hinweg. Das liegt auch mit daran, dass

    Politiker nicht mehr souverän sein können, weil

    Geld so gut riecht.

  • HC
    H.-J. Cappius

    Ich finde den Bericht soweit ausgewogen, habe aber generell zu der Thematik den Bedarf nach etwas stärkerer Differenzierung.

     

    Natürlich gibt es Tierversuche, die heutigen ethischen Empfindungen nach als grenzwertig anzusehen sind. Ein Beispiel - jedoch ohne nachvollziehbare Begründung für den Zweck des Versuches - wurde im Artikel genannt.

    Auch die vorgeschriebenen Test von Kosmetika und Cremes sind sicherlich einfacher auf der genannten künstlichen Haut durchführbar - und dann ohne Tiere zu opfern.

     

    Aber die Tierliebe kann auch blenden und als Vorurteil für eine generelle Ablehnung der Tierversuche führen. Es gilt eben manchmal nicht abzuwägen ob Tier oder Ersatzsystem (was sicherlich einfach ist), sondern auch ob Tier oder Mensch. Und Nebenwirkungen möchte man sicherlich nicht erst bei Anwendung am Menschen herausbekommen. Man denke hierbei an den Aufschrei, als die sechs Patienten der Studie der Würzburger TeGenero AG (Medikament TGN 1412) mit heftigsten Schwellungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

    In diesem Falle wurde bei Tierversuchen zwar nicht der sich am Menschen einstellende Effekt beobachtet, aber es gibt viele Vorstufen, die schon bei Tierversuchen wegen schwerer Nebenwirkungen aussortiert werden können. Ebenfalls sind Fortpflanzungsschäden wohl NICHT erst beim Menschen auszutesten, da sind wohl auch Tierversuchsgegner meiner Meinung. Und Mäuse sind hier mit 6 Wochen Fortpflanzungszyklus ein schnelles Tiermodell, um auch längerfristig wirkende Schädigungen aufzuzeigen.

     

    Verlassen wir den Bereich der Pharma-Industrie mit den großen Tierversuchen. In der chirurgischen Forschung werden auch Tierversuche durchgeführt. Wenn eine Operationstechnik erprobt werden soll, etwa eine neue Form der Ersatzplastik aus Darmstücken für eine künstliche Blase, so kann dies auch am Menschen geschehen. Eine brauchbare, schonende Form der Operation und der geschaffenen Struktur zu finden erfordert aber viele Versuche - die Biologie ist eben (noch?) nicht mit Formeln vorhersagbar. Wie begründen Sie als Tierversuchsgegner, dass verzweifelte Blasenkrebspatienten als Freiwillige für solche Versuche Tieren (in der Regel Schweine) bevorzugt werden sollen?

    Ist der leidende Mensch, der verzweifelt eine Lösung für das plötzlich in sein Leben eingebrochene Problem ohne Blase leben zu müssen (d.h. einen Beutel auf dem Bauch geklebt), überhaupt in der Lage "freiwillig" in einen solchen Versuch einzuwilligen?

     

    Aus diesen völlig verschiedenen Szenarien wird wohl klar, warum die Zahl alleine eher keinen Aufschluss über die Situation bei den Tierversuchen gibt. Aufgeschlüsselt nach Branche und Tierart würde sich die Situation wahrscheinlich auch für sogenannte Tierversuchsgegner anders darstellen...

  • BH
    Barbara Hohensee

    Die Senatorin spricht bei Tierversuchen vom Preis des "Fortschritts", der Sprecher der Forscher der Charite´ von den Kosten, die Versuchstiere verursachen, und von der gesetzlichen Pflicht zu Tierversuchen. Hört man da wenigstens Bedauern über das Schicksal der Versuchstiere heraus? Nein! Wenn Alternativverfahren, dann, weil sie lohnen ? wegen der Kostenersparnis und ein bisschen auch aus Imagegründen. Aus dieser vorwiegend falschen Motivation heraus will man also, soweit möglich, Alternativmethoden erforschen und anwenden. Wenigstens etwas, und für jedes verschonte Tierindividuum ein Riesengewinn! Doch soweit möglich bedeutet konkret, sobald den Forschern kein weiteres neues Forschungsfeld, wie die Gentechnologie, ein riesiger Markt neuer Versuche am Tier, einfällt. Der unhaltbare Glaube an Tierversuche, an das vermeintlich zuverlässige und gewohnte Messinstrument Tier, ist vielfach ungebrochen ? trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse durch größere Forschergeister, denen Machtgier, Profitgier, Vorherrschaftsgelüste im globalen Wettrennen aufgrund ihrer Menschlichkeit wohltuend fremd blieben. Doch genau darum geht es den Anderen. Nicht die Verbraucher will man vor ungeahnten Wirkungen unbekannter Stoffe schützen, welch naive, das eigene Gattungswesen verleugnende Vorstellung, sondern die profitorientierte Forschung vor Regressansprüchen Geschädigter. Wir arbeiten alternativ daran, denn Profit muss sich nachhaltig lohnen.

  • BN
    Bianka Nagorny

    Hallo, Herr Kulka,

     

    dass ich die taz für eine der besten Zeitungen halte, liegt daran, dass sie gerade die kompetenten Meinungen und Fakten der nicht regierenden Organisationen in die Öffentlichkeit transportiert. Während die anderen großen Zeitungen die Meinungen der Tierversuchs-Befürworter und anderen Lobbyisten unreflektiert verkünden, beschränkt Ihr Euch auf das Wesentliche und gebt auch den Schwachen und Stummen in dieser Gesellschaft die Chance, ihr Schicksal in die Öffentlichkeit tragen zu können. Genau diese Haltung zeichnet für mich guten Journalismus aus und darum lese ich die taz! :-)

     

    Danke, dass Ihr neben globalisierungskritischen und ökologischen Themen auch die Tierrechte nicht vergessen habt . . .

     

    Viele Grüße sendet Euch

     

    Bianka Nagorny

  • ID
    Inga Diederichs

    Vielen Dank für diesen guten Artikel.

    Tierversuche werden leider viel zu selten thematisiert.

    Habe mich sehr über diesen Bericht gefreut.

    Mit freundlichen Grüßen

    I. Diederichs

  • HC
    H.-J. Cappius

    Ich finde den Bericht soweit ausgewogen, habe aber generell zu der Thematik den Bedarf nach etwas stärkerer Differenzierung.

     

    Natürlich gibt es Tierversuche, die heutigen ethischen Empfindungen nach als grenzwertig anzusehen sind. Ein Beispiel - jedoch ohne nachvollziehbare Begründung für den Zweck des Versuches - wurde im Artikel genannt.

    Auch die vorgeschriebenen Test von Kosmetika und Cremes sind sicherlich einfacher auf der genannten künstlichen Haut durchführbar - und dann ohne Tiere zu opfern.

     

    Aber die Tierliebe kann auch blenden und als Vorurteil für eine generelle Ablehnung der Tierversuche führen. Es gilt eben manchmal nicht abzuwägen ob Tier oder Ersatzsystem (was sicherlich einfach ist), sondern auch ob Tier oder Mensch. Und Nebenwirkungen möchte man sicherlich nicht erst bei Anwendung am Menschen herausbekommen. Man denke hierbei an den Aufschrei, als die sechs Patienten der Studie der Würzburger TeGenero AG (Medikament TGN 1412) mit heftigsten Schwellungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

    In diesem Falle wurde bei Tierversuchen zwar nicht der sich am Menschen einstellende Effekt beobachtet, aber es gibt viele Vorstufen, die schon bei Tierversuchen wegen schwerer Nebenwirkungen aussortiert werden können. Ebenfalls sind Fortpflanzungsschäden wohl NICHT erst beim Menschen auszutesten, da sind wohl auch Tierversuchsgegner meiner Meinung. Und Mäuse sind hier mit 6 Wochen Fortpflanzungszyklus ein schnelles Tiermodell, um auch längerfristig wirkende Schädigungen aufzuzeigen.

     

    Verlassen wir den Bereich der Pharma-Industrie mit den großen Tierversuchen. In der chirurgischen Forschung werden auch Tierversuche durchgeführt. Wenn eine Operationstechnik erprobt werden soll, etwa eine neue Form der Ersatzplastik aus Darmstücken für eine künstliche Blase, so kann dies auch am Menschen geschehen. Eine brauchbare, schonende Form der Operation und der geschaffenen Struktur zu finden erfordert aber viele Versuche - die Biologie ist eben (noch?) nicht mit Formeln vorhersagbar. Wie begründen Sie als Tierversuchsgegner, dass verzweifelte Blasenkrebspatienten als Freiwillige für solche Versuche Tieren (in der Regel Schweine) bevorzugt werden sollen?

    Ist der leidende Mensch, der verzweifelt eine Lösung für das plötzlich in sein Leben eingebrochene Problem ohne Blase leben zu müssen (d.h. einen Beutel auf dem Bauch geklebt), überhaupt in der Lage "freiwillig" in einen solchen Versuch einzuwilligen?

     

    Aus diesen völlig verschiedenen Szenarien wird wohl klar, warum die Zahl alleine eher keinen Aufschluss über die Situation bei den Tierversuchen gibt. Aufgeschlüsselt nach Branche und Tierart würde sich die Situation wahrscheinlich auch für sogenannte Tierversuchsgegner anders darstellen...

  • BH
    Barbara Hohensee

    Die Senatorin spricht bei Tierversuchen vom Preis des "Fortschritts", der Sprecher der Forscher der Charite´ von den Kosten, die Versuchstiere verursachen, und von der gesetzlichen Pflicht zu Tierversuchen. Hört man da wenigstens Bedauern über das Schicksal der Versuchstiere heraus? Nein! Wenn Alternativverfahren, dann, weil sie lohnen ? wegen der Kostenersparnis und ein bisschen auch aus Imagegründen. Aus dieser vorwiegend falschen Motivation heraus will man also, soweit möglich, Alternativmethoden erforschen und anwenden. Wenigstens etwas, und für jedes verschonte Tierindividuum ein Riesengewinn! Doch soweit möglich bedeutet konkret, sobald den Forschern kein weiteres neues Forschungsfeld, wie die Gentechnologie, ein riesiger Markt neuer Versuche am Tier, einfällt. Der unhaltbare Glaube an Tierversuche, an das vermeintlich zuverlässige und gewohnte Messinstrument Tier, ist vielfach ungebrochen ? trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse durch größere Forschergeister, denen Machtgier, Profitgier, Vorherrschaftsgelüste im globalen Wettrennen aufgrund ihrer Menschlichkeit wohltuend fremd blieben. Doch genau darum geht es den Anderen. Nicht die Verbraucher will man vor ungeahnten Wirkungen unbekannter Stoffe schützen, welch naive, das eigene Gattungswesen verleugnende Vorstellung, sondern die profitorientierte Forschung vor Regressansprüchen Geschädigter. Wir arbeiten alternativ daran, denn Profit muss sich nachhaltig lohnen.

  • BN
    Bianka Nagorny

    Hallo, Herr Kulka,

     

    dass ich die taz für eine der besten Zeitungen halte, liegt daran, dass sie gerade die kompetenten Meinungen und Fakten der nicht regierenden Organisationen in die Öffentlichkeit transportiert. Während die anderen großen Zeitungen die Meinungen der Tierversuchs-Befürworter und anderen Lobbyisten unreflektiert verkünden, beschränkt Ihr Euch auf das Wesentliche und gebt auch den Schwachen und Stummen in dieser Gesellschaft die Chance, ihr Schicksal in die Öffentlichkeit tragen zu können. Genau diese Haltung zeichnet für mich guten Journalismus aus und darum lese ich die taz! :-)

     

    Danke, dass Ihr neben globalisierungskritischen und ökologischen Themen auch die Tierrechte nicht vergessen habt . . .

     

    Viele Grüße sendet Euch

     

    Bianka Nagorny

  • ID
    Inga Diederichs

    Vielen Dank für diesen guten Artikel.

    Tierversuche werden leider viel zu selten thematisiert.

    Habe mich sehr über diesen Bericht gefreut.

    Mit freundlichen Grüßen

    I. Diederichs

  • HC
    H.-J. Cappius

    Ich finde den Bericht soweit ausgewogen, habe aber generell zu der Thematik den Bedarf nach etwas stärkerer Differenzierung.

     

    Natürlich gibt es Tierversuche, die heutigen ethischen Empfindungen nach als grenzwertig anzusehen sind. Ein Beispiel - jedoch ohne nachvollziehbare Begründung für den Zweck des Versuches - wurde im Artikel genannt.

    Auch die vorgeschriebenen Test von Kosmetika und Cremes sind sicherlich einfacher auf der genannten künstlichen Haut durchführbar - und dann ohne Tiere zu opfern.

     

    Aber die Tierliebe kann auch blenden und als Vorurteil für eine generelle Ablehnung der Tierversuche führen. Es gilt eben manchmal nicht abzuwägen ob Tier oder Ersatzsystem (was sicherlich einfach ist), sondern auch ob Tier oder Mensch. Und Nebenwirkungen möchte man sicherlich nicht erst bei Anwendung am Menschen herausbekommen. Man denke hierbei an den Aufschrei, als die sechs Patienten der Studie der Würzburger TeGenero AG (Medikament TGN 1412) mit heftigsten Schwellungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

    In diesem Falle wurde bei Tierversuchen zwar nicht der sich am Menschen einstellende Effekt beobachtet, aber es gibt viele Vorstufen, die schon bei Tierversuchen wegen schwerer Nebenwirkungen aussortiert werden können. Ebenfalls sind Fortpflanzungsschäden wohl NICHT erst beim Menschen auszutesten, da sind wohl auch Tierversuchsgegner meiner Meinung. Und Mäuse sind hier mit 6 Wochen Fortpflanzungszyklus ein schnelles Tiermodell, um auch längerfristig wirkende Schädigungen aufzuzeigen.

     

    Verlassen wir den Bereich der Pharma-Industrie mit den großen Tierversuchen. In der chirurgischen Forschung werden auch Tierversuche durchgeführt. Wenn eine Operationstechnik erprobt werden soll, etwa eine neue Form der Ersatzplastik aus Darmstücken für eine künstliche Blase, so kann dies auch am Menschen geschehen. Eine brauchbare, schonende Form der Operation und der geschaffenen Struktur zu finden erfordert aber viele Versuche - die Biologie ist eben (noch?) nicht mit Formeln vorhersagbar. Wie begründen Sie als Tierversuchsgegner, dass verzweifelte Blasenkrebspatienten als Freiwillige für solche Versuche Tieren (in der Regel Schweine) bevorzugt werden sollen?

    Ist der leidende Mensch, der verzweifelt eine Lösung für das plötzlich in sein Leben eingebrochene Problem ohne Blase leben zu müssen (d.h. einen Beutel auf dem Bauch geklebt), überhaupt in der Lage "freiwillig" in einen solchen Versuch einzuwilligen?

     

    Aus diesen völlig verschiedenen Szenarien wird wohl klar, warum die Zahl alleine eher keinen Aufschluss über die Situation bei den Tierversuchen gibt. Aufgeschlüsselt nach Branche und Tierart würde sich die Situation wahrscheinlich auch für sogenannte Tierversuchsgegner anders darstellen...

  • BH
    Barbara Hohensee

    Die Senatorin spricht bei Tierversuchen vom Preis des "Fortschritts", der Sprecher der Forscher der Charite´ von den Kosten, die Versuchstiere verursachen, und von der gesetzlichen Pflicht zu Tierversuchen. Hört man da wenigstens Bedauern über das Schicksal der Versuchstiere heraus? Nein! Wenn Alternativverfahren, dann, weil sie lohnen ? wegen der Kostenersparnis und ein bisschen auch aus Imagegründen. Aus dieser vorwiegend falschen Motivation heraus will man also, soweit möglich, Alternativmethoden erforschen und anwenden. Wenigstens etwas, und für jedes verschonte Tierindividuum ein Riesengewinn! Doch soweit möglich bedeutet konkret, sobald den Forschern kein weiteres neues Forschungsfeld, wie die Gentechnologie, ein riesiger Markt neuer Versuche am Tier, einfällt. Der unhaltbare Glaube an Tierversuche, an das vermeintlich zuverlässige und gewohnte Messinstrument Tier, ist vielfach ungebrochen ? trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse durch größere Forschergeister, denen Machtgier, Profitgier, Vorherrschaftsgelüste im globalen Wettrennen aufgrund ihrer Menschlichkeit wohltuend fremd blieben. Doch genau darum geht es den Anderen. Nicht die Verbraucher will man vor ungeahnten Wirkungen unbekannter Stoffe schützen, welch naive, das eigene Gattungswesen verleugnende Vorstellung, sondern die profitorientierte Forschung vor Regressansprüchen Geschädigter. Wir arbeiten alternativ daran, denn Profit muss sich nachhaltig lohnen.

  • BN
    Bianka Nagorny

    Hallo, Herr Kulka,

     

    dass ich die taz für eine der besten Zeitungen halte, liegt daran, dass sie gerade die kompetenten Meinungen und Fakten der nicht regierenden Organisationen in die Öffentlichkeit transportiert. Während die anderen großen Zeitungen die Meinungen der Tierversuchs-Befürworter und anderen Lobbyisten unreflektiert verkünden, beschränkt Ihr Euch auf das Wesentliche und gebt auch den Schwachen und Stummen in dieser Gesellschaft die Chance, ihr Schicksal in die Öffentlichkeit tragen zu können. Genau diese Haltung zeichnet für mich guten Journalismus aus und darum lese ich die taz! :-)

     

    Danke, dass Ihr neben globalisierungskritischen und ökologischen Themen auch die Tierrechte nicht vergessen habt . . .

     

    Viele Grüße sendet Euch

     

    Bianka Nagorny

  • ID
    Inga Diederichs

    Vielen Dank für diesen guten Artikel.

    Tierversuche werden leider viel zu selten thematisiert.

    Habe mich sehr über diesen Bericht gefreut.

    Mit freundlichen Grüßen

    I. Diederichs

  • HC
    H.-J. Cappius

    Ich finde den Bericht soweit ausgewogen, habe aber generell zu der Thematik den Bedarf nach etwas stärkerer Differenzierung.

     

    Natürlich gibt es Tierversuche, die heutigen ethischen Empfindungen nach als grenzwertig anzusehen sind. Ein Beispiel - jedoch ohne nachvollziehbare Begründung für den Zweck des Versuches - wurde im Artikel genannt.

    Auch die vorgeschriebenen Test von Kosmetika und Cremes sind sicherlich einfacher auf der genannten künstlichen Haut durchführbar - und dann ohne Tiere zu opfern.

     

    Aber die Tierliebe kann auch blenden und als Vorurteil für eine generelle Ablehnung der Tierversuche führen. Es gilt eben manchmal nicht abzuwägen ob Tier oder Ersatzsystem (was sicherlich einfach ist), sondern auch ob Tier oder Mensch. Und Nebenwirkungen möchte man sicherlich nicht erst bei Anwendung am Menschen herausbekommen. Man denke hierbei an den Aufschrei, als die sechs Patienten der Studie der Würzburger TeGenero AG (Medikament TGN 1412) mit heftigsten Schwellungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden.

    In diesem Falle wurde bei Tierversuchen zwar nicht der sich am Menschen einstellende Effekt beobachtet, aber es gibt viele Vorstufen, die schon bei Tierversuchen wegen schwerer Nebenwirkungen aussortiert werden können. Ebenfalls sind Fortpflanzungsschäden wohl NICHT erst beim Menschen auszutesten, da sind wohl auch Tierversuchsgegner meiner Meinung. Und Mäuse sind hier mit 6 Wochen Fortpflanzungszyklus ein schnelles Tiermodell, um auch längerfristig wirkende Schädigungen aufzuzeigen.

     

    Verlassen wir den Bereich der Pharma-Industrie mit den großen Tierversuchen. In der chirurgischen Forschung werden auch Tierversuche durchgeführt. Wenn eine Operationstechnik erprobt werden soll, etwa eine neue Form der Ersatzplastik aus Darmstücken für eine künstliche Blase, so kann dies auch am Menschen geschehen. Eine brauchbare, schonende Form der Operation und der geschaffenen Struktur zu finden erfordert aber viele Versuche - die Biologie ist eben (noch?) nicht mit Formeln vorhersagbar. Wie begründen Sie als Tierversuchsgegner, dass verzweifelte Blasenkrebspatienten als Freiwillige für solche Versuche Tieren (in der Regel Schweine) bevorzugt werden sollen?

    Ist der leidende Mensch, der verzweifelt eine Lösung für das plötzlich in sein Leben eingebrochene Problem ohne Blase leben zu müssen (d.h. einen Beutel auf dem Bauch geklebt), überhaupt in der Lage "freiwillig" in einen solchen Versuch einzuwilligen?

     

    Aus diesen völlig verschiedenen Szenarien wird wohl klar, warum die Zahl alleine eher keinen Aufschluss über die Situation bei den Tierversuchen gibt. Aufgeschlüsselt nach Branche und Tierart würde sich die Situation wahrscheinlich auch für sogenannte Tierversuchsgegner anders darstellen...

  • BH
    Barbara Hohensee

    Die Senatorin spricht bei Tierversuchen vom Preis des "Fortschritts", der Sprecher der Forscher der Charite´ von den Kosten, die Versuchstiere verursachen, und von der gesetzlichen Pflicht zu Tierversuchen. Hört man da wenigstens Bedauern über das Schicksal der Versuchstiere heraus? Nein! Wenn Alternativverfahren, dann, weil sie lohnen ? wegen der Kostenersparnis und ein bisschen auch aus Imagegründen. Aus dieser vorwiegend falschen Motivation heraus will man also, soweit möglich, Alternativmethoden erforschen und anwenden. Wenigstens etwas, und für jedes verschonte Tierindividuum ein Riesengewinn! Doch soweit möglich bedeutet konkret, sobald den Forschern kein weiteres neues Forschungsfeld, wie die Gentechnologie, ein riesiger Markt neuer Versuche am Tier, einfällt. Der unhaltbare Glaube an Tierversuche, an das vermeintlich zuverlässige und gewohnte Messinstrument Tier, ist vielfach ungebrochen ? trotz aller gegenteiligen Erkenntnisse durch größere Forschergeister, denen Machtgier, Profitgier, Vorherrschaftsgelüste im globalen Wettrennen aufgrund ihrer Menschlichkeit wohltuend fremd blieben. Doch genau darum geht es den Anderen. Nicht die Verbraucher will man vor ungeahnten Wirkungen unbekannter Stoffe schützen, welch naive, das eigene Gattungswesen verleugnende Vorstellung, sondern die profitorientierte Forschung vor Regressansprüchen Geschädigter. Wir arbeiten alternativ daran, denn Profit muss sich nachhaltig lohnen.

  • BN
    Bianka Nagorny

    Hallo, Herr Kulka,

     

    dass ich die taz für eine der besten Zeitungen halte, liegt daran, dass sie gerade die kompetenten Meinungen und Fakten der nicht regierenden Organisationen in die Öffentlichkeit transportiert. Während die anderen großen Zeitungen die Meinungen der Tierversuchs-Befürworter und anderen Lobbyisten unreflektiert verkünden, beschränkt Ihr Euch auf das Wesentliche und gebt auch den Schwachen und Stummen in dieser Gesellschaft die Chance, ihr Schicksal in die Öffentlichkeit tragen zu können. Genau diese Haltung zeichnet für mich guten Journalismus aus und darum lese ich die taz! :-)

     

    Danke, dass Ihr neben globalisierungskritischen und ökologischen Themen auch die Tierrechte nicht vergessen habt . . .

     

    Viele Grüße sendet Euch

     

    Bianka Nagorny

  • ID
    Inga Diederichs

    Vielen Dank für diesen guten Artikel.

    Tierversuche werden leider viel zu selten thematisiert.

    Habe mich sehr über diesen Bericht gefreut.

    Mit freundlichen Grüßen

    I. Diederichs