Tiere und ihre Rechte: Der Zoo-Streit
Auch wenn sich in den Tierparks im Lauf der Zeit viel verändert hat: So alt wie die Haltung wilder Tiere in Gefangenschaft ist die Kritik daran.
Den Ton hat der Dichter Rainer Maria Rilke vorgegeben:
„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf – Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.“
Im Gedicht „Der Panther“, erschienen 1903, verdichtet sich die ganze Kritik am Gefangenhalten von Wildtieren: Es stellt uns ein Raubtier vor Augen, dazu verdammt, träge hinter Gittern hin und her zu trotten – ohne Hoffnung auf Befreiung und abgeschnitten von seinem Lebensraum. Es zeigt den Überschuss an Kraft, der sich in stereotypem Verhalten fängt. Es lässt uns einen Blick in die verzweifelte Seele eines Mitgeschöpfs tun.
Zehn Jahre später starb in Hamburg ein Mann, der den Zoologischen Garten revolutionierte: Carl Hagenbeck hatte die Gitter abgebaut und die Tiere durch Gräben getrennt. Er schuf Panoramen, in denen verschiedene Tiergruppen künstlicher Landschaften zu sehen waren. Doch auch nach 100 Jahren und wiederholter Modernisierung: Kritik am Zoo gibt es bis heute – grundsätzliche, wie sie in Rilkes „Panther“ zum Ausdruck kommt, und spezifische: an bestimmten Zoos, an bestimmten Arten der Haltung und daran, dass bestimmte Tierarten gehalten werden.
„Alle Zoos sind schlecht“, sagt etwa die Tierrechtsorganisation Animal Peace: „Sie rauben den Tieren ihr Grundrecht auf Freiheit und degradieren sie zu Karikaturen ihrer eigenen Art.“ Eine moderate Position vertritt der Deutsche Tierschutzbund: „Wir sind nicht gegen Zoos“, sagt Referent James Brückner, „pochen aber darauf, dass die Tiere möglichst artgerecht gehalten werden und ihre Bedürfnisse ausleben können.“
Das würde wohl auch Peter Dollinger vom Verband Deutscher Zoodirektoren (VDZ) unterschreiben. Klar: Dass Zoos ihre Berechtigung haben, ist für ihn keine Frage. 32 Millionen Besucher strömten jährlich allein in die 50 deutschen Tiergärten seines Verbandes, sagt er. Insgesamt seien es mindestens 60 Millionen. Deutschland habe die internationale Konvention über die Biologische Vielfalt unterzeichnet. „Das verpflichtet die Bundesregierung dazu, die Bevölkerung über die Biodiversität zu informieren“, erklärt Dollinger – und wo ginge das besser als im Zoo?
Die Zoo-Richtlinie der EU
In Deutschland, schätzt der VDZ, fallen insgesamt 600 Einrichtungen unter die Zoo-Richtlinie der Europäischen Union. Dazu gehören die 50 wissenschaftlich geführten Zoos des Verbandes ebenso wie kommerzielle Tierparks, Wildgehege, Volieren und Aquarien. In Norddeutschland sind das einerseits Zoos mit einem Millionenpublikum wie in Hamburg und Hannover, daneben kleinere Einrichtungen wie der Wildpark Schwarze Berge, der Tierpark Neumünster oder auch der Vogelpark Walsrode.
Das Problem sei eigentlich die Bezeichnung „Zoo“, sagt Richard Perron vom Verein Quantum Conservation in Varel. Der veranstaltet seit 1995 die jährliche Konferenz „Zoo-Kunft“ zu den Perspektiven der Branche. Aus Perrons Sicht hat sich viel Positives getan in den vergangenen 20 Jahren: Die Gehege wurden größer und natürlichen Habitaten nachempfunden. Die Tiere können sich zurückziehen, sie können klettern und werden beschäftigt. Gerade kleine Zoos allerdings hätten oft großen Nachholbedarf, weiß Perron: „Unter Umständen sollten sie geschlossen werden.“
Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert, dass der Mangel an Bewegungsmöglichkeiten und Beschäftigung in vielen Zoos die Tiere krank mache: Sie töteten andere, verstümmelten sich selbst, betrieben exzessive Körperpflege. Pinguine schwimmen neurotisch im Kreis, Raubkatzen laufen auf und ab.
Artgerechte Haltung? Unmöglich!
„Zoo bedeutet immer eine Einschränkung“, sagt James Brückner vom Tierschutzbund. Wenn das zu Verhaltensstörungen führe, die sich nicht beheben lassen, sei die Haltung des Tieres nicht zu verantworten. „Bei manchen Arten ist es fast unmöglich, sie artgerecht zu halten“, sagt er. Eisbären etwa seien es gewohnt, weite Strecken zurückzulegen. Auch die Haltung von Menschenaffen lehnt der Tierschutzbund ab – aus ethischen Gründen.
„Beschäftigungsmangel ist ein potenzielles Problem“, räumt auch Dollinger vom Zoodirektoren-Verband ein. In vielen Köpfen existierten jedoch falsche Vorstellungen von den Bedürfnissen der Tiere: So brauche etwa ein Luchs ein Revier von 80 Quadratkilometern, weil nur dort entsprechend viele Beutetiere lebten – nicht aber, weil sein Laufbedürfnis so groß sei. Auch sei es Affen egal, ob sie an einem lebenden Baum turnten oder an einem Balken – Hauptsache klettern. Und verhaltensgestörte Tiere hätten häufig private Vorbesitzer gehabt.
Für den VDZ können Zoos helfen, Arten zu erhalten, zu erforschen – und für sie zu werben: „Ein Tierfilm ersetzt nicht das unmittelbare Erlebnis“, sagt Dollinger. Daran hat der Tierschutzbund so seine Zweifel. Auch, weil viele Tiere in Gefangenschaft sich gerade nicht natürlich verhielten.
Peta hat den Zoo in seiner heutiger Form zum Auslaufmodell erklärt: Die Tiergärten sollten zu Gnadenhöfen umfunktioniert, das Geld stattdessen für die Erhaltung der natürlichen Lebensräume ausgegeben werden. Der Tierschutzbund schlägt vor, die Zoos sollten sich auf einheimische Arten konzentrieren und auf solche, die gut auszuwildern seien. Sinnvoll sei es, wenn sich die Einrichtungen auf unterschiedliche Arten konzentrierten: „Es muss“, sagt James Brückner, nicht jeder Zoo Tiger haben.“
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