Tiere in der Großstadt: Landflucht der Feldhasen
Wer nach Hasen Ausschau hält, wird in Berlin eher fündig werden als in Brandenburg. Über Ostern sollen die Tiere im Stadtgebiet gezählt werden.
Auch wenn Meister Lampe zum Osterfest alle Jahre wieder eine Sympathiewelle erfährt – gut geht es ihm nicht. „Der Osterhase ist in Gefahr“, warnt der Nabu. Auf der Roten Liste der gefährdeter Tier- und Pflanzenarten wird der Feldhase bundesweit als „gefährdet“ eingestuft – mit negativem Entwicklungstrend. Ursache dafür ist die immer intensiver betriebene Landwirtschaft, die störende Hecken und Büsche abräumt, dem bisherigen Lebensraum der Langohren, wo sie Schutz vor Greifvögeln und ihre Nahrung fanden.
Seit etwa 15 Jahren wird die „Landflucht“ der Feldhasen in die Städte beobachtet. Dort treffen sie auf die schon länger ansässigen Kaninchen. „In vielen Großstädten, so auch in Berlin, sind Wildkaninchen eine vertraute Erscheinung“, berichtet Dieter Köhler vom Nabu. Hier sind sie selbst auf kleinen Grünflächen zu finden. „Die Seuchen der 80er Jahre haben sie stark zurückgedrängt, aber mittlerweile scheint die Art in Berlin wieder im Kommen zu sein“, stellt Köhler fest.
Eine Besonderheit Berlins ist die Ost-West-Trennung der Langohren. Wildkaninchen sind nach der Kartierung der IZW-Wildtierforscher besonders in den Westbezirken heimisch, während es die Feldhasen in östlichen Plattenbaustadtteile zieht, vor allem Lichtenberg und Marzahn. Der Grund dafür ist die Naturlandschaft, die sich aus der Blockbebauung ergibt.
„Zwischen den Hochhäusern befinden sich große Freiflächen, die teils über 50 Jahre nicht gedüngt wurden, auf denen sich aber eine vielfältige Flora entwickelt hat, die den Hasen die lebensnotwendige, abwechslungsreiche Nahrung bietet“, erläutert Naturschützer Köhler. Auf seinem Speiseplan stehen Gräser und Kräuter sowie Feldfrüchte, aber auch Triebe, Knospen und Blätter junger Bäume.
Die Hecken und Büsche der Grünanlagen bieten den Tieren Schutz vor der für sie größten Bedrohung in der Stadt, den Hunden. Anders als die Kaninchen, die ihren Schutz in unterirdischen Grablöchern finden, sind die Hasen auf Rückzugsräume über der Erde angewiesen.
„Im Stadtgebiet Berlins tummeln sich 59 Säugetierarten, darunter Füchse, Feldhasen und Wildkaninchen, die etwas kleineren Vertreter unserer einheimischen Hasenartigen“, haben die Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung herausgefunden. Den größten Ärger verursachen die Wildschweine, die in Rotten aus dem Grunewald in die Villenviertel strömen, um die Abfalltonnen nach Essbarem zu durchwühlen. Hasen und Kaninchen kommen mit dem Menschen nicht ins Gehege.
Stadthasen bleiben unter sich
Bei der Zählung an Ostern im vergangenen Jahr konnten 60 Feldhasen und 29 Wildkaninchen registriert werden. Pro 100 Hektar wurden in den Ostbezirken zwischen 10 und 12 Hasen gezählt. Das ist doppelt so viel wie im landwirtschaftlich geprägten Brandenburg. „Wir gehen nach dem jetzigen Stand davon aus, dass die Stadthasen weitgehend unter sich bleiben und es kaum einen Austausch mit den Hasen Brandenburgs gibt“, sagt der Biologe Konstantin Börner, Biologe am IZW. „Das jährliche Monitoring und wiederholte Meldungen sind sehr wichtig, um Trends in der räumlichen Verbreitung und Populationsentwicklung besser einschätzen zu können“, so der Forscher.
Momentan gehe man bei den Hasen „von einer stabilen und vitalen städtischen Subpopulation“ aus. Wo sich die Wildtiere genau befinden, das wollen die Forscher mithilfe von „Bürgerwissenschaftlern“ herausfinden. Das sind Laien, die durch ihre Beobachtungen die Datenbasis der Profiwissenschaft verbessern sollen. Bei der diesjährigen Beobachtung ist als dritte Wildtierart auch der Fuchs von Interesse. Über die Internetseite berlin.stadtwildtiere.de können Interessierte bis einschließlich 24. April gezielt Beobachtungen von Fuchs, Hase und Wildkaninchen melden und Bilder hochladen.
Die Seite bietet auch Bestimmungs- und Beobachtungstipps für die drei Arten an. „Wenn der Hase dem Fuchs als seinem Fressfeind aus dem Weg gehen sollte, wie wahrscheinlich ist es dann, dass beide gemeinsam entdeckt werden?“ Dies ist eine Fragestellung, der die Biologin Sophia Kimmig vom Projekt Berliner Stadtwildtiere (SWT) nachgehen will. Die Aktion wird auch vom Bezirksamt Lichtenberg unterstützt.
Hasen am Morgen
Gerade die Ostertage bieten laut Köhler beste Voraussetzungen, um Feldhasen zu beobachten – insbesondere in den Morgen- und Abendstunden. „Hier können Eltern ihren Kindern wirklich Hasen zeigen“, so der Naturschützer. Zudem befinden sich in den Monaten März und April „die Hasen im Liebesrausch“, ergänzt das Brandenburger Landwirtschaftsministerium in einer aktuellen Mitteilung. „Das Beobachten von Rangkämpfen der Hasen oder einer Hasenhochzeit kann zu einem ganz besonderen Erlebnis beim Osterspaziergang in der Feldflur werden.“
Und wer dabei ein Exemplar mit Eierkorb entdeckt, den wahren „Osterhasen“, der hat das Bild des Tages geschossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin