Tiere in „The White Lotus“: Das Luxusresort am Ende der Geschichte
Die dritte Staffel von „The White Lotus“ zeigt eine Welt, die nicht mehr an Alternativen glaubt. Wieso tauchen hier andauernd Tiere auf?

Die Serie „The White Lotus“ hat längst Kultstatus erreicht – und das trotz ihrer vergleichsweise jungen Geschichte mit nur drei Staffeln, von der nun auch die jüngste, vergangenen Montag, ihr dramatisches Ende gefunden hat. Ein wesentlicher Grund für die Popularität der Sozialsatire liegt in der großen Interpretationsfläche, die sie ihrem Publikum bietet.
Wer sich dieser Tage in den sozialen Medien aufhält, findet dort unzählige Analysen ihrer versteckten Botschaften und Symbolsysteme, die beinahe forensisch bis ins kleinste Detail vordringen. Oft geht es darum, die tiefsten Wünsche und Begehren der überprivilegierten Protagonist:innen zu entschlüsseln, die sich vor allem in den Dynamiken zwischen ihnen erkennen lassen – stets nuanciert erzählt und mit dem höchstmöglichen Maß an Ambivalenz, das eine popkulturelle Serie aushält.
Mikroaggressionen, gesteigertes sexuelles Verlangen, Neid, Gier und Trauer greifen ineinander, entladen sich in eskalierenden Konflikten oder schlagen in Mordlust um. Und das alles vor traumhaft schönen Kulissen: Erst Hawaii, dann Sizilien und nun Thailand. „Exotische“ Sehnsuchtsorte also, die ein Versprechen des Ursprünglichen, des Wilden und Authentischen für die überwiegend weiß-westlichen und von sich selbst entfremdeten Hotelgäste bereithalten, das sie in Form einer isolierten Erfahrung der Spiritualität konsumieren möchten.
In jeder Staffel folgen wir den Protagonist:innen in glamourös-hedonistische Luxusresorts, in denen reiche Amerikaner:innen ungestört reich und amerikanisch sein können. Bereitwillig lassen wir uns mitreißen vom Sog ihres überbordenden Reichtums, der als solcher in aller Deutlichkeit sichtbar wird – nie jedoch die Bedingungen, unter denen er entstanden ist.
Kapitalistischer Realismus
„The White Lotus“ steht beispielhaft für zeitgenössische Reichensatiren, die sich weniger durch eine Fundamentalkritik an den Produktionsverhältnissen als vielmehr durch einen kapitalistischen Realismus auszeichnen. Eine Weltsicht also, in der wir uns keine andere Realität mehr vorstellen können als den Kapitalismus.
„Eat the Rich“ Filme und Serien, wie „Saltburn“, „Succession“ oder „Triangle of Sadness“ befriedigen oberflächlich ein Bedürfnis nach antikapitalistischer Kritik, machen den Kapitalismus aber genau dadurch ein bisschen erträglicher, dass wir den Superreichen zumindest auf der Leinwand auf die Schliche kommen, ihre Neurosen studieren und ihre Verschwendungssucht belächeln können. Was als kritische Reflexion über obszönen Reichtum und überbordenden Konsum beginnt, endet somit in der Konsumierbarkeit von Kritik selbst.
Die dritte Staffel von „The White Lotus“ zeichnet sich zunächst durch ein auffällig langsames Erzähltempo aus. Sekundenlange Aufnahmen von Wildtieren in unmittelbarer Nähe des Resorts, die rein gar nichts zur Handlung beitragen und eher an Naturdokumentationen erinnern, laufen nicht nur zeitgenössischen Sehgewohnheiten zuwider, sondern stehen in einem irritierenden Kontrast zum ungebrochenen Glanz des Luxusresorts. Natur taucht hier als das ewig imaginierte Gegenstück zur Kultur auf, das vermeintlich nicht integrierbare Andere.
Tiere sind in „The White Lotus“ allerdings nie bloße Kulisse. Ihr scheinbar willkürliches Auftauchen markiert immer wieder die Ränder einer Ordnung, die sich selbst als zivilisiert, souverän, menschlich versteht. Sie agieren als Zeichen und Metaphern, eingebettet im Blickregime des Western Gaze, und doch führen sie ein Eigenleben außerhalb der symbolischen Ordnung, der kapitalistischen Ökonomie, der Kultur und Sprache.
Das Animalische als Störmoment
Das Animalische, das in der dritten Staffel vor allem durch Affen, Schlangen, Echsen und Moskitos in Erscheinung tritt, markiert eine alternative Ordnung zur hyperkapitalistischen Realität des Luxusresorts. Und dennoch ist es keine Antithese zum Menschlichen. Vielmehr spiegelt es das Chaotische, das Böse wider, das unter der glatt gepeelten Haut jedes einzelnen Hotelgasts schlummert, und sich in sexuellen Obsessionen, Machtspielen und Selbsttäuschungen entlädt. Wir sehen nicht die Wildtiere an sich, sondern die Gefahren, die sie darstellen.
Immer wieder dringt das Animalische in die Sphäre des Menschlichen vor, kommt den Hotelgästen gefährlich nah, folgt ihnen ins Schlafzimmer, starrt sie an, sticht durch ihre Haut, beißt sie ins Bein, bringt sie fast um. Es verweist auf die Fragilität ihrer Privilegien – auf die Tatsache, dass ihr Leben auch anders sein könnte. Weil ihr Reichtum nicht auf Naturgesetzen, sondern auf Eigentumsverhältnissen basiert, die erst geschaffen werden mussten und somit umkehrbar sind.
Besonders deutlich wird das in der Figur Timothy Ratliffs. Der Familienvater erfährt am Tag seiner Ankunft im Resort, dass sowohl die Zeitungen als auch das FBI aufgrund eines Finanzskandals hinter ihm her sind und seine Karriere hinüber ist. Statt seiner Familie davon zu erzählen, schirmt er sie durch Smartphone-Entzug von der Realität ab, erstickt seine Sorgen in Lorazepam und macht gegenüber seiner Frau und Kinder einen auf heile Welt, während er insgeheim plant, seine gesamte Familie mit vergifteten Piña Coladas umzubringen.
Nicht aus Bosheit, sondern weil er ihnen das Leben ersparen möchte, das nach Ende ihres Wellness-Retreats unvermeidlich auf sie wartet: Ein Leben ohne Reichtum, ohne Besitz, ohne das glitzernde Versprechen von Bedeutung im Überfluss.
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